Die Über-Daddys und der Nicht-Prophet – Jonathan Meese in Prag

Foto: Annette Kraus

Was macht Jonathan Meese in Prag? Er sitzt in einer Box und schreit. Nichts Ungewöhnliches für den deutschen Künstler. Mit seiner Performance in der Nationalgalerie setzte Meese am Dienstagabend den Gegenpol zur Ausstellung „Künstler und Propheten“.

„Erzbox“  (Foto: Annette Kraus)
Jonathan Meeses Stimme schallte durch den Prager Messepalast:

„Ich bin hier gerade in einer Kiste. In einer Box. Und die Kunst, das ist Distanzmachungsmaschine. Ja, ich mach alles für die Kunst.“

Rund tausend Besucher waren gekommen, um Meese dabei zuzusehen. Der Künstler ist absorbiert in seiner über und über mit Pamphleten beklebten „Erzbox“. In der Hauptsache führt der selbsternannte Dr. No einen zweistündigen Ablehnungsmonolog. Weg mit der Politik, weg mit der Religion, weg mit den Ideologien. Die Lösung lautet: Nein. Eingeladen wurde Meese von der Prager Nationalgalerie. Adam Budak ist der Chefkurator des Hauses:

Adam Budak und Pamela Kort  (Foto: Annette Kraus)
„Es ist die völlige Hingabe. Die Arbeit von Jonathan Meese dreht sich um Leidenschaft, Liebe, Engagement und Hingabe. Die Kunst hat die Priorität vor der Realität. Meese will die Realität durch die Kunst ersetzen, seine Prämisse ist die Diktatur der Kunst. In dieser Performance manifestiert sich das sehr deutlich.“

Die Performance ist Teil der Ausstellung „Künstler und Propheten“, die zugleich am Dienstag eröffnet hat. Die New Yorker Kunsthistorikerin Pamela Kort hat sie für die Frankfurter Kunsthalle Schirn kuratiert, nun ist die Ausstellung nach Prag gewandert. Meese allerdings ist ganz neu dabei, sagt Adam Budak:

„Das ist nun eine unglaubliche Ergänzung, in Frankfurt war Meese nicht präsent. Pamela Kort hat Jonathan Meese vor zwei Monaten durch die Ausstellung in der Schirn geführt. Und er war völlig begeistert von dem ganzen Thema. Er hat natürlich seine ‚Über-Daddys‘ in all diesen Propheten erkannt.“

Foto: Annette Kraus
Die Über-Daddys, das sind Männer wie Karl Diefenbach, Gusto Gräser oder Friedrich Muck-Lamberty. Es waren spirituelle Heilsbringer ganz unterschiedlicher Coleur, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Jünger um sich scharten, sagt Pamela Kort.

„Warum kennen wir sie heute nicht mehr? Was ist passiert? Es ist so: die Geschichte dieser Propheten ist mit dem Irrationalen verbunden. Und irrationale Dinge sind in Deutschland seit 1945 verboten. Diese Propheten waren keine Nationalsozialisten. Aber es gab eben diesen Wunsch nach einem neuen Retter, und indirekt haben sie diesem Bedürfnis entsprochen.“

Die Ansätze der Lebensreformer, die zum Beispiel den Vegetarismus gepredigt oder das gemeinschaftliche Leben verherrlicht hatten, schlugen sich trotzdem weiter nieder – in der modernen Kunst. Egon Schiele etwa verehrte Diefenbach, das Thema des gepeinigten Propheten zieht sich durch sein Werk. Joseph Beuys trat selbst auf wie ein Messias. Friedensreich Hundertwasser wollte die ökologische Wende und bastelte sich seine eigenen Schuhe wie einst Gusto Gräser. Die Ausstellung zieht anhand von Dokumenten und Gemälden Verbindungslinien von den Propheten zur Moderne. Eine bedeutende und sehr frühe führt über den tschechischen Maler František Kupka. Pamela Kort:

Jonathan Meese  (Foto: Hic et nunc,  Wikimedia Public Domain)
„Kupka absorbierte diese Bewegungen. Er war ein Jünger von Diefenbach und ging in dessen Kommune. Aber nach ein paar Wochen merkte er, dass er der Sache nicht glaubte. Er glaubte nicht an Diefenbach. Und später fragte er sich, wie kam es nur dazu, dass ihm alle huldigend zu Füßen lagen?“

Auch Jonathan Meese arbeitet sich an den Über-Daddys ab. Man muss allerdings genau hinhören. Von seinem Sprachmix zwischen Deutsch und Englisch hat das Publikum wohl eher die bei Meese üblichen üblichen Hitler-Bezüge verstanden, als Anspielungen auf Diefenbach und Co. Dass Meese mit langen Haaren, Bart und nicht versiegendem Sendungsbewusstsein selbst wie ein neuzeitlicher Prophet herüberkommt, ist kalkuliert. Davon allerdings wolle der Künstler nichts hören, sagt Adam Budak von der Nationalgalerie. In der Spirale der ewigen Verneinung wird aus Meese zwangsläufig ein Nicht-Prophet.


Die Ausstellung „Künstler und Propheten“ ist im Prager Messepalast (Veletržní palác) bis zum 18. Oktober zu sehen. Teil davon sind auch Meeses Installation samt 13 neuen Bildern mit dem Titel „Über-Daddys“.

Autor: Annette Kraus
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