Direktwahl des Präsidenten: Zustimmung bei Wählern, Skepsis bei Experten
Als im Jahr 2003 das tschechische Parlament einen neuen Präsidenten wählen wollte und dies erst nach mehreren Anläufen und einer beispiellosen Schlammschlacht gelang, schlugen einige Politiker vor die Verfassung zu ändern und das Staatsoberhaupt künftig direkt vom Volk wählen zu lassen. Es dauerte neun Jahre, bis diese Idee politische Wirklichkeit wurde. Doch ungeachtet der klaren Zustimmung für die Einführung der Direktwahl in beiden Kammern des Parlaments, bleiben einige wichtige Fragen offen. Mehr dazu erfahren Sie nun von Robert Schuster in der folgenden Ausgabe unserer Sendereihe Schauplatz.
Die tschechische Öffentlichkeit wünscht sich die Direktwahl des Staatsoberhauptes schon lange – in allen möglichen Meinungsumfragen sank die Unterstützung für die Wahl des Präsidenten durch das Volk nie unter 60 Prozent. Die Volksvertreter, die nun diese Änderung durchgesetzt haben, können also nach langer Zeit wieder das Gefühl haben, im Einklang mit den Wünschen ihrer Wähler gehandelt zu haben.
Auch wenn die erste Direktwahl erst in einem Jahr stattfindet, wird die Liste möglicher Bewerber auf das höchste Staatsamt immer länger. Als erster hatte schon im Herbst Außenminister Karel Schwarzenberg auf einem Parteitag seiner Top 09 seine Kandidatur angekündigt. Der Kommentator Petr Nováček vom Inlandsprogramm des Tschechischen Rundfunks nennt die anderen möglichen Anwärter auf das höchste Staatsamt:
„Ihr Interesse haben die früheren Regierungschefs Miloš Zeman und Jan Fischer bekundet. Fischer will als unabhängiger Kandidat antreten und hat übrigens bereits damit begonnen, sein Team aufzubauen. Er hat unter anderem die enge Mitarbeiterin des verstorbenen früheren Präsidenten Václav Havel, Sabina Tančevová, und den einstigen Leiter des Regierungsamtes, Jan Novák, engagiert. Für die ODS könnten Senatsvizepräsident Přemysl Sobotka oder die Vorsitzende des Abgeordnetenhauses, Miroslava Němcová, ins Rennen gehen. Bei den Sozialdemokraten sind wiederum der Wirtschaftsprofessor Jan Švejnar, der schon einmal kandidiert hat, der frühere Premier und EU-Kommissar Vladimír Špidla und auch der derzeitige Präsident des Verfassungsgerichts, Pavel Rychetský, im Gespräch. Letzterer hat bereits offiziell abgewinkt. Aber Rychetský hatte sich auch schon dagegen gesträubt, Minister zu werden, und wurde es dann trotzdem.“Obwohl die entscheidende Abstimmung im Senat über die Einführung der Direktwahl entgegen aller vorherigen Annahmen relativ glatt über die Bühne ging, bleibt ein Punkt nach wie vor offen.
„Es fehlt noch ein wichtiger Punkt und zwar ein Durchführungsgesetz. In diesem konkreten Fall handelt es sich um ein spezielles Wahlgesetz, das die Modalitäten der Direktwahl des Staatsoberhaupts festlegt. Wenn dieses Gesetz nicht rechtzeitig verabschiedet werden würde, dann könnte das Präsidentenamt nach dem 7. März kommenden Jahres, wenn der Amtsinhaber ausscheidet, unbesetzt bleiben. Dann würden die Kompetenzen des Staatsoberhaupts teilweise auf den Premier und die Vorsitzende des Abgeordnetenhauses übergehen, oder wenn das Abgeordnetenhaus aufgelöst wäre, dann auf den Senat“, Petr Nováček.Was auf den ersten Blick wie eine reine Formsache aussieht, könnte sich beim näheren Hinsehen als letzte Hürde auf dem Weg zu einer Direktwahl des Präsidenten zeigen: Auch wenn dieses Durchführungsgesetz nur mit einfacher Mehrheit verabschiedet werden muss, müssen beide Parlamentskammern die Norm in völlig identischer Fassung billigen. Es könnte daher - im Extremfall – mit Hilfe der im tschechischen Parlamentarismus so beliebten Obstruktionspraktiken zu einer Blockade des Gesetzes kommen. Damit würde zugleich sein rechtzeitiges Inkrafttreten verhindert. Zudem darf nicht vergessen werden, dass vor allem für die Senatoren die Direktwahl eine starke Beschneidung ihres politischen Einflusses bedeutet. Denn bislang standen die Senatoren bei der Präsidentschaftswahl auf Augenhöhe mit den Abgeordneten, beide Parlamentskammern bildeten zusammen die Wahlversammlung.
Während die tschechischen Bürger sehr davon angetan scheinen, künftig selbst das Staatsoberhaupt zu wählen und sich in verschiedenen Internet-Foren aktiv an Abstimmungen über mögliche Präsidentschaftskandidaten beteiligen, sind erstaunlich viele Experten – vor allem Verfassungsrechtler – sehr vorsichtig in ihrem Urteil. Einige äußern sich sogar offen kritisch. Zu ihnen gehört etwa der Präsident des tschechischen Verfassungsgerichts, Pavel Rychetský, der ja als potentieller Kandidat ins Spiel gebracht wurde. Rychetský, der früher selbst Politiker war, sagte etwa am Wochenende im Tschechischen Fernsehen, er hätte als Abgeordneter niemals für die Verfassungsnovelle in ihrer jetzigen Form die Hand gehoben. Als Grund nannte er, dass es nicht gelungen sei, die Kompetenzen des direkt gewählten Staatsoberhaupts anzupassen. So wurde zum Beispiel nicht verankert, dass nicht der Präsident, sondern die Regierung für die Außenpolitik des Landes zuständig ist. Zu den Kritikern gehört auch der Publizist Pavel Kosatík. Gegenüber dem Tschechischen Rundfunk fasste er seine Bedenken zusammen:
„Ich bin wirklich der Meinung, dass das eine sehr schlechte Nachricht für dieses Land ist. Ich will das nicht irgendwie dramatisieren, aber die Direktwahl wird dazu führen, dass in diesem Land in gewisser Weise die Politik und politisches Handeln völlig aufgegeben werden. Diejenigen Bürger, die bereits jetzt unzufrieden damit sind, in welcher Atmosphäre die Parlamentswahlen stattfinden, werden bald merken, dass der Präsidentschaftswahlkampf noch viel härter sein wird. Bisher war es ja so: Wollte jemand Präsident werden, musste er sich im Parlament vorstellen und dort die notwendige Unterstützung suchen. Das setzte von den Bewerbern eine gewisse Eigenleistung voraus. Jetzt wird die Auseinandersetzung, die früher im Parlament stattfand, in erster Linie in den Medien stattfinden. Ich denke, dass sich alle Chefredakteure darüber freuen müssen. Ich befürchte aber auch, dass unser Land damit noch mehr einem Theater gleichen wird, und das finde ich sehr schade.“
Kosatík schreibt vor allem Bücher über die Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit und ihre Affären sowie generell über die damalige politische Entwicklung. Die Rolle des Präsidenten war, nicht nur dank der Persönlichkeit des ersten Staatsoberhauptes, Tomáš G. Masaryk, besonders markant, weil sie stabilisierend wirkte. Das alles stehe nun auf dem Spiel, so Kosatík:„Egal was man vom bisherigen Verfassungssystem gehalten hat: Es war nach 1989 durchdacht weiter entwickelt worden, und zwar konzipiert als System von gegenseitigen Sicherungen, damit die höchsten Stellen im Staat sich gegenseitig ergänzen können. Und nun wird ein wichtiger Teil herausgebrochen. Das alles nur deshalb, weil einige Parteien dies vor Jahren ihren Wählern versprochen haben.“