„Die Wahrhaftigkeit der Tschechen lässt noch zu wünschen übrig“

Papst Benedikt XVI. (Foto: ČTK)

Am Wochenende hat Papst Benedikt XVI. vom spanischen Wallfahrtsort Santiago de Compostela aus die Abkehr vom Glauben in Europa kritisiert. Als Beispielländer, in denen der Atheismus, die Verweltlichung, zunehmen, nannte der Papst ausdrücklich auch die Tschechische Republik, wo er 2009 zu Besuch war. Christian Rühmkorf hat bei Petr Křížek nachgefragt, was von der Papstkritik zu halten ist. Petr Křížek ist Theologe, lehrt an der Prager Karlsuniversität, und zugleich ist er Veranstalter von christlichen Bildungsreisen.

Petr Křížek
Herr Křížek, können Sie als Tscheche und Theologe die Kritik am Atheismus in Tschechien verstehen? Ist die Kritik des Papstes berechtigt?

„Also, wenn ich mir die Aussagen des Papstes anschaue, dann muss ich feststellen, dass er sich eigentlich gegen die Entwicklung der Säkularisierung und gegen das Absetzen der religiösen Praxis ausgesprochen hat. Das ist ein Prozess, der überall in Europa festzustellen ist, und dazu gehört sicher auch die Tschechische Republik. Und daher ist auch seine Aussage in dieser Hinsicht sehr wohl verständlich.“

Stellt der Atheismus Ihrer Ansicht nach ein gesellschaftliches Problem in Tschechien dar? Hat dieses Phänomen Folgen für das Zusammenleben der Menschen in diesem Land?

Papst Benedikt XVI.  (Foto: ČTK)
„Man muss sehr vorsichtig mit dem Wort Atheismus gerade im Zusammenhang mit der Tschechischen Republik umgehen. Es gilt natürlich, dass die Tschechische Republik ein sehr stark areligiöses Land ist, also dass die Religiosität hier in diesem Land sehr niedrig ist. Die Tschechische Republik gehört zu den am meisten säkularisierten und areligiösen Gegenden Europas, gemeinsam etwa mit den neuen Bundesländern oder mit Estland. Zu der Frage, die Sie jetzt hier stellen: Diese Unterscheidung zwischen Atheismus und Areligiosität ist sehr wichtig gerade für Tschechien. Denn die Tschechen – das wage ich zu sagen – sind nicht ganz atheistisch. Sie lehnen die kirchliche Praxis, so wie sie ihr oft begegnen, einfach ab. Aber vom Atheismus der Tschechen so allgemein zu sprechen, das würde ich nicht so ganz wagen. Natürlich – diese Areligiostät, die wir hier im Lande feststellen, hat Folgen für das gesellschaftliche Leben in vielerlei Hinsicht. Wenn Sie die tschechische Gesellschaft anschauen, dann finden Sie hier recht wenig Vertrauen im Vergleich etwa zu den umher liegenden, zu den Nachbarländern, wo die Religiosität doch etwas stärker ist. Auch die Ehrlichkeit, die Wahrhaftigkeit der Tschechen lässt noch zu wünschen übrig, was die Fairness etwa im wirtschaftlichen Bereich angeht.“

Verbrennung des tschechischen Reformators Jan Hus
Als Gründe für diese areligiöse Haltung der Tschechen werden immer wieder 40 Jahre Kommunismus angeführt, aber auch die Verbrennung des tschechischen Reformators Jan Hus 1415 und die Gegenreformation - Atheismus als Teil der nationalen Identität in Tschechien. Haben Sie die Hoffnung, dass sich das je ändert?

„Also die Hoffnung, die habe ich für mich persönlich. Es ist nämlich so, dass er Mensch von seinem Wesen her immer ein religiöses Wesen ist und auch ein religiöses Wesen bleibt. Er fragt sich daher ständig, wer er ist, woher er kommt und wohin er geht, und er sucht natürlich nach den Antworten. Es kann natürlich nicht garantiert werden, dass ihm diese Antworten auch in Zukunft von den christlichen Kirchen offeriert werden. Das können durchaus andere religiöse Gemeinschaften sein. Aber die Hoffnung, dass der Mensch ständig nach seinem Wesen und nach seinem Sinn fragen wird, die ist natürlich da.“