Die Prager Karlsuniversität und der Studentenaustausch in Corona-Zeiten
Internationaler Studentenaustausch funktioniert nicht, wenn die Grenzen geschlossen sind. Deswegen bedeutete die Corona-Pandemie auch in diesem Bereich einen tiefen Einschnitt. Nun öffnen sich viele Länder wieder. Wie gehen die Universitäten und die Studierenden mit der Lage um? Und wie beeinflusst die Situation die internationale Zusammenarbeit der Hochschulen?
Eines der bekanntesten Austauschprogramme heißt Erasmus, es wird von der Europäischen Union gefördert. Seit 2014 heißt das Programm offiziell Erasmus Plus, weil es auch Schüler und Auszubildende einschließt. Es ermöglicht, im Ausland entweder zu studieren oder dort ein Praktikum zu absolvieren. Die Dauer des Aufenthalts kann zwischen drei Monaten und einem Jahr liegen. Damit soll die Mobilität junger Menschen in Europa gefördert werden. Und man hofft, dass dies auch die Karrierechancen steigert.
Tschechien ist ein beliebtes Ziel bei Auslandsstudenten. Die Vorteile liegen nah: die zentrale Lage in der Mitte Europas und die relativ niedrigen Lebenshaltungskosten. Wie populär das Land mittlerweile geworden ist, zeigen die Statistiken: In den vergangenen fünf Jahren ging die Zahl der ausländischen Studierenden an tschechischen Unis um 25 Prozent nach oben. Im Studienjahr 2019/20 waren es insgesamt mehr als Zehntausend, die zum Austausch hierherkamen.
Doch wie wird dies ab dem Herbst sein, wenn Europa immer noch unter dem Einfluss der Corona-Pandemie stehen könnte? Sylvie Boumová leitet an der Prager Karlsuniversität die Auslandsabteilung der Philosophischen Fakultät:
„Im akademischen Jahr 2020/2021 wird der Austausch von Studenten und wissenschaftlichem Personal im Rahmen des Erasmus-Programms ganz normal auf der Grundlage bestehender bilateraler Abkommen weitergeführt. Studierende ausländischer Universitäten können also zu uns kommen. Die Kurse an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität finden im Präsenzunterricht statt.“
Die Austauschprogramme basieren auf internationalen Vereinbarungen zwischen einzelnen Fakultäten oder Universitäten. Allerdings haben die Hochschulen aus der Corona-Pandemie ihre Schlüsse gezogen.
„Einige Universitäten nehmen Änderungen vor: Sie geben den Präsenzunterricht auf und bieten die Lerninhalte ausschließlich online an. Oder sie canceln die Aufenthalte der eigenen Studierenden im Ausland oder schreiben keine ausländischen Studierenden bei sich ein. Es gibt jedoch keine klare Tendenz. Jede Universität schätzt das Risiko selbst ein und entscheidet sich für den jeweils passenden Weg. Hinzukommt, dass natürlich jedes Land in der Coronakrise andere Maßnahmen ergriffen hat. Und die Universitäten müssen dies berücksichtigen“, so Boumová.
Online-Unterricht anstatt Präsenz
Die Pandemie hat gezeigt, dass Unterricht auch digital stattfinden kann. In Tschechien wurde während der Pandemie schon früh auf Fernunterricht umgestellt. Die Medien haben in diesem Zusammenhang ausführlich über die hiesigen Grundschulen berichtet. Ist eine solche Umstellung auch bei akademischen Austauschprogrammen wie Erasmus sinnvoll? Gerade bei internationalen Projekten bietet es sich an, Vorlesungen online zu stellen, um den Zugriff ortsunabhängig zu sichern. Allerdings gehen Studierende oft nicht nur zu Bildungszwecken ins Ausland. Sie wollen auch das Leben im anderen Land kennenlernen, dort Freunde machen und vielleicht auch berufliche Kontakte knüpfen. Solch wertvolle Erfahrungen gibt es aber nicht online.
Die Tschechische Republik war eines der ersten Länder in Europa, die ihre Grenzen schlossen. Sie hat aber auch relativ früh die Grenzen zu den Nachbarländern wieder geöffnet. Derzeit ist die Freizügigkeit jedoch nur im Rahmen der Europäischen Union möglich. Für Studierende aus weiteren Staaten bedeute dies, sich jeweils zu informieren, sagt die Leiterin der Auslandsabteilung:
„Die Kooperation zwischen den Universitäten ist überall gleich. Sie erfolgt unabhängig davon, ob es sich um ein Gastland im europäischen Raum handelt oder aus anderen Gegenden der Welt. Für alle Beteiligten ist entscheidend, was jeweils möglich und erlaubt ist. Das betrifft sowohl die Auslandsaufenthalte von Studierenden und akademischen Beschäftigten aus Tschechien, als auch die Einreise von Gaststudierenden.“
Der flexible Umgang mit der Situation betrifft auch die tschechischen Studenten, die ins Ausland reisen wollen. In Anbetracht der teils unübersichtlichen Lage berät die Auslandsabteilung individuell und kümmert sich gegebenenfalls um Alternativen…
„Natürlich bemühen wir uns, allen zu helfen. Wenn wir von einer Partneruniversität informiert werden, dass keine Einschreibung ausländischer Studierender möglich ist, gibt es im Prinzip drei Möglichkeiten: Wir bieten an, den Termin zu verschieben, an eine andere Universität oder in ein anderes Land zu gehen. Manchmal empfehlen wir, die Reise ganz abzusagen. Wir versuchen wirklich, jedem zu helfen – je nach seinen Bedürfnissen.“
Trotz allem scheinen die Folgen der Pandemie bei internationalen Studentenaustauschprogrammen nicht so weitreichend zu sein, wie man denken könnte. Die Zahlen zeigen, dass das Interesse auch in Krisenzeiten besteht, und wenn es die Umstände erlauben, setzen die Studenten ihre Studienreise um. Sylvie Boumová:
„Im Rahmen des Erasmus-Programms schickt die Philosophische Fakultät in der Regel rund 250 Studierende an Universitäten der ganzen Welt. Im kommenden Wintersemester werden es rund 230 sein. Die Zahl ist also nur leicht zurückgegangen, was ich als großen Erfolg unserer Fakultät betrachte. Bei anderen Austauschprogrammen sowie bei Reisen in Staaten außerhalb der EU ging die Zahl der Studierenden stärker zurück. Im Herbst 2020 werden es etwa 40 sein, in der Regel sind es jedoch etwa 80. Zudem sollen im Rahmen des Erasmus-Programms im Wintersemester rund 200 Studierende aus dem Ausland an die Philosophische Fakultät kommen. Davor waren es regelmäßig etwa 300.“
Tschechische Sprache für ausländische Studenten
Neben dem klassischen Austauschprogramm bietet die Philosophische Fakultät für ausländische Studierende auch die Möglichkeit einer vollständigen Hochschulausbildung. Um die Sprachbarriere zu überwinden, gibt es den speziellen Kurs „Tschechisch als Fremdsprache“. Er steht zwar allen Studentinnen und Studenten offen. Doch vorrangig ist er für jene gedacht, die an denselben Vorlesungen und Seminaren wie die tschechischen Kommilitonen teilnehmen möchten.
„Die aktuelle Situation hat uns gezwungen, im nächsten Studienjahr auch Fernunterricht anzubieten. Der komplette Sprachkurs wird dann im Online-Modus möglich sein, inklusive individuelle Beratung und Aussprache-Übungen. Wir möchten also diejenigen Studenten erreichen, die wegen geschlossener Grenzen oder dem eingeschränkten Betrieb der Konsulate nicht am Vollzeitprogramm teilnehmen können oder erst später hinzustoßen. Ab dem Sommersemester können sie sich dann ihren Kommilitonen anschließen und im Direktstudium weitermachen.“.
Doch Boumová kündigt noch eine weitere Neuerung an:
„Darüber hinaus eröffnen wir den Online-Kurs ‚Czech Online‘ für Studierende der Bohemistik an ausländischen Universitäten in der ganzen Welt. Für den Kurs sind Grundkenntnisse der Sprache ab einem Niveau von A1 nötig.“
Wie die Studierenden auf das Angebot reagieren und ob sich der Fernunterricht auf diese Weise langfristig etabliert, ist noch offen. Fest steht aber, dass sich auf diese Weise die Studierenden aus unterschiedlichen Ländern wieder näherkommen:
„Die schwierige Situation, die sich in diesem Frühjahr entwickelt hat, ist für uns zu einer Herausforderung und einem Ansporn geworden, Programme für den Fernunterricht zu entwickeln.“