Papst Benedikt und das atheistische Tschechien
Vor zwei Jahren war Papst Benedikt XVI. zu einer dreitägigen Pastoralvisite des Landes gekommen, das oft für das Land mit der niedrigsten Religiosität in Europa gehalten wird. Der Besuch gipfelte nicht zufällig am St.-Wenzel-Tag. Auch Radio Prag hat die Visite des Oberhauptes der katholischen Kirche im Jahr 2009 mitverfolgt.
Würde man die Religiosität des Landes nach der Zeit messen, die im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen drei Tage lang der Visite des Heiligen Vaters gewidmet wurde, würde man den Behauptungen über gottlose Tschechen kaum glauben. Denn praktisch jeder Schritt des Papstes wurde live übertragen. Die Übertragungen wurden zudem durch Studiodebatten zum Thema Religion ergänzt. Diese sollten auch für diejenigen verständlich sein, die gar nicht gläubig sind.
Bei der Volkszählung im Jahre 2001 haben sich von den 10,2 Millionen Einwohnern Tschechiens etwa 2,7 Millionen zum katholischen Glauben bekannt. Die Zahl der praktizierenden Katholiken ist jedoch niedriger. Die schwache Religiosität ist nicht nur den 40 Jahre dauernden Unterdrückung der Kirche während des Kommunismus zuzurechnen. Die Anfänge der Säkularisierung sind bereits in den ersten Jahren nach der Gründung der Tschechoslowakei 1918 zu suchen, als die selbständige Tschechoslowakische Kirche entstanden ist. Die Position der katholischen Kirche war damals erschüttert. Einen ständigen Kampf gegen die Katholiken führten zudem die Kommunisten, die Sozialdemokraten und teilweise auch weitere Parteien. Während des Kommunismus wurde das Feindbild der Kirche unter der Bevölkerung gefestigt. Tomáš Halík ist Soziologe und katholischer Priester. Seinen Worten zufolge gibt es in Tschechien drei sehr unterschiedliche geistliche Bereiche:
„Es gibt Regionen, die man eine geistliche Wüste nennen kann. Es gibt dort keinerlei Hintergrund für die Religiosität. Man bekommt dort kaum anständige Tageszeitungen, die Bewohner lesen nur Boulevardblätter. Daneben gibt es jedoch Regionen mit traditioneller Dorfkultur, wo die Religiosität aufrechterhalten wurde. In dieser traditionellen Frömmigkeit wird vor allem der Kirchenbesuch in den Vordergrund gestellt. Zudem gibt es aber noch eine andere Sorte von Menschen, die meiner Meinung nach für die Kirche eine große Perspektive bedeuten. Vor allem in den Städten begegnet man jungen, gebildeten Menschen, darunter auch vielen Künstlern, die Sinn für geistliche Werte haben und die froh wären, wenn ihnen die Kirche irgendwie entgegenkommen würde. Wenn diese Leute jemanden finden, der mit ihnen sprechen kann, der ihnen nicht nur Gottesdienste, sondern ein reicheres Programm sowie eine philosophische Reflexion des Evangeliums anbieten kann, dann strömen diese jungen interessanten Menschen in die Kirche.“
Das Problem sei jedoch, so Tomáš Halík, dass die Mehrheit der Priester aus dem traditionellen Milieu vom Land kommt und die Leute, die nicht traditionell fromm sind, nicht versteht und sie nicht anzusprechen weiß. Die Religiosität werde immer noch oft auf den obligatorischen Kirchenbesuch reduziert, meinte der Priester gegenüber dem Tschechischen Fernsehen.
"Es kann sein, dass viele Menschen aus dem Grund nicht in die Kirche gehen, weil sie dort keine schreckliche Predigt hören wollen. Heutzutage herrscht allgemein zudem ein Misstrauen gegenüber Institutionen. Die Menschen von heute leben ihre Überzeugungen, ob politische oder religiöse, individuell. Und die Institutionen – wie auch die Kirche - halten dann sie nur für etwas, was ihnen dienen soll, ohne sich aber damit vollständig zu identifizieren.“Professor Halík, der Präsident der Tschechischen Christlichen Akademie ist, hat den heutigen Papst noch als Kardinal Ratzinger kennen gelernt. 1990 initiierte die Akademie eine Vortragsreihe mit bekannten deutschsprachigen Theologen. Halík war damals im Vatikan und lud Josef Ratzinger nach Prag ein:
„Er hat damals gesagt, er trage immer diese Einladung bei sich und würde gerne kommen, weil er noch nie in Prag gewesen sei. Ich habe ein wenig frech bemerkt: Eminenz, Sünde ist es nicht, aber eine Schande doch.“
Kardinal Ratzinger ist damals zu einem Vortrag nach Prag gekommen. Am vergangenen Samstag hat er die tschechische Hauptstadt zum zweiten Mal besucht, diesmal schon als Papst Benedikt XVI.:
„Herr Präsident, meine Herren Kardinäle und Sie, Brüder Bischöfe, meine Damen und Herren, ich habe eine große Freude, dass ich heute in der Tschechischen Republik sein kann. Ich bin sehr dankbar für Ihre herzliche Begrüßung.“
Nicht nur nach seiner Anreise, aber auch bei allen seinen weiteren Reden sprach der Papst das Publikum in der Landessprache an und erntete Beifall dafür.Mit Jubel und den Rufen „Benedetto“ wurde Benedikt XVI. von jungen Menschen am Montag in Stará Boleslav - Abschlusstag seiner Visite - begrüßt. Und das, obwohl vorher vom Podium verkündet wurde, dass man während der Messe weder klatschen, noch skandieren soll. An seiner zweiten großen Open-Air-Messe in Tschechien nahmen 50.000 Menschen teil, unter denen auffallend viele junge Menschen waren. Der Papst sagte, auch er fühle sich mit ihnen jung, sie seien die Hoffnung der Kirche. Die jungen Gläubigen wussten seine Worte zu schätzen. Der Student Marián ist aus dem slowakischen Levoca nach Stará Boleslav gekommen:„Er ist ein Mensch, der die einfache Wahrheit zum Ausdruck zu bringen weiß. Wenn wir die Schönheit wahrnehmen würden, die in dieser Wahrheit enthalten ist, dann wäre es gut.“
Es gab auch ganz junge Pilgerinnen, die die Papstvisite kurz und bündig beschrieben: „Wie der Herr Papst kam, das war schön, “ meinte Terezka aus Ruda nad Moravou.
Der Prager Bischof Václav Malý war nicht nur durch das hohe Interesse der Menschen an den Gottesdiensten angenehm überrascht – 120.000 am Sonntag in Brünn und 50.000 am Montag in Stará Boleslav:
„Ich war ein bisschen überrascht, dass er jetzt am Ende seines Besuches so gelockert war. Er hat gelacht und war sehr nett. Am Samstag kam mir vor, dass er ein wenig erkältet war, und so wirkte er etwas zurückhaltend. Nach drei Tagen war er hier so gelockert. Das war für mich eine Überraschung.“
Benedikt XVI. erinnerte während seines Besuches einige Mal an den Sturz des Kommunismus vor 20 Jahren und würdigte die mutigen Christen, die sich durch die politische Unterdrückung nicht unterkriegen ließen. Wenn jetzt Religionsfreiheit herrsche, sollten die Tschechen, so der Papst, ihre christlichen Wurzeln wieder entdecken. Kann die Papstvisite tatsächlich Einfluss auf die wenig religiöse tschechische Gesellschaft haben? Bischof Malý:
„Sein Besuch hatte einen Missionscharakter. Er hat in unsere gesellschaftliche Lage Ruhe und Noblesse gebracht. Das ist nicht nur für die Kirche, sondern auch für die ganze Gesellschaft wichtig. Er hat vielmals über die Freiheit gesprochen. Die Freiheit verbindet er mit der Suche nach der Wahrheit und mit der Verantwortung für das Gemeinwohl. Dies ist sehr wichtig. Es ist gut, dass diese Gedanken gesagt wurden. Aus dieser Sicht halte ich seinen Besuch für erfolgreich. Jetzt kommt es auf die einzelnen Menschen an, es kann nicht angeordnet werden, das ist ein Angebot, eine Herausforderung. Ich hoffe, dass die Mehrheit der Hörer die Worte des Papstes sehr ernst nimmt und sie in ihr eigenes Leben mit einbezieht.“Eines ist dem Papst im Land der Pragmatiker auf jeden Fall gelungen: einige Tage lang dominierte er alle tschechischen Medien – vom Fernsehen über die Tageszeitungen bis zu den Internet-Nachrichtendiensten. Ob es den Nichtgläubigen nun gefiel oder nicht, der Papst war in aller Munde.
Dieser Beitrag wurde am 1. Oktober 2009 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.