Die Rettung des Nachtzugs? European Sleeper verbindet Prag und Brüssel
Das Nachtzug-Start-up European Sleeper hat in dieser Woche seine bereits bestehende Verbindung von Brüssel nach Berlin bis nach Prag verlängert. Was sind derzeit die größten Herausforderungen für den aufstrebenden Eisenbahnbeförderer? Wie viel Verspätung hatte der Zug bei seiner Ankunft in der Moldaumetropole? Und kann die Rettung des Nachtzuges in Europa gelingen? Ferdinand Hauser hat die Jungfernfahrt des European Sleeper ab Děčín / Tetschen bis Prag begleitet.
Mit 50 Minuten Verspätung fuhr der European Sleeper am Dienstag in den Hauptbahnhof von Děčín ein. Eigentlich hält der Nachtzug des jungen Eisenbahnunternehmens bei seiner Reise von Brüssel nach Prag nur zum Ausstieg in der nordböhmischen Stadt. Aber da es sich um die Jungfernfahrt handelt, macht das Team gern eine Ausnahme: Journalisten werden auch unterwegs eingesammelt.
In einem der Abteile sitzt eine Dame höheren Alters, die gemeinsam mit ihrem Mann in Amsterdam zugestiegen ist. Zehn Tage Tschechien-Urlaub hat das Paar geplant. Aber warum ist die Wahl gerade auf den Nachtzug gefallen? „Ich will nicht mit dem Flugzeug reisen. Mit dem Zug ist die Reise viel einfacher“, meint die Frau und ihr Gatte ergänzt, dass die beiden schon mehrmals mit dem Nachtzug unterwegs gewesen seien: „Wir sind so schon in Frankreich und in Bulgarien gereist. Dieser Zug hier ist wirklich sehr gut.“
Auch Jan, der in einem anderen Abteil sitzt, zeigt sich zufrieden mit der zurückliegenden Nacht. Er habe gut geschlafen, sagt der Angestellte der Europäischen Kommission:
„Ich pendele zwischen Brüssel und Prag, diese Verbindung kommt mir also sehr gelegen. Ich bin wirklich überrascht, wie bequem das Abteil war. Gerade fahre ich für Ostern nach Prag. Ich denke, dass dieser Nachtzug eine gute Alternative zum Flugzeug oder zum Auto ist.“
15 Wagen hat der European Sleeper an diesem Dienstag – eine gewaltige Zahl. Patrick Neumann ist der Pressesprecher des Unternehmens für Deutschland und führt durch das Gespann…
„Die Betten sind so ungefähr die bequemsten, die man haben kann. Von außen sieht dieser Wagen mit seiner silbernen Farbe und den Wellen ein bisschen historisch aus. Aber sobald man reinkommt, kann man sich hier wunderbar niederlegen.“
Effizient, romantisch, wunderschön
In einem weiteren Schlafwagenabteil hat Chris Engelsman Platz genommen. Der Holländer ist einer der beiden Mitbegründer des Start-ups European Sleeper. Er trägt ein kariertes Hemd und sieht dann doch irgendwie ein wenig müde aus. Warum hat er das Unternehmen ins Leben gerufen?
„Wir haben uns gedacht, dass der Nachtzug doch ein wunderbares Verkehrsmittel ist. Er ist effizient, romantisch und einfach wunderschön, weil man auch bewusst unterwegs ist. Wir wollten, dass mehr Menschen in den Genuss solcher Züge kommen. In letzter Zeit wurden aber viele Nachtverbindungen in Europa gestrichen. Und so wollten wir zu einem dichteren Netz an Nachtzügen beitragen.“
Im vergangenen Jahr ging der Sleeper den ersten Schritt in diese Richtung und schickte seinen Zug auf die Schiene – von Brüssel nach Berlin. Die bestehende Route wurde nun über Dresden und das Elbtal bis nach Prag verlängert. Die Moldaumetropole sollte bereits viel früher Teil des Projekts werden. Der Start wurde aber verschoben. Warum aber steuert der Nachtzug eigentlich gerade die tschechische Hauptstadt an?
„Als wir auf die Karte geschaut haben, haben wir festgestellt, dass es zu wenige Verbindungen zwischen Osten und Westen gab. Das Gleiche gilt im Übrigen für Nord-Süd-Strecken. Aber da ist es wesentlich schwieriger, Züge loszuschicken, weil dem altmodische Eisenbahnunternehmen im Weg stehen. Die Route zwischen Prag, Amsterdam und Brüssel ist realisierbar – und sie war eine Verbindung, die gefehlt hat. Denn es gibt eine große Nachfrage für Reisen nach Tschechien.“
Kooperation mit den Tschechischen Bahnen
Engelsman zufolge ist es auch möglich, nur Tickets von Prag bis Dresden oder Berlin zu kaufen. Hierfür könnten etwa die Sitzwagen genutzt werden. Der Start der neuen, verlängerten Verbindung sei auch dank der Kooperation mit den tschechischen Partnern geglückt, meint der Unternehmer.
„Vor allem die Tschechischen Bahnen sind ein zuverlässiger Partner. Sie sind hier im Land der Betreiber dieses Zuges. In einigen Wochen, spätestens aber in zwei Monaten, werden sie auch Tickets für unseren Zug auf ihrer Website verkaufen.“
Es ist dabei das erste Mal überhaupt, dass die Tschechischen Bahnen als Staatsunternehmen in dieser Form mit einer Privatinitiative zusammenarbeiten.
Amsterdam, Mailand, Skandinavien
Die Gründung des European Sleeper wurde unter anderem durch Investitionen von Privatpersonen ermöglicht. 2021 hat das Unternehmen innerhalb von 15 Minuten 500.000 Euro von Kleinunternehmern eingenommen. 2022 konnte man weitere zwei Millionen Euro von Anlegern erhalten. Für die Zukunft hat Chris Engelsman große Pläne, wie er berichtet:
„Demnächst soll es für uns von Amsterdam nach Barcelona gehen. Außerdem würden wir gern weitere Routen aufnehmen, die aber noch nicht so konkret sind. Eines dieser Ziele ist Mailand. Zudem wollen wir gern Skandinavien ansteuern.“
Doch eines der größten Probleme, das es bis dahin zu beheben gebe, sei der Mangel an Waggons:
„Es gibt derzeit einfach viel zu wenige Nachtzugwagen. Das liegt auch daran, dass die Eisenbahnverkehrsunternehmen jahrzehntelang nicht in diese Sparte investiert haben. Für uns und vergleichbare Initiativen ist dieses Erbe ein echtes Problem. Wir müssen relativ alte Wagen verwenden, die zwar absolut in Ordnung sind und auch sehr komfortabel, aber hier und da haben sie eben ihre Wehwehchen. Wenn wir zusätzliche Strecken aufnehmen oder diese Verbindung hier täglich anbieten wollen, braucht es dafür eben mehr Wagen, die derzeit nicht zur Verfügung stehen.“
Eine weitere Hürde sei zudem ein Übermaß an Bürokratie in den einzelnen Ländern, so Engelsman.
Wagenmangel und hohe Trassenpreise
Bei der Jungfernfahrt des European Sleeper nach Prag waren am Dienstag zahlreiche Journalisten und Medienvertreter an Bord, aber auch Unternehmer und andere Menschen aus der Eisenbahnbranche. Einer von ihnen war Juri Maier. Er ist Vorsitzender des deutschen Ablegers von Back on Track. Diese Initiative, die in Tschechien bisher noch nicht vertreten ist, hat es sich zur Aufgabe gemacht, für bessere und bezahlbare Nachtzüge in Europa zu kämpfen – etwa durch das Einfordern politischer Maßnahmen. Auf den letzten Kilometern vor Prag ist in einem Abteil des European Sleeper das folgende Interview mit Juri Maier entstanden.
Wie blickt Back on Track auf den European Sleeper?
„Wir sind sehr froh, dass dieser Zug jetzt nicht mehr nur Berlin mit den Niederlanden und Belgien verbindet, sondern auch Prag.“
Warum braucht Europa mehr Nachtzüge?
„Sie sind natürlich eine spannende Alternativ zum Flugzeug. Denn dieses stößt relativ viele Treibhausgasemissionen aus – und das wird es wahrscheinlich auch noch die nächsten 20, 30 Jahre tun. In der Zeit, bis der Flugverkehr irgendwann einmal dekarbonisiert ist, sind Nachtzüge eine gute Lösung – vor allem auf Strecken von 1000 Kilometern oder mehr.“
Es gibt derzeit noch einige Hürden für Nachtzugbetreiber, etwa die Anschaffung von Wagenmaterial. Was sind die weiteren Probleme?
„Die Wagen sind schon einer der Knackpunkte – gerade für Firmen wie European Sleeper, die neu auf dem Markt sind und Unmengen an Geld brauchen, um Züge zu kaufen. Denn ein Waggon kostet ab zwei Millionen Euro, einen ganzen Zug auszustatten ist dementsprechend teurer. Ohne weiteres kriegen diese Unternehmen aber keinen Kredit von einer Bank, denn es wird sich wohl kaum eine finden, die sagt: ‚Natürlich, ihr wollt einen Zug betreiben, habt eine Erlaubnis für ein Jahr, den nach Prag zu schicken – wir geben euch 20 bis 30 Millionen Euro.‘ Das ist eine Schwierigkeit. Hinzu kommt – und das betrifft auch die großen staatlichen Unternehmen –, dass sich der Betrieb eines Nachtzugs nicht so sehr rechnet wie eine Tagzugverbindung. Denn man kann den Zug nicht so oft hin- und herschicken und es passen weniger Menschen hinein. Und dann sind da noch die relativ hohen Trassengebühren. Sie liegen für Nachtzüge in vielen Ländern auf dem gleichen Niveau wie für Fernverkehrszüge am Tag. Es lohnt sich deshalb mehr, Tagzüge zu betreiben. Das ist ein großes Problem, an dem wir von Back on Track gerade dran sind. Wir setzen uns dafür ein, dass für Nachtzüge eine eigene Kategorie bei den Trassengebühren eingeführt wird.“
Ein großes Problem der bestehenden Nachtzugverbindungen ist auch ihre Attraktivität. Einen Fahrschein für so eine Verbindung zu kaufen, erfordert oft viele Kenntnisse und mitunter mehrere Stunden Recherche. Brauchen wir nicht ein europäisches Verbundsystem?
„Ja, aber das ist kein spezielles Problem von Nachtzügen, im Grunde betrifft das alle internationalen Verbindungen in Europa. Wir haben ein sehr fragmentiertes Netz und es gibt viele unterschiedliche Standards, technische Regelungen und sogar Spurbreiten. Das ist aber noch das geringste Problem. Viel schlimmer ist, dass die Verkehrsunternehmen in Europa nicht mehr kooperieren wie früher, sondern auf einem Markt agieren und sich als Konkurrenten untereinander begreifen.“
Wird die Rettung des Nachtzuges gelingen? Gibt es in zehn Jahren in Europa mehr entsprechende Verbindungen?
„Es muss so sein, denn weiter so durch die Gegend fliegen wie bisher können wir nicht.“
Symbolische Brücke von Prag nach Brüssel
Um 11.40 Uhr kam der European Sleeper am Dienstag mit 44 Minuten Verspätung auf dem Prager Hauptbahnhof an. Am Nachmittag dann wurde im neu sanierten Fanta-Gebäude ein Presseevent abgehalten, bei dem auch der tschechische Verkehrsminister Martin Kupka (Bürgerdemokraten) zu den Rednern gehörte:
„Wir eröffnen heute eine neue symbolische Brücke vom Herzen der europäischen Kultur zum Herzen der europäischen Institutionen. Ich denke, dass dies ein Schritt in Richtung einer Renaissance der Nachtzüge in der ganzen EU sein kann.“
Der Chef der staatlichen Fremdenverkehrsagentur CzechTourism, František Reismüller, hob zudem hervor, dass der Zug nicht nur die Hauptstadt des Landes ansteuere, sondern auch Děčín und Ústí nad Labem / Aussig…
„Natürlich wollen alle das wunderschöne Prag sehen. Dieser Zug bietet aber auch die Möglichkeit, mehr Menschen in andere Regionen Tschechiens zu bringen.“
Reismüller betonte außerdem noch einen besonderen Vorteil des European Sleeper:
„Unsere Kampagnen zielen in diesem Jahr vor allem auf Aktivurlaub ab. Dahingehend hoffen wir, dass die Touristen aus Belgien und den Niederlanden ihr Fahrrad im Zug mitbringen und Tschechien sportlich erkunden werden.“
Nach dem Presseevent trat der European Sleeper am frühen Abend dann seine Rückreise nach Brüssel an – von wo aus es am Mittwochabend schon wieder zurück nach Prag geht.