DTIHK: Möglicher Gaslieferstopp für viele Firmen in Tschechien problematisch bis existenzbedrohend

Der russische Gaslieferstopp für Polen und Bulgarien hat gezeigt: Auch der Rest Europas kann sich nicht der Energielieferungen aus Putins Reich sicher sein. Was aber würde ein plötzliches Ausbleiben des Erdgases für die tschechische Industrie bedeuten? Das hat die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer in (DTIHK) einer Blitzumfrage ermittelt. Sie wurde am Dienstag in Prag vorgestellt. An der Erhebung nahmen 65 Unternehmen teil, es waren vor allem mittelständische und große.

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Tschechien ist fast vollständig von russischem Gas abhängig. Dabei sind es gar nicht die Haushalte, die am meisten von diesem Energieträger verbrauchen, sondern die Industrie. Deswegen wollte die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer in einer Umfrage wissen, wie sich ein möglicher Gaslieferstopp seitens Russlands bei ihren Mitgliedern auswirken würde.

„Ein Viertel aller Unternehmen sagt: Für uns ist das existenziell bedrohlich beziehungsweise eine starke Bedrohung“, so Christian Rühmkorf, der bei der DTIHK die Abteilung für Kommunikation leitet.

Besonders stark gefährdet ist aber das verarbeitende Gewerbe – also große Unternehmen, die besonders zum Bruttoinlandsprodukt beitragen und viele Menschen beschäftigen.

Quelle:  DTIHK

„Da sind es sogar 40 Prozent, die dies entweder als existenzielle Bedrohung bezeichnen oder als sehr, sehr starke Bedrohung der eigenen Kerntätigkeit“, sagt Rühmkorf.

Da die tschechische Regierung bisher keinen Notfallplan für einen plötzlichen Gaslieferstopp veröffentlicht hat, versuchen sich viele Unternehmen selbst zu behelfen. Auch das wurde in der Umfrage berücksichtigt. Demnach haben 31 Prozent der befragten DTIHK-Mitglieder bereits einen eigenen Notfallplan erstellt oder arbeiten daran. Und weiter der Leiter der Abteilung für Kommunikation:

Quelle:  DTIHK

„24 Prozent, also fast ein Viertel, bemüht sich um einen Übergang zu alternativen Energiequellen wie Strom – soweit dies möglich ist.“

Eine jener Firmen, die derzeit auf Gas als Energieträger stark angewiesen sind, ist der tschechische Ableger von Borgers, einem Autoteile-Zulieferer aus Bocholt in Nordrhein-Westfalen. Für wesentliche Teile der Produktion benötige man Erdgas als Prozesswärme, sagt der CEO von Borgers CS, Uwe Hengstermann. Ein mögliches Ausbleiben des Gases bewertet er so:

„Das wäre erst einmal existenzbedrohend. Denn alle Maßnahmen, die man einleiten müsste, um von Gas auf Elektro in den Produktionsprozessen umzustellen, würden große Investitionen erfordern und auch langwierige Vorplanungen.“

Quelle:  DTIHK

Hengstermann weist darauf hin, dass sein Unternehmen in Westböhmen auch auf dem Land angesiedelt ist. Und dort seien die Stromleitungen gar nicht robust genug, um eine große Firma plötzlich mit der benötigten Energie zu versorgen. Eine Umstellung könnte bis zu zwei Jahre dauern, betont der CEO. Erhalte aber Borgers nicht genügend Erdgas, habe dies einen Dominoeffekt.

„Das führt dazu, dass wir nicht mehr lieferfähig sind für die Automobilindustrie. Und ohne Kofferraumverkleidung gehen auch die Fahrzeuge nicht auf den Markt. Es entsteht daraus also eine Kettenreaktion“, so Hengstermann.

Christian Rühmkorf | Foto:  DTIHK

Bei dem Automotive-Zulieferer in Westböhmen arbeiten rund 2000 Menschen, er trägt also nicht unwesentlich zur dortigen Beschäftigung bei.

Die Unternehmen wollen jetzt von der tschechischen Regierung wissen: Was passiert beim Ausbleiben des russischen Erdgases? Wer wird dann vorrangig noch versorgt? Zu den Ergebnissen der Umfrage gehört daher auch ein Aufruf an die Politiker. Christian Rühmkorf:

„Fast zwei Drittel der Unternehmen fordern einen transparenten Plan seitens der tschechischen Regierung, wie ein Abschaltszenario aussehen würde. Denn nichts ist schlimmer für die Firmen als Unsicherheit und Unwägbarkeit. Die letzten zwei Jahre waren voll von diesen Ereignissen, die jegliche Strategie zunichte gemacht haben. Und jetzt gibt es mit dem Ukraine-Krieg und der drohenden Einstellung der Gaslieferungen wieder eine ähnliche Situation.“

Bei einer Pressekonferenz am Montag betonte Industrie- und Handelsminister Jozef Síkela (parteilos) zwar, dass die Gasvorräte in Tschechien mittlerweile bis Ende des Sommers ausreichen dürften. Zu einem Abschaltplan sagte er jedoch nichts.

Autor: Till Janzer
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