Die tschechische Außenpolitik und die Tschechen
Die geplante US-amerikanische Radaranlage in Mittelböhmen und die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft – dies sind wohl jene beiden außenpolitischen Themen, die die tschechische Öffentlichkeit derzeit am meisten beschäftigen. Wie aber ist es generell um das Interesse der Tschechinnen und Tschechen an internationaler Politik bestellt? Das haben wir Petr Drulák gefragt, den Direktor des Prager Instituts für Internationale Beziehungen. Anlass für unser Gespräch: Drulák hat gerade eine Kommunikationsoffensive gestartet, mit der er der Zeitschrift „Mezinárodní politika“, also „Internationale Politik“, die von seinem Haus herausgegeben wird, zu einer größeren Auflage verhelfen will.
Herr Direktor Drulák, wie groß ist das Interesse der Tschechen für Außenpolitik?
„Mein Beruf ist die Erforschung der internationalen Politik, also für mich wird das öffentliche Interesse daran nie groß genug sein. Aber trotzdem: Ich glaube es gibt außenpolitische Themen, die die Tschechen interessieren und zu denen sie in der Lage sind, einen Standpunkt einzunehmen. Zum Beispiel Themen, die mit Russland verbunden sind, oder auch die europäische Integration. Die Tschechische Republik wird in Europa eher als euroskeptisches Land wahrgenommen, aber wenn man sich die öffentliche Wahrnehmung der EU ansieht, dann stimmt das eigentlich nicht. Diese ist natürlich nicht das Hauptthema im Leben der Tschechen, aber trotzdem gibt es Interesse. Und in dem Zusammenhang glaube ich, dass es auch realistisch ist, mit unserer Zeitschrift nun ein etwas ehrgeizigeres Ziel anzustreben als es dem bisherigen Stand entspricht.“
Vor einigen Jahren habe ich mit dem damaligen Verteidigungsminister Karel Kühnl ein Interview geführt, der während der kommunistischen Zeit als Emigrant eine Zeitlang in Österreich gelebt hat. Er hat gemeint, dass nach der Wende, also nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft, die Tschechen sich mehr für Washington und London interessiert haben als für die unmittelbaren Nachbarn und die deutsch-tschechischen oder österreichisch-tschechischen Beziehungen. Stimmt das? Und wenn ja, hat sich das in letzter Zeit verbessert?
„Auf der Ebene der politischen und wahrscheinlich auch der gesellschaftlichen Elite gilt, dass der angelsächsische Einfluss viel stärker ist als der Einfluss der näheren Nachbarschaft, etwa Deutschlands oder Frankreichs. Das hat mit der Globalisierung zu tun. Englisch ist die Weltsprache, und die wichtigsten Diskussionen und Erkenntnisse zirkulieren in englischer Sprache. Das heißt, dass die Leute, die in Washington oder London wirken, einflussreicher sind als die Leute in Berlin oder Paris. Aber trotzdem würde ich nicht sagen, dass Deutschland hier unbekannt ist – sowohl was die Kultur, als auch was die Wirtschaft und die Politik betrifft. Ich glaube, besonders die deutsche Politik wird hier ganz genau beobachtet. Die Leute kennen Angela Merkel und andere deutsche Politiker vermutlich besser als englische Politiker.“
Das außenpolitische Thema Nummer eins, das nicht nur hier in Tschechien die Menschen interessiert, sondern auch in deutschsprachigen Medien immer wieder vorkommt, ist vermutlich die mögliche Stationierung einer US-Radaranlage im Zusammenhang mit einem Raketenabwehrsystem in der Tschechischen Republik. Die internationale Öffentlichkeit blickt hier sehr genau nach Tschechien. In Tschechien selbst ist die Regierung dafür, die Opposition aber dagegen und die Bevölkerung nach allen Umfragen eigentlich auch. Ist die geplante Errichtung ausländischer Militäranlagen tatsächlich so ein wunder Punkt? Wie ist da der Nerv der Tschechen?
„Die Stimmung unter den Tschechen ist von Pazifismus geprägt und von einer Skepsis gegenüber allem Militärischen. Also wenn man auf diesem Gebiet etwas unternehmen will, muss man sehr gut überzeugen und viele Argumente bringen. In diesem Sinne überrascht es mich eigentlich nicht, dass so eine Initiative nicht auf Begeisterung stößt. Die öffentliche Meinung in Tschechien wird immer gegen militärische Initiativen sein. Ich glaube, dass die Regierung die Informationskampagne unterschätzt und nicht wirklich überzeugt hat. Meiner Ansicht nach gibt es gute Gründe dafür, und auch gute Gründe dagegen, aber die Kampagne hat dem Projekt nicht viel geholfen.“
Was die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft betrifft: Sehen Sie da einen neuen Impuls für das allgemeine Interesse an Außenpolitik?
„Ich glaube, die Präsidentschaft wird für uns eine gute Gelegenheit sein, die Europäisierung der Politik fortzusetzen, aber auch eine Gelegenheit zu zeigen, ob wir in der Lage sind, etwas zu Europa beizutragen. Natürlich wird man hier mehr über Europa hören als üblich, doch es ist schwer zu sagen, ob das in der öffentlichen Meinung eher positiv oder eher negativ wahrgenommen wird. Und auch die Aufmerksamkeit Europas wird für sechs Monate auf Prag gerichtet sein. Wie gesagt: Es ist eine Gelegenheit. Wie wir diese Gelegenheit nutzen, das ist schwer vorherzusagen.“
Kommen wir noch zu Ihnen persönlich: Sie sind bereits seit einigen Jahren Direktor des Instituts für Internationale Beziehungen, aber sie sind noch sehr jung.
„Ich bin 36, seit vier Jahren bin ich Direktor des Instituts.“
Der ehemalige tschechische Außenminister Jiří Dienstbier erzählt von sich selbst, dass er sich schon als Kind von seinem Taschengeld ein mehrbändiges Werk über internationale Diplomatie gekauft hat. Ist das Interesse daran bei Ihnen auch so früh entstanden?
„Ich kenne Jiří Dienstbier sehr gut. Ich habe für ihn mehrere Jahre gearbeitet, als er nicht mehr Außenminister sondern Oppositionspolitiker war. Ich mag ihn sehr und kenne natürlich diese Geschichte. Bei mir war zunächst eher historisches Interesse da. Aber wenn man Geschichte studiert, europäische oder tschechische Geschichte, dann kann man eigentlich die internationale Dimension nicht meiden. Seit meiner Jugend habe ich dieses historische und damit auch außenpolitische Interesse. Aber so eine schöne Geschichte wie Dienstbier, der sich als zwölfjähriger Junge die ‚Geschichte der Diplomatie’ gekauft hat, habe ich leider nicht.“