Die vergessene Stadt: Das unterirdische Brünn (II)

Das mährische Brünn gibt es nicht nur einmal: wenige Meter unter dem Straßenpflaster erstreckt sich eine zweite Stadt - das dunkle, das unterirdische Brünn, die Jahrhunderte alten Keller und Gewölbelabyrinthe der Wein- und Handelsmetropole. Erst in den siebziger Jahren hat man begonnen, den lange vergessenen Untergrund der Stadt neu zu erforschen. Mit dabei ist seit mehr als zwanzig Jahren Aleš Svoboda. In einem der letzten Geschichtskapitel hat er uns die Geschichte der Keller erzählt. Nun wird es Zeit, selbst abzutauchen in die Brünner Unterwelt.

Es ist eine ganz normale Kellertür in einem ganz normalen Haus am Brünner Zelní trh, dem Krautmarkt. Hinter einem Gitter führt ein gewundener Gang mit breiten Stufen tiefer und immer tiefer in den Untergrund - einer der wenigen Zugänge zu den vergessenen Labyrinthen, der nicht über Leitern und Kanalschächte führt, erzählt mein Begleiter Aleš Svoboda. Die Stufen enden, wir stehen in einem Raum, der an einen verlassenen U-Bahn-Schacht erinnert.

„Hier sind wir schon im ersten Keller. Wie man sieht, ist hier von dem historischen Charakter leider nicht viel übrig geblieben. Kurz vor dem Herbst ´89, als noch alles ganz anders lief und Denkmalschützer gar nicht zu sagen hatten, ist es hier zu einem Rohrbruch gekommen und das ganze Labyrinth stand unter Wasser. Um die Keller statisch zu sichern, hat man sie damals kurzerhand mit einer sieben bis zwölf Zentimeter dicken Betonschicht ausgespritzt. Die ganzen Gewölbe aus Gotik, Renaissance und Barock, die historische Atmosphäre der Keller ist damit leider zerstört. Aber trotzdem: auch so bekommt man noch einen Eindruck, wie die Keller einmal ausgesehen haben und genutzt wurden. Also, gehen wir zusammen los!“

Es ist, als ob man durch ein Bergwerk geht, nur dass die gewölbten Gänge hoch und weit sind - so, wie sie die Brünner Weinhändler und Kaufleute zur Lagerung ihrer Waren brauchten.

„Die Räume, durch die wir hier gehen, sind nur ein Bruchteil der Keller, die es hier einmal gegeben hat – nur der Teil nämlich, der unter öffentlichen Flächen liegt. Und den Häusern selbst hat es zwei oder drei Kellergeschosse gegeben, und diese hier Keller haben daran angeschlossen. Aber die ursprünglichen Häuser und ihre alten Keller wurden während des Baubooms der Gründerzeit vernichtet. Neue Fundamente wurden quer durch die alten Kellersysteme gelegt, und übrig geblieben sind eben diese Keller ohne Zugang unter den Straßen und Plätzen.“

Für die alten Lagergewölbe gab es keine Verwendung mehr, sie wurden aufgegeben, zugemauert, vergessen. Nutzlose Treppen und Stollen, die an einer Wand enden, erinnern daran. Überall zweigen weitere Keller ab, blinde Stollen, Wege führen parallel und vereinigen sich wieder.

„Die Grundrisse wirken chaotisch – aber das liegt eben daran, dass diese Keller ohne Genehmigung und auch ohne Pläne entstanden sind. Wenn hier jemand seinen Keller schwarz gegraben hat, dann hat er solange gegraben, bis er auf den Keller seines Nachbarn gestoßen ist – und dann hat er eben in aller Stille in eine andere Richtung weiter gegraben, bis er auch da auf den nächsten Keller gestoßen ist. Und so sind diese labyrinthartigen Anlagen entstanden.“

In manchen Räumen finden sich große Vertiefungen, die Eisgruben, die im Winter mit Eisblöcken aufgefüllt wurden. Das Eis hat im Gewölbe den ganzen Sommer über konstant für kühle Temperaturen gesorgt, so dass Bier und Wein hier in Ruhe reifen konnten - die häufigste Nutzung der Keller, weiß Aleš Svoboda.

„Hier unter dem Krautmarkt hatten die Keller aber noch eine weitere Funktion. Wir befinden uns nämlich gleich unter dem ältesten und größten Brünner Markt. Diese Keller hier wurden daher auch an ausländische Kaufleute vermietet, die nach Brünn gekommen sind und meist wertvolle oder verderbliche Waren mitgebracht haben. Über Nacht konnten sie ihre Waren in diesen Kellern lagern – hier führte ein Gang herein, der groß genug für einen ganzen Wagen war. Aber auch der ist vor einem guten Jahrhundert bei dem Bau der neuen Häuser zerstört worden.“

Vieles ist verschwunden, manches verschwindet trotz der Mühen von Aleš Svoboda auch heute noch. Erst vor kurzem haben Bagger den verrufenen, altväterlichen Pawlatschen-Hof „Zu den sieben Schwaben“ eingerissen, das ehemalige Spital des Elisabethaner-Klosters samt der alten Barockkeller. Was bleibt, das sind die Sagen und Geschichten:

„Der Brünner Untergrund hat viele Legenden – fast zu jedem Keller gibt es eine Geschichten. Am interessanten ist vielleicht der Petrov, der Petersberg mit der Kathedrale. Eine Legende behauptet, dass es tief in dem Berg einen unterirdischen See gibt. Und ich kann bestätigen, dass da durchaus ein Körnchen Wahrheit dran ist! Denn gleich unter dem Petrov stand früher die Wirtschaft U Fajfky. Die ist schon vor mehr als hundert Jahren abgebrochen worden, erhalten geblieben sind aber die ausgedehnten mittelalterlichen Keller. Und in denen gibt es auch zwei artesische Brunnen, die das Wasser hoch in den Berg fließen lassen. Als wir die Keller Ende der siebziger Jahre entdeckt haben, sind wir beim Schein der Taschenlampe mit einem Schlauchboot zwischen Tropfsteinen entlang gefahren – das war wirklich romantisch. Und wenn die Keller nicht leer gepumpt werden, dann entsteht da eben bis heute wirklich ein See unter dem Petersberg.“

Und wirklich: vor uns versperrt plötzlich ein großer Tümpel den Weg. Diesmal allerdings nur ein Wassereinbruch, wie er von Zeit zu Zeit hier im Untergrund vorkommt, erklärt Aleš Svoboda. Weiter geht es nur über einen wackligen Steg aus losen Hölzern.

„Als wir die Kellern unter dem heutigen Theater ´Husa na provázku´ erforscht haben, haben die Bauleute in einer Wand eingemauert einen Topf mit Silbertalern aus der Zeit Maria Theresias gefunden. Die Arbeiter waren davon natürlich so hin und weg, dass sie die Arbeit liegen gelassen haben und mit dem Topf in die nächste Kneipe gegangen sind, um den Fund erst einmal ordentlich zu begießen. Nach der x-ten Runde ist ihnen das Geld ausgegangen und sie haben dem Kellern einen Silbertaler angeboten. Der hat daraufhin geglaubt, dass sich die Arbeiter ins Depot des benachbarten Landesmuseums durchgegraben haben und hat die Polizei gerufen. Natürlich hat sich dann alles aufgeklärt und der Schatz war gerettet.“

Ein anderer Schatz soll nun bald gehoben werden – nämlich die historischen Keller selbst. Bislang kennen nur Wenige die Geheimnisse des Brünner Untergrundes aus eigener Anschauung. Dabei ist das Interesse enorm – das haben nicht zuletzt die Bücher und Artikel von Aleš Svoboda gezeigt. Teile des unterirdischen Brünn sollen deshalb der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. So etwa das vor kurzem entdeckte Gebeinhaus an der Jakobs-Kirche – und auch die Gewölbe unter dem Krautmarkt:

„Gerade in dem Teil, wo wir gerade sind, soll einmal eine Ausstellung darüber entstehen, wie diese Keller eigentlich genutzt worden sind. Hier werden wieder Wein- und Bierfässer sein, natürlich auch mit einer Verkostung, es wird Regale geben, eiserne Haken, Segentücher und Netze zur Aufbewahrung der Lebensmittel – das alles soll hier wieder entstehen, weil viele Leute sich das gar nicht mehr vorstellen können, wofür diese Keller eigentlich einmal gedient haben.“

Aber wird es Ales Svoboda nicht leid tun, wenn seine verschollene und vergessene Brünner Unterwelt, in der heute noch der Hauch vergangener Jahrhunderte weht, zu einem Museum wird?

„Von diesen Kellern gibt es so viele, dass die anderen nur einen noch größeren Zauber kriegen, wenn wir einige zeigen. Wir haben uns von Anfang an darum bemüht, dass die Keller an die Öffentlichkeit kommen, dass sie in irgendeiner Weise genutzt werden denn nur so lassen sie sich retten – sonst werden sie irgendwann baufällig und stürzen ein. Und das wäre ein unersetzlicher Verlust, denn die Keller sind Spiegel des Lebens unserer Vorfahren und gehören zu dieser Stadt.“