Die Richterrobe tragen in Tschechien mehrheitlich Frauen
Wenige weibliche Führungskräfte und Unternehmerinnen, aber viele Verkäuferinnen und Sekretärinnen. Das ist das typische Bild einer Gesellschaft, in der noch traditionelle Rollenmuster vorherrschen und Berufe eingeteilt werden in so genannte männliche und weibliche. In Tschechien verhält es sich ebenso - mit einer Ausnahme. Im ehrenwerten Richterberuf stellen Frauen fast die Zweidrittelmehrheit. Warum das so ist, wird unterschiedlich begründet. Unser freier Mitarbeiter Thorsten Herdickerhoff hat die verschiedenen Erklärungen zusammengetragen. Hören Sie dazu die nun folgende Ausgabe unserer Sendereihe "Forum Gesellschaft".
Gewöhnlich werden zwei Gründe angeführt, wenn nach Erklärungen gefragt wird, warum in Tschechien über 62 Prozent der Richter Frauen sind:
"Ich vermute, die Hauptgründe dafür, dass Gericht und Staatsanwaltschaft in einem Feminisierungs-Prozess sind, liegen zum Teil in ihrem Prestige und der finanziellen Wertschätzung, die niedriger sind als zum Beispiel bei Rechtsanwälten und Notaren",
sagt die Soziologin Petra Rakusanova, und fügt als zweiten Grund hinzu:
"Aber es liegt auch daran, dass Frauen, die etwa 50 Prozent der Jura-Absolventen stellen, das Richter-Amt wählen, weil sie mit ihm besser Berufs- und Familienleben verbinden können."
Gerade dem zweiten Punkt stimmen viele Richterinnen zu. Als Staatsdiener genießen sie eine sichere Anstellung, geregelte Arbeitszeiten, Mutterschafts-Urlaub und die Garantie, nach der Erziehungszeit wieder auf ihre Stelle zurückkehren zu können. Anwalts-Kanzleien sollen weniger familienfreundlich sein und junge Frauen öfter erst gar nicht einstellen, aus Angst vor einer baldigen Schwangerschaft.
Die schlechte Bezahlung wird auch als ein Grund dafür angesehen, dass mehr Frauen am Gericht sind als Männer. Allerdings ist dieser Grund wohl eher Geschichte, wie Jaroslava Vitova erzählt. Sie ist Richterin am Bezirksgericht in Prag, und hat langjährige Berufserfahrung:
"Ich bin schon 27 Jahre in der tschechischen Justiz. Zur Zeit des Kommunismus war die Anzahl der Richterinnen viel höher. Ich sehe den Grund hierfür darin, und das ist meine persönliche Ansicht, dass zur Zeit des Kommunismus - und möglicherweise auch heute - die Bezahlung der Richter nicht so hoch war. Selbstverständlich war es für Männer nicht so interessant - wenn ich sie als Ernährer der Familie bezeichne -, während der kommunistischen Zeit den Beruf des Richters zu haben, und deshalb konzentrierte sich die Mehrheit der männlichen Juristen auf einen anderen Rechtsberuf als den des Richters."
Heute sind die Richter-Gehälter deutlich höher, fügt sie hinzu:
"Nach der Zeit des Kommunismus, nach der Revolution hat sich unsere Bezahlung sehr stark verbessert und erhöht."
Für das gegenwärtige Geschlechter-Verhältnis bei Gericht hat der Psychologe Jiri Dan noch eine andere Erklärung, nämlich die psychologischen Eignungstests für Bewerber auf das Richteramt:
"In Sachen Intelligenz sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern unerheblich. Allerdings ließe sich sagen, dass ein Teil der Männer emotional, persönlich und sozial unreif ist. Bei einer Untersuchung wird des Öfteren festgestellt, dass das Selbstbewusstsein mancher Männer zu niedrig angesiedelt ist."
Diesen Schluss zieht er aus den Ergebnissen der seit 14 Jahren durchgeführten Tests. Dan selbst prüfte in dieser Zeit zirka 1500 Bewerber auf eine zentrale Eigenschaft:
"Bei einem Richter gibt die Entscheidungs-Kompetenz den Ausschlag. Er muss imstande sein, langfristig sachbezogene Entscheidungen richtig zu treffen. Die Begutachtung basiert auf der Erkenntnis der persönlichen Eigenschaften, die zeitlebens eine Konstanz aufweisen."Unter den aktuell erfolgreich geprüften Bewerbern um das Richteramt sind Frauen mit 62 Prozent vertreten, und dieses Zahlen-Verhältnis ist sein Jahren ähnlich. Das erstaunte auch die Verantwortlichen, welche 1991 die Tests eingeführt hatten:
"Als vor Jahren die Anforderungen und Kriterien festgelegt wurden, wurde davon ausgegangen, dass der Anteil der Männer höher liegen muss. Die Erfahrungen der darauf folgen Jahre widerlegte aber diese Erwartung."
Und welchen Einfluss haben Prestige und Bezahlung eines Richters auf die Berufswahl? Zieht es männliche Juristen nicht von vornherein in die Kanzlei statt zur Richter-Prüfung, weil sie als Rechtsanwälte und Notare mehr Geld verdienen? Dazu der Psychologe Dan:
"Das ist ein Lieblings-Thema am Juristen-Stammtisch. Die Dienstbezüge eines Richters sind leicht zu ermitteln, wohingegen die Honorare der Rechtsvertreter nicht preisgegeben werden. Von richterlicher Seite ist die Rede von Honoraren einiger Spitzen-Rechtsanwälte, in Wirklichkeit scheint aber das Einkommen der meisten Anwälte das Niveau der richterlichen Besoldung nicht zu erreichen."
Und wie steht es mit dem Ansehen des Richter-Berufs?
"Seit Jahren verfolge ich, dass das Interesse für den Beruf des Richters bei juristischen Jung-Akademikern größer wird. Erhebungen das Prestige betreffend sind mir nicht bekannt, diese Frage wüsste ein Richter besser zu beantworten."
Die Richterin Jaroslava Vitova ist zufrieden, was das Prestige betrifft:
"Das Hauptziel, warum ein Mensch Richter sein sollte, ist das Prestige und die Stellung im Staat. Für die Mehrheit von uns Richtern ist es heute die Prestigefrage, warum wir Richter sind."
Heißt das etwa, an tschechischen Gerichten herrscht Gleichberechtigung bzw. eine leichte Bevorteilung von Frauen? In Europa ist es durchweg ungewöhnlich, dass auf zwei Drittel der Richtersessel Frauen sitzen. In Frankreich etwa ist das Verhältnis 50 zu 50, und in Deutschland sprechen nur 30 Prozent Frauen Recht. Wenn man an tschechischen Gerichten allerdings die Karriere-Leiter hinaufblickt, sieht man ganz oben fast nur noch Männer. Am Höchsten Gericht zum Beispiel haben nur 23 Prozent Frauen Zugang gefunden. Steigt also das Ansehen der Position, sinkt der Anteil der Frauen. In Deutschland und Frankreich verhält es sich ebenso, wie eine vergleichende Studie zeigt. Als Grund hierfür sieht sie das herrschende Bild vom Richter, dessen professioneller Habitus immer noch männlich vorgestellt wird. Wie sich das für Frauen auswirkt, erklärt die Studie mithilfe des Habitus-Konzepts des Soziologen Pierre Bourdieu. Hoch angesehene Positionen sind zugleich sehr exponiert. Das heißt, ihr Inhaber ist in der Öffentlichkeit stärker sichtbar und muss dadurch auch stärker dem als männlich vorgestellten Berufs-Bild entsprechen. Der Studie zufolge werden Frauen dadurch ausgegrenzt und erreichen oft nur Positionen, die öffentlich unsichtbar sind.