Maestro war gestern: Die Dirigentin Anna Novotná Pešková gibt im Orchestergraben den Ton an

Anna Novotná Pešková
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Von den 129 öffentlichen Berufsorchestern in Deutschland hatten im Jahr 2023 nur vier eine Chefdirigentin. Auch in Tschechien sind Frauen am Dirigentenpult weiterhin die Ausnahme – und eine dieser Ausnahmen ist Anna Novotná Pešková. Wir stellen die Nachwuchsdirigentin in der Serie „Ženy! Starke Tschechinnen und ihre Berufe“ vor.

Anna Novotná Pešková | Foto: Nationaltheater Prag

Anna Novotná Pešková stammt aus dem ostböhmischen Opočno und wuchs in Hradec Králové auf. Für die Musik hat sie schon immer eine große Leidenschaft gehabt. Zunächst wollte sie Opernsängerin werden, wie sie im Interview für Radio Prag International verriet:

„Mit der Zeit habe ich allerdings gemerkt, dass Gesang nicht der Weg ist, den ich einschlagen will, und ich lieber in einem anderen Bereich der Klassik arbeiten möchte. Hinzu kam, dass meine Kommilitonen wesentlich talentiertere Sänger waren als ich.“

Am Prager Konservatorium studierte Novotná Pešková deshalb nicht nur klassischen Gesang, sondern auch Dirigieren. Schon während ihrer Ausbildungszeit arbeitete die junge Frau mit der Prager Kinderoper zusammen, trat bei internationalen Festivals auf und beteiligte sich an einer Reihe von Operninszenierungen.

2020 dirigierte Novotná Pešková dann erstmals ein großes Musiktheater an einem professionellen Haus. Es handelte sich um das Theater Divadlo F. X. Šaldy in Liberec, an dem Mozarts Oper „Don Giovanni“ inszeniert wurde. An die Aufführung kann sich Novotná Pešková heute noch gut erinnern:

„Das war ein furchtbarer Stress. Heute würde ich vermutlich 99 Prozent ganz anders machen. Aber es war meine erste große Erfahrung, und dafür bin ich unfassbar dankbar.“

Anna Novotná Pešková | Foto: Dalibor Glück,  ČTK

„La Traviata“, „Hänsel und Gretel“ und „Der Liebestrank“

In Liberec durfte Novotná Pešková nach „Don Giovanni“ noch weitere Titel einstudieren, darunter auch die Weltpremiere der Oper „Legenda z Mlžných hor“ (Legende aus den Nebelbergen) des zeitgenössischen Komponisten Jan Kučera.

In den vergangenen Jahren stand Anna Novotná Pešková aber auch in den Theatern und Konzertsälen weiterer Städte hinter dem Pult – so etwa im Mährisch-Schlesischen Nationaltheater in Ostrava / Ostrau, dem Mährischen Theater Olomouc / Olmütz und dem Südböhmischen Theater in České Budějovice / Budweis. Seit 2023 ist Novotná Pešková zudem Stammdirigentin des Prager Nationaltheaters und der Staatsoper. „La Traviata“, „Der Liebestrank“ sowie „Hänsel und Gretel“ – all diese Opern durfte Novotná Pešková in der Moldaumetropole bereits dirigieren.

Frauen am Dirigentenpult sind die Ausnahme

Dass eine Frau an der Spitze eines Orchesters steht, ist in Tschechien bis heute die Ausnahme. Wo sieht Novotná Pešková die Gründe dafür?

„Das hat sicherlich mit den gesellschaftlichen Konventionen zu tun und damit, dass es sich gewissermaßen um eine Machtposition handelt, die deshalb mit dem männlichen Geschlecht verbunden wird. Ich würde das aber auch nicht nur schwarzsehen. Denn die Wahrnehmung ändert sich. Für meinen Geschmack könnte dieser Wandel zwar schneller gehen, aber immerhin gibt es ihn.“

Miriam Němcová | Foto: Tomáš Vodňanský,  Tschechischer Rundfunk

Die Musikerin betont zudem, dass sie selbst bisher keine Nachteile wegen ihres Geschlechts gehabt habe – auch nicht während ihrer Ausbildung…

„Das liegt vielleicht auch daran, dass ich anfangs bei einer Frau studiert habe – nämlich bei Miriam Němcová, einer großartigen, inspirierenden Dirigentin. Ich bin also gar nicht auf die Idee gekommen, dass eine weibliche Dirigentin etwas Außergewöhnliches sein könnte. Teilweise war das wohl auch selige Unwissenheit. Aber es hat mir im ganzen Studium wirklich niemand gesagt, dass es sich um einen Beruf handele, den Frauen lieber nicht ausüben sollten.“

Dirigentinnen in Tschechien

Dass Frauen in Tschechien als Dirigentinnen arbeiten, ist weiterhin die Ausnahme. In der Spielzeit 2024/2025 wurde mit Alena Hron erstmals in der Geschichte der Tschechischen Republik eine Frau zur Chefdirigentin eines Symphonieorchesters berufen – Hron leitet die Südböhmischen Philharmonie in Budweis. Als Pionierin in der von Männern dominierten Klassikwelt gilt heute Vítězslava Kaprálová (1915–1940). Mehr über ihr bewegtes Leben erfahren Sie hier.

Auch ihre Kollegen, mit denen sie heute zusammenarbeitet, würden sie respektieren, sagt Novotná Pešková:

„Die Musiker und Sänger haben kein Problem mit mir als Frau. Ihnen geht es vielmehr darum, dass ich gut vorbereitet bin, das Ensemble respektiere und ob ich weiß, was ich will. Mein Geschlecht ist dabei egal – zumindest war das bisher immer mein Eindruck. Anders ist das womöglich in der Führungsebene. Dort ist die Tradition, dass Männer diesen Beruf ausüben, vielleicht stärker verankert.“

Anna Novotná Pešková | Foto: Hana Řeháková,  Radio Prague International

Sie würde es jedoch begrüßen, fügt Novotná Pešková hinzu, wenn sich daran etwas ändern würde und es künftig mehr weibliche Dirigentinnen gäbe…

„Es wäre gut, Weiblichkeit in dem Beruf nicht zu missbrauchen, sondern zu gebrauchen. Frauen wird nachgesagt, eleganter zu sein. Außerdem – und an dieser Stelle muss ich mich bei allen männlichen Kollegen entschuldigen – gelten wir als gründlicher. Diese weiblichen Attribute in den Dirigentenberuf zu tragen, kann nur von Vorteil sein.“

Dirigieren ist mehr als nur das Bewegen der Hände

Anna Novotná Pešková kann sich ihr Leben ohne Konzerte, Opern und Ballette heute nicht mehr vorstellen. Und sie betont:

Man muss die Stimmgruppen verstehen und mit der Stimme der Sänger arbeiten können.

„Die Bewegung der Hände, dieses ‚Herumwedeln‘, ist erst der allerletzte Schritt. Zuvor muss man genauestens die Partitur studiert haben, penibel hinhören und das Stück im besten Fall auch selbst spielen können, etwa auf dem Klavier. Man muss die Stimmgruppen verstehen und mit der Stimme der Sänger arbeiten können. Das Berufsbild ist also ein komplexes Gesamtpaket.“

Und zu diesem Paket kommt noch hinzu, dass man als Dirigent recht viel auf Achse ist.

„Das ist schon recht anstrengend. Natürlich kann man auch nur bei einem Ensemble tätig sein. Aber vor allem für Nachwuchsdirigenten ist es meiner Ansicht nach sehr wichtig, möglichst viele verschiedene Erfahrungen zu sammeln. Man reist also viel, muss früh aufstehen und etwa die Partitur im Zug durchgehen. Das ist nicht ganz einfach und auch nicht leicht mit einem Familienleben oder einem Alltag zu verbinden. Aber für mich gehört all das zu einem Beruf, den man liebt, einfach dazu. Und bei Künstlern ist es wohl generell normal, dass sie mehr opfern als Menschen, die einen Job haben, der nur von neun Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags dauert.“

Belohnt wird Novotná Pešková durch die Atmosphäre, die sie erlebt, wenn sie vor einem Ensemble steht und dirigieren darf. Einen großen Einfluss habe dabei auch die Stimmung im Zuschauerraum, sagt sie:

„Ich merke zum einen natürlich, wie die Laune im Orchestergraben ist. Wenn wir etwa müde sind, versuche ich, das Orchester in die bestmögliche Stimmung zu bringen. Ich nehme aber auch wahr, was hinter meinem Rücken passiert. Und wenn da eine gute Stimmung herrscht und das Publikum mit mir verschmilzt, ist das wunderbar – einfach ein unbeschreiblich schönes Gefühl.“

Ich bewundere alle Frauen, die zu meinen Kolleginnen zählen.

Zu ihrem Beruf im Orchestergraben sagt die Dirigentin außerdem noch:

„Man liebt diesen Job nicht jeden Tag zu Tausend Prozent. Aber dann gibt es eine Vorstellung, die gut gelingt, und gleich kommt die Leidenschaft wieder zurück. Ich glaube, das macht diesen Beruf auch so besonders.“

Eines ihrer Idole in jüngeren Jahren sei im Übrigen Herbert von Karajan gewesen, sagt Anna Novotná Pešková. Heute nehme sie sich aber auch Frauen als Vorbild:

„Ich bewundere alle Frauen, die zu meinen Kolleginnen zählen“, so die junge Dirigentin.

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