„Die Todesmühlen“ – Hanuš Burger zwischen Deutschen und Tschechen, zwischen Theater und Film (II)

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In unserem letzten Kultursalon haben wir die Ausbildung und die ersten Karriereschritte Hanuš Burgers begleitet. Vor dem Aufstieg der Nazis musste er nach Amerika flüchten. Dort konnte sein Dokumentarfilm „Crisis“ über den Aufstieg der Sudetendeutschen Partei Erfolge feiern. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kehrt er als Soldat nach Europa zurück. Damit endet sein Weg durch die Wirren des 20. Jahrhunderts aber noch lange nicht.

Hanuš Burger wurde in Amerika nicht richtig akzeptiert. Als „vorzeitiger Antifaschist“, ein Euphemismus für Kommunist, war er den Behörden suspekt. Seine erste, freiwillige Meldung zur amerikanischen Armee wurde daher abgelehnt. Erst 1942 wurde er eingezogen und landet bei einer Propagandaeinheit im so genannten Camp Ritchie. In seinen Memoiren „Der Frühling war es wert“ beschreibt Burger den Sinn der Einheit im Camp Ritchie wie folgt:

„Ziel ist die Erforschung der psychischen Widerstandskraft des Gegners und ihre Lähmung. Gleichzeitig war dieses Camp auch ein Ausdruck der verspielten, oftmals naiven, öfter infantil primitiven, aber stets pragmatischen Natur der Amerikaner.“

Camp Ritchie
In das Camp Ritchie wurden Soldaten geschickt, die eine oder besser noch mehrere europäische Sprachen beherrschten. Burger übernahm als Regisseur das Ausbildungstheater in Camp Ritchie. Dort wurden Szenen aus dem besetzten Europa gespielt, um die Soldaten auf den kommenden Krieg vorzubereiten. Burger drehte sogar einen fünfteiligen Ausbildungsfilm mit dem Titel „Kill or Be Killed“, der in der US-Armee noch bis zum Koreakrieg zum Ausbildungsangebot gehörte. Allerdings erfuhr Burger bei der Armee nicht nur Gutes, wie sich seine Tochter Jana Burgerová erinnert:

Camp Ritchie
„Er hat mir sehr viel aus Amerika erzählt, wie er bei der Armee war. Da hat er auch extremen Antisemitismus und Diskriminierung gegenüber jüdischen Kommunisten erlebt. Und diese Aufregung in diesem Geheimsender.“

Vor allem seine Diskriminierung als Kommunist machte ihm zu schaffen: Obwohl er kämpfen wollte, kam er als „Vorzeitiger Antifaschist“ nicht aus Camp Ritchie raus. Erst als eine mobile Sendekompanie für den Fronteinsatz aufgestellt wurde, fand sich eine Verwendung für Burger. Über die Einheit schrieb er:

Soldaten in Camp Ritchie
„Wir waren […] jetzt eine kompakte Kompanie, nicht mehr eine lose Schar von Soldaten wie in den verschiedenen Trainingscamps, die wir durchlaufen hatten. Wir besaßen einen Captain, drei Leutnants, die nötigen Fahrer, Köche, Schreiber, eine Gruppe Fernmeldetechniker und einen aufsässigen schrullenbehafteten Haufen von Intellektuellen.“

Zu diesen Intellektuellen gehörten Universitätsdozenten, Rundfunksprecher, Studenten, Schriftsteller und Musikprofessoren. Die bunte Truppe ging 1944 in der Normandie an Land. Ihre Aufgabe bestand hauptsächlich darin, Gefangene zu verhören in zurückeroberten Dörfern die Nationalhymnen der Befreier zu spielen oder die gegnerischen Soldaten zum Aufgeben aufzufordern. Im letzten Kriegswinter in Luxemburg wurde Burger dann vom OSS rekrutiert. Das Office of Strategic Services war der Vorgänger der CIA und erschuf in Luxemburg den Radiosender 1212, der in Deutschland Fehlinformationen verbreitete. Durch seine Tätigkeit dort erhielt Burger nach Kriegsende einen besonderen Auftrag: er sollte einen Film zur Umerziehung der Deutschen machen. Burger dreht mit Aufnahmen aus deutschen Konzentrationslagern den Film „Die Todesmühlen“. Bereits in der Einleitung wird der Massenmord angesprochen:

„20 Millionen Menschen. Das entspricht der Bevölkerung von 22 amerikanischen Staaten. 20 Millionen Leichen. Das Produkt von 300 Konzentrationslagern überall in Deutschland und in den besetzen Gebieten.“

Der Film zeigt, was die Allierten bei der Befreiung der deutschen KZs vorgefunden hatten: Überlebende, Lebensbedingungen in den Lagern und Beweise für den Massenmord. Bei der Uraufführung im Oktober 1945 in München lernte Burger in den Bavaria-Studios Annette Richter kennen, die spätere seine Frau werden sollte. Vorher jedoch kehrte er in die USA zurück. Ein Bekannter vermittelte ihm einen Job beim Fernsehsender CBS: Burger wurde Leiter der Filmabteilung. Er drehte Reportagen und Zeichentrickfilme und arbeitete an einem ersten Farbfilm für das junge Medium Fernsehen.

In Amerika begann gegen Ende der 1940er Jahre aber auch eine paranoide Zeit. Burger beschreibt in seinen Erinnerungen die Suche nach kommunistischen Staatsfeinden:

Dokumentarfilm „First Steps“
„Die Hetze in den Zeitungen, gegen alles, was auch nur im entferntesten nach links aussah, nahm täglich zu. Da half es wenig, dass einer für Amerika seinen Kragen riskiert hatte. Im Handumdrehen konnte man als „un-american“ angesehen werden.“

Er hat aber auch Glück. Der neue Chef der visuellen Informationsabteilung der UNO, der französische Regisseur Jean Benoit-Lévy, erinnerte sich an Burgers Erstlingswerk „Crisis“ und holte ihn als Filmprogrammchef in seine Abteilung. Burger begann, für die UNO Dokumentarfilme zu drehen. Einer von ihnen war „First Steps“. In dem Streifen wurde gezeigt, wie ein Kind laufen lernt, von den ersten Bewegungen, bis hin zu selbstständigen Schritten. 1948 erhielt der 10-minütige Film in der Kategorie „Bester Dokumentar-Kurzfilm“ sogar einen Oskar.

Der Druck durch das Komitee für unamerikanische Umtriebe wird Burger aber zu groß. Bevor auch er vorgeladen werden konnte, entschied er sich, mit seiner schwangeren Frau Annette nach Prag zurückzukehren.

Er flog in eine kommunistische Tschechoslowakei, von der er sich die Erfüllung seiner Utopien erhoffte – der Empfang war jedoch kühl. Zunächst schlug ihm überall Misstrauen entgegen, schließlich war er amerikanischer Soldat und Staatsbürger gewesen, hatte im Krieg für den Geheimdienst gearbeitet und war mit einer Deutschen verheiratet. Seine Tochter schildert die Situation:

„Das war ja seine zweite Emigration, ich glaube, dass er lieber in Amerika geblieben wäre und eher die Wehmut und die Sehnsucht ausgehalten hätte. Aber das konnte er ja nicht mehr rückgängig machen.“

Burger durfte nach langem Warten beim Fernsehen beginnen und wurde der Wochenschau zugeteilt. Er war zufrieden, endlich wieder arbeiten zu können. Eine seiner ersten Reportagen drehte er über den bekannten Läufer Emil Zátopek. Burger erlebte aber auch den stalinistischen Terror: Kollegen wurden verhaftet und aus der Partei ausgeschlossen und auch Burger selbst erhielt mehrmals die Kündigung, die aber nach Protesten wieder zurückgenommen wurde. Als die Familie Ende 1951 endlich eine Wohnung erhielt, ist er noch frohen Mutes. Dies ändert sich aber sechs Jahre später:

„Es waren sehr viele Schauspieler bei uns, viele ausländische Schauspieler, das war sehr kompliziert, und als wir dann später festgestellt haben, dass die Wohnung verwanzt war, war es für ihn ein unglaublicher Schlag.“

Trotzdem glaubt Burger weiter an den Sozialismus. Auch die Slánský-Prozesse können ihn nicht umstimmen, obwohl er sie kritisch in seinem Tagebuch kommentiert. Jana Burgerová:

„Ich habe aber nie gehört, dass er daran gezweifelt hatte, dass er mit seiner schwangeren Frau nach Prag gegangen war. Er hat es im Gegenteil sehr idealisiert und diese stalinistischen Prozesse bagatellisiert oder er wollte das nicht hören. Und das, obwohl bei uns ja eine Familie gelebt hat, wo Lenka Reinerová, die Schriftstellerin ja im Gefängnis war.“

Es dauerte 10 Jahre, bis sich die Situation besserte. Burger wurde 1961 Chefregisseur des Jugendfernsehens und konnte in der etwas entspannteren Zeit vor dem Prager Frühling endlich wieder Filme drehen. Innerlich hatte er da aber bereits resigniert. Er schrieb: „Der Spaß war vorbei, es kam zu spät!“

Erst mit dem Prager Frühling kehrt sein Enthusiasmus wieder zurück, wie Jana Burgerová erklärt:

„Sein ganzer Idealismus, also Idealismus für die Sache des Sozialismus, ist wieder voll ausgebrochen. Er war unglaublich aktiv und ist nach Ostrau gefahren und hat Rundfunk und Fernsehsendungen gemacht. Er hat agitiert und war überzeugt, das jetzt – und jetzt übertreibe ich – die Welt in Ordnung sein wird.“

Aber die Welt war nicht in Ordnung. Die Familie Burger emigrierte, nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes, erneut, diesmal nach Deutschland. Dort war es für ihn nicht leicht, so seine Tochter:

„Es war schwierig für ihn, in Deutschland zu sein. Erstens hatten wir Schwierigkeiten mit Papieren. Meine beiden Eltern haben nie die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen und wurden hier ganz schön drangsaliert, auch von der Polizei. Und dann hat er, ich kann es mittlerweile auch nachvollziehen, sehr viel Antisemitismus erlebt. Das war für ihn schwierig. Er war auch sehr wehmütig und hat das alles hier nicht so angenommen, obwohl er Arbeitsmöglichkeiten hatte.“

Burger arbeitete wieder für das Fernsehen, er drehte Porträts über Böll und Brandt und schrieb sogar das Drehbuch für einen Tatort. Daneben führte er an kleinen Theatern Regie und begann zu schreiben. Burger stirbt 1990, die Wende in der Tschechoslowakei hatte er wegen einer schweren Diabeteserkrankung nicht mehr richtig mitbekommen.