Die zweite Blützeit des Vyšehrad

Kapitel St. Peter und Paul (Foto: Martina Schneibergová)
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Aus dem Prager Stadtbild ist er nicht wegzudenken: Der am rechten Moldauufer gelegene Vysehrad. König Vratislav II. gründete im Jahre 1070 auf dieser Přemysliden-Burg das Kollegiatkapitel des Heiligen Peter und Paul. Es wurde nicht dem Prager Bischof, sondern direkt dem Papst untergeordnet.

In einer der vergangenen Ausgaben des Spaziergangs durch Prag haben wir uns mit der Entstehung des Kapitels von Vyšehrad sowie seinem Stifter Vratislav II. befasst. Dabei haben wir versprochen, in einer der nächsten Sendungen auch die weitere Geschichte dieser Institution zu beschreiben, die offensichtlich eine der ältesten Rechtspersonen in Tschechien überhaupt ist. Seine Blütezeit erlebte das Kapitel vor den Hussitischen Kriegen. Am 1. November 1420 wurde der Vyšehrad jedoch von den Hussiten geplündert, und später erreichte das Kapitel nie mehr die Stellung, die es einst hatte, sagt der Leiter der Kapitelkanzlei, Jan Kotous:

"Nach 1420 flüchteten die Kanoniker des Vyšehrader Kapitels in andere Städte. Einige ließen sich in Südböhmen nieder, wo sie beim mächtigen Adelsgeschlecht der Rozmberks Asyl fanden. Einige flüchteten nach Breslau und andere wiederum in verschiedene Klöster nach Österreich. Nach dem Ende der Hussitenkriege kehrte das Kapitel auf den Vyšehrad zurück. Aber der Vyšehrad lag damals in Trümmern. Aus den historischen Urkunden wissen wir, dass die Kanoniker den König Georg von Podiebrad darum baten, ihnen einen der Türme der Vyšehrader Festung zur Verfügung zu stellen. Dort wollten sie vorübergehend ihren Sitz errichten."

Im Jahre 1620 erhielt das Kapitel einige seiner ursprünglichen Güter zurück. Aber trotzdem war das Kapitel nur noch eine kleine kirchliche Organisation am Rande der Stadt. Erst im 17. Jahrhundert begann sich die Lage unter den Dekanen Lilienthal und Bergauer zu verbessern. Damals wurde die Kapitelkirche im Barockstil umgebaut und renoviert. Eine echte Blütezeit erlebte das Kapitel später unter den patriotisch orientierten Pröpsten Štulc und Karlach, die dem Vyšehrad sein heutiges Aussehen verliehen.

Bis 1948 bzw. 1950 gehörte der ganze innere Vyšehrad dem Kapitel St. Peter und Paul, außerdem besaß das Kapitel fünf Güter außerhalb von Prag. Nach 1990 wurde ein Teil des Eigentums zurückgegeben. Aufgrund einer Vereinbarung mit der Hauptstadt Prag bekam das Kollegiatkapitel die Mehrheit der Gebäude, die sich auf dem Vyšehrad befinden, zurück. Die Parkanlagen und der Friedhof gehörten nicht dazu. Von den Gütern wurde nur das Gut in Kosor an das Kapitel zurück übertragen. Auf dem Gut befindet sich eine Hl. Anna-Kapelle, die voriges Jahr renoviert wurde. Diese herrliche Barockkapelle wurde im Herbst des vergangenen Jahres wieder eröffnet. Es handelt sich um eine Sehenswürdigkeit, die in die Liste der Nationaldenkmäler eingetragen worden war, erzählt Jan Kotous.

Slavín  (Foto: Kristýna Maková)
"Das Vyšehrader Kapitel erlebte am Ende des 19. Jahrhunderts seine zweite Blütezeit. Unter dem Einfluss der Romantik versuchten damals die patriotisch denkenden Pröpste - vor allem aber Václav Štulc - aus Vyšehrad ein Pendant zur Prager Burg zu machen. Štulc kam auf die Idee, einen nationalen Friedhof auf dem Vyšehrad zu errichten. Dies bezieht sich nicht nur auf die große Gruft Slavín, wo mehrere namhafte Persönlichkeiten bestattet wurden, sondern auf den ganzen Friedhof. Dank Štulc und Karlach hat der Friedhof die Form eines "campo santo", wie sie aus Italien bekannt ist, mit herrlichen Arkaden. Dank Štulc wurden die Pläne für den Umbau der Basilika verwirklicht. Die Renovierung wurde im neogotischen Stil vorgenommen, um sie wieder der früheren Kirche aus der Zeit Karls IV. anzugleichen."

Štulc und Karlach versuchten außerdem, das Kollegiatkapitel auch in intellektueller Hinsicht zu bereichern. Zum Kapitel gehörten nicht nur hervorragende Persönlichkeiten aus dem Religionsbereich, sondern auch hervorragende Historiker oder Schriftsteller. Štulc selbst war ein patriotischer Priester und Dichter. 1848 war er Delegierter des Slawenkongresses, und war beispielsweise auch mit der Schriftstellerin Božena Němcová befreundet.

Foto: Martina Schneibergová
Das Eigentum, das dem Vyšehrader Kapitel vor 1948 gehörte, wurde niemals zurückgegeben, obwohl das Kollegiatkapitel im Grundstückregister immer noch als Eigentümer der verschiedenen Grundstücke eingetragen ist. Dort steht außerdem zu lesen, dass dieses Besitztum nie enteignet wurde. Jan Kotrous ist der Ansicht, dass die gegenwärtige Legislative aus rein juristischer Sicht darauf abzielt, die Gesetzwiedrigkeiten aus der Vergangenheit zu legalisieren. Auf dem Vyšehrad wirkt neben dem Kollegiatkapitel noch die Verwaltung des Nationalen Kulturdenkmals Vyšehrad. Diese verwaltet die Parkanlagen, die Befestigung und das Informationszentrum, erklärt Jan Kotous.

"Ich muss sagen, dass sie das alles sehr gut verwaltet. Die Zusammenarbeit mit ihnen ist ausgezeichnet, wir informieren uns gegenseitig. Einer der führenden Mitarbeiter der Verwaltung ist Mitglied des Prager Stadtrats und der Vysehrad liegt ihm wirklich am Herzen, egal ob es um das Eigentum des Kapitels oder der Hauptstadt Prag geht."

Reliquienschrein des Heiligen Valentin  (Foto: Kristýna Maková)
Mit einer einzigartigen Sehenswürdigkeit kann sich das Kapitel jedoch rühmen: Offensichtlich ist es die einzige kirchliche Institution in Tschechien, die einen Reliquienschrein des Heiligen Valentin aus Terni besitzt. Der Schrein enthält ein Stück des Schulterblatts des populären Heiligen. Dieser Reliquienschrein aus der Barockzeit wurde während der Renovierungsarbeiten auf dem Vyšehrad gefunden. Das Kapitel beschloss damals, den Reliquienschrein der Öffentlichkeit vorzustellen. Am Valentinstag wird der Reliquienschrein während des Gottesdienstes ausgestellt. Es kommen Verliebte aus ganz Prag und der Umgebung hierher, um zu diesem Heiligen zu beten, sagt Jan Kotous:

"Der Reliquienschrein gehörte wahrscheinlich zur Ausschmückung der einstigen Barockkirche. Der Legende zufolge hat Karl IV. der einstigen Basilika verschiedene Reliquien geschenkt. Wahrscheinlich war auch St. Valentins Schulterblatt darunter."

Vyšehrader Friedhof  (Foto: Kristýna Maková)
In der heutigen Sendung war unter anderem über den Vyšehrader Friedhof die Rede. Falls Sie wissen, welcher der berühmten tschechischen Komponisten auf diesem Friedhof bestattet ist, können Sie es uns schreiben. Denn so lautet die übliche Quizfrage, für deren richtige Beantwortung Sie ein Buch über Prag gewinnen können. Ihre Zuschriften richten Sie, bitte, an Radio Prag, Vinohradská 12, PLZ 120 99 Prag 2. In der letzten Spaziergang-Ausgabe in Februar fragten wir Sie nach der Entstehung des Namens Loreto-Platz. Der Platz wurde nach der Wallfahrtsstätte Maria-Loreto bezeichnet. Ein Buch geht diesmal Martin Brosche in Schwäbisch-Gmünd.