OP-Saal, Tumor-Forschung und Stepptanz: Chefärztin Jarmila Heissigerová

Jarmila Heissigerová
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Dass Frauen den Arztberuf ergreifen, ist heutzutage nichts Besonderes mehr. Doch sind sie in Tschechien nur selten in führender Position tätig. Eine der wenigen, die die Karriereleiter hinaufsteigen konnten, ist die Augenärztin Jarmila Heissigerová.

Sie leitet die größte Uni-Augenklinik Tschechiens und ist Professorin an der Prager Karlsuniversität: die Ärztin Jarmila Heissigerová. Fachlich vorangebracht hat sie vor allem ein Aufenthalt in Schottland. Im Rahmen ihres Doktorstudiums beschäftigte sie sich Ende der 1990er Jahre mit dem Problem von Abstoßungsreaktionen nach der Implantation einer Hornhaut. Dann bekam sie das Angebot, für etwas mehr als ein Jahr zu einer Kapazität im Bereich der Immunologie bei Augenkrankheiten zu gehen: John Forrester, Professor an der Universität in Aberdeen. Zunächst sei sie jedoch in Prag an der Karlsuniversität geblieben, sagt Heissigerová im Interview für Radio Prag International...

Im Labor | Foto: Archiv von Jarmila Heissigerová

„Nach zwei Jahren meldete sich Professor Forrester erneut. Er sagte, er habe noch ein besseres Angebot. Ich würde mich nicht nur mit der Immunologie beschäftigen, sondern könnte mit ihm zusammen auch ein Jahr lang in der Ambulanz arbeiten. Das bedeutete, bei Operationen und Visiten dabei zu sein. Außerdem könnte ich bei den Patienten einige klinische Studien im Bereich der Augen-Immunologie durchführen, hieß es. Das war sehr verlockend, erforderte aber eine grundlegende Lebensentscheidung. Ich bin schließlich dort hingegangen und blieb letztlich nicht nur ein, sondern sogar zwei Jahre“, so die Ärztin.

Das war von 2002 bis 2004. Die junge Medizinerin lernte danach bei John Forrester, wie man Grauen Star und die Netzhaut operiert. Und sie trieb ihre Forschungen voran:

„Wir haben immunologische Blutuntersuchungen durchgeführt und beobachtet, wie Medikamente den Organismus beeinflussen. Es war eine ziemliche Pionierarbeit. Ich habe da aber nicht nur gelernt, wie Forschungsarbeit funktioniert, sondern auch Einblicke in das dortige Gesundheitssystem bekommen. Und ich muss sagen, ich bin dann mit dem Eindruck nach Hause zurückgekehrt, dass die medizinische Betreuung in Großbritannien zwar auf hohem Niveau ist, aber in Tschechien die Menschen einfacher zu einem Arzt kommen.“

Direkt nach dem Aufenthalt in Aberdeen nahm Jarmila Heissigerová eine Stelle in der Augenklinik des Universitätskrankenhauses im Prager Stadtteil Vinohrady an. Es ist die Klinik, die sie heute leitet.

Im Operationssaal | Foto: Archiv von Jarmila Heissigerová

Labor statt Tanzparkett

Neben der Medizin hat die Ärztin noch eine große Leidenschaft: den Stepptanz. Gerade dort lernte sie ihren heutigen Ehemann, Jindřich Heissiger, kennen. Und beide waren in jüngeren Jahren sehr erfolgreiche Tänzer...

„Ich hatte das Glück, dass ich schon im Solo-Stepptanz tschechische Meisterin wurde. Danach hatten mein Mann und ich als Paar ebenfalls Erfolg. Wir haben bei allen hiesigen Meisterschaften und Wettbewerben, zu denen wir angetreten sind, auch gesiegt. Einmal sind wir sogar zur Weltmeisterschaft gefahren, haben aber nicht gewonnen. Als wir dann in unser eigenes Haus zogen, hat mein Mann alles organisiert, um einen eigenen Tanzsaal einzurichten. Auf meinen Vorschlag hin hat er dort Parkett verlegen und Spiegel anbringen lassen. Und in dem schönen Saal geben wir heute Stepptanzkurse“, so Heissigerová.

Weltmeisterschaft im Stepptanz,  Riesa 1998 | Foto: Archiv von Jarmila Heissigerová

1997 gewann sie im Solo-Stepptanz den tschechischen Meistertitel. Während ihres Medizinstudiums habe sie dann eine Krise bewältigen müssen und mit einer künstlerischen Karriere geliebäugelt, erzählt Jarmila Heissigerová:

„Am Ende des zweiten Studienjahrs hatte ich das Gefühl, dass ich eher Stepptanz machen und ins Showbusiness einsteigen sollte. Dann machte ich ein einmonatiges Praktikum an einer Klinik in Deutschland, und da hat mich die Medizin wieder gepackt. Heute bin ich sehr froh, dass ich dabei geblieben bin. Denn der Stepptanz ist mir als Hobby erhalten geblieben und als Möglichkeit, um in Bewegung zu bleiben.“

In ihrem Beruf ist Heissigerová aber auch in Bewegung geblieben, sonst hätte sie kaum eine solche Karriere hinlegen können. Diese hat sie bis zur Chefärztin der Augenklinik in Prag-Vinohrady geführt.

Foto: Archiv von Jarmila Heissigerová

„Die Klinik hat rund 120 Angestellte. Das sind mehr als 60 Krankenschwestern und rund 50 Ärzte, die aber nicht alle Vollzeit arbeiten. Sie teilen sich 26 Arbeitsstellen. Das funktioniert einfach hervorragend, aber es ist ein relativ großes Team. Als ich am 1. Februar 2016 die Leitung der Augenklinik übernahm, dachte ich, dass es nun ums Management gehen werde – also die finanziellen und ökonomischen Angelegenheiten. Doch schon in der ersten Woche bin ich hart auf den Boden der Realität geholt worden. Denn ich stellte fest, dass ich mich in den kommenden Jahren vor allem um die Angestellten und ihre Angelegenheiten kümmern werde. Es ist eine Arbeit mit Menschen und für Menschen“, schildert die Ärztin.

2017 wurde sie zur Professorin an der Karlsuniversität ernannt, ihrer Alma Mater. Zudem ist Heissigerová Mutter von drei Kindern, die heute 14, 16 und 18 Jahre alt sind. Das sei alles nur möglich gewesen, weil sie von ihrem Mann unterstützt werde, betont sie:

„Da hatte ich großes Glück bei der Wahl meines Ehepartners. Ich habe immer seine Unterstützung sowie die meiner und seiner Familie gespürt. Als ich mein zweites Kind erwartete und meine Dozentin Eva Říhová mir vorschlug, dass ich doch versuchen könnte, meine Habilitation zu machen, hat meine ganze Familie alles um mich herum so organisiert, dass ich auch neben der Betreuung des Säuglings meine Arbeit schreiben konnte. Sie haben mich also unglaublich unterstützt. Also machte ich im Mutterschaftsurlaub und in der Elternzeit meine Habilitation.“

Jarmila Heissigerová mit ihrer Familie | Foto: Archiv von Jarmila Heissigerová

Als sie sich zur Chefärztin ausbilden ließ, hatte Heissigerová bereits ihre drei Kinder. Außerdem sagt sie, dass sie sich persönlich nie als Frau in ihrem Fachbereich diskriminiert gefühlt habe. Wobei sie aber anderswo auch anderes mitbekommen habe...

„Während des Studiums habe ich einige Professoren für Chirurgie oder Orthopädie kennen gelernt, die sich sichtbar auf den männlichen Teil in unseren Kreisen konzentriert haben und fanden, dass wir Frauen irgendwie überflüssig wären. Beim Staatsexamen wurden wir sogar gefragt, wie Knödel gekocht werden. Das, denke ich, ist heute aber nicht mehr möglich. Als ich hier in der Klinik begann, waren der damalige Leiter Martin Filipec sowie Professor Forrester in Aberdeen unglaublich offen für eine Zusammenarbeit und gaben uns Frauen alle Möglichkeiten. Ich hatte nie das Gefühl, dass es mich irgendwie gebremst hätte, eine Frau zu sein“, findet Jarmila Heissigerová.

Hommage an die erste tschechische Ärztin

Obwohl die Chefärztin in ihrer Funktion vor allem bei der Führung ihres Teams gefordert ist, steht sie einen Tag in der Woche auch selbst im OP-Saal. An weiteren zwei Tagen kümmert sie sich in der Ambulanz um die Patienten.

Petra Lišková | Foto: 1. lékařská fakulta UK / Karlsuniversität

Außerdem hat Heissigerová zusammen mit ihrer Kollegin Petra Svozílková ein erfolgreiches Forschungsteam auf die Beine gestellt. Dabei schufen sie zum Beispiel das hierzulande überhaupt erste Modell von Augenentzündungen. Und sie haben Nachwuchswissenschaftler ins Team geholt:

„Bei der Forschung haben wir in unserer Klinik noch einen Star, und das ist Professorin Petra Lišková. Sie hat mehrere Jahre lang in London gearbeitet und in der Augengenetik weltweite Kooperationen auf die Beine gestellt. In der Forschung gehen wir hier zwei Richtungen nach: Das ist zum einen der Bereich Genetik und Entzündungen und zum anderen der Bereich Tumore und der Einfluss von Mikroorganismen auf diese Erkrankungen.“

Im Interview erinnert die Chefärztin aber ebenfalls an die erste Frau, die an der Prager Karlsuniversität im Fach Medizin promoviert hat. Das war Anna Honzáková zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Gerne würde sie ihre Vorgängerin fragen, was sie für die Medizin begeistert und warum sie die Barrieren für Frauen durchbrochen habe, sagt Heissigerová:

Anna Honzáková | Quelle:  Zeitschrift Eva,  public domain

„Sie hat den Weg für weitere Tschechinnen geebnet. Denn 1915 und 1916 promovierten bereits weitere Frauen. Allerdings mussten sie dafür in die Schweiz gehen, die demgegenüber aufgeschlossener war. Und danach hatten die Frauen hierzulande auch keine Arbeitsmöglichkeiten. Anna Honzáková hat den Grundstein gelegt für die Frauenmedizin. Ich bin heute nicht nur Ärztin, sondern auch Professorin an der Karlsuniversität, leite eine Klinik und bin Dekanin im Wissenschaftsrat. Davon konnten diese Frauen nicht einmal träumen. Sie haben uns den Weg bereitet. Dafür bin ich unglaublich dankbar und spreche dabei für alle Frauen.“

Doch Führungspositionen, so wie in ihrem eigenen Fall, nehmen auch im heutigen Tschechien immer noch nicht viele Ärztinnen ein. Im wissenschaftlichen Rat ihres Krankenhauses seien von fast 60 Mitgliedern nur sieben Frauen, sagt Jarmila Heissigerová. Es scheint, dass es noch viel zu verbessern gibt.

Die erste tschechische Ärztin

Anna Honzáková promovierte 1902 an der Prager Karlsuniversität in Medizin. Nach drei Jahren Arbeit in einem Krankenhaus machte sie eine eigene gynäkologische Praxis auf. Zudem setzte sie sich für Frauenrechte ein. Mehr Informationen zu Honzáková finden Sie hier.

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