Dušan Pařízek inszeniert in Wien „Die lächerliche Finsternis“
Vergangenen Samstag hatte Wolfram Lotz’ „Lächerliche Finsternis“ am Wiener Akademietheater Premiere. Inszeniert hat es Dušan David Pařízek. Ein Anlass für uns, um mit dem bekannten tschechischen Regisseur zu sprechen.
„Das hat damit zu tun, dass meiner Ansicht nach der Stadt Prag, durch die Erfahrung der NS-Zeit, und durch das, was nach dem Februarputsch 1948 passiert ist, etwas ganz Entscheidendes fehlte. Da ist etwas ganz Wichtiges verloren gegangen: Man hat eine komplette Kultur, die für dieses Land entscheidend und prägend war, von heute auf morgen verboten. Die Stadt aus der ich stamme, war noch vor dem 2. Weltkrieg eine Stadt, in der zehntausende von Menschen deutsch gesprochen haben. Und dieser Teil der Kultur fehlte von heute auf morgen. In der Zeit der Normalisierung wurde im Grunde eine ganze Gesellschaft und auch die Kultur, die der Gesellschaft einen Spiegel vorhält, auf ein Plansoll heruntergebrochen. Es gab Pläne, die über ganze Jahre vorgeschrieben haben, was gespielt werden darf und was nicht. Wir hatten damals an der Akademie den Plan, dass man vielleicht mit einem Erst- und Uraufführungstheater versuchen könnte etwas in der Stadt wiederzubeleben, was zu dieser Kultur gehörte. Orientiert haben wir uns dabei an dem Vorbild des „Theaters am Geländer“ der 60er Jahre, für das ein ehemaliger Kulissenschieber namens Vaclav Havel seine ersten Texte verfasst hat.“
Warum wurde das so erfolgreiche Prager Kammertheater 2012 aufgelassen?„Wenn sie den Schwarzen Peter jemanden zuschieben möchten, dann mir. Das war meine Entscheidung. Ich hatte das Gefühl, dass die Stadt Prag nicht wirklich gut mit den Mitteln, die zur Verfügung stehen, umgeht. Und das hatte mit den politischen Klüngel zu tun, mit dieser bürgerlichen Mitte-rechts-Partei ODS. Da wurden Förderungen über Jahre nur Freunden, die mit der Partei zu tun hatten, zugesprochen. Ich war einfach sauer, dass in sinnvolle Projekte nicht investiert wurde. In einer Zeit, als überall gekürzt wurde, bekamen wir etwas mehr Subventionen. Um Tariferhöhungen aufzufangen reichte das, aber ich wollte, dass Gäste aus dem Westen bei uns inszenieren und hatte von sehr namhaften Regisseuren schon Zusagen. Aber dafür war in diesen Krisenjahren das Geld nicht da. Und da ich wusste, wohin das investiert wird, habe ich gesagt, ich mache das nicht mehr weiter. Dann hören wir lieber auf, solange die Stadt uns noch als eine Institution, die ihr den Spiegel vorhält, wahrnimmt. Es ist uns, glaube ich, gelungen, im richtigen Moment zu sagen, dass wir nicht mehr weitermachen möchten. Wir haben an dem Tag, als wir das Theater geschlossen haben, den Verkehr in der Innenstadt Prags lahmgelegt, weil die Leute vor dem Theater kampiert haben, um die letzte Aufführung sehen zu können. Das war ein ganz beglückendes Erlebnis – das werde ich die nächsten Jahre und Jahrzehnte mit mir herumtragen. Deswegen hänge ich dieser Zeit wirklich nach. Es ist etwas, das ganz entscheidend für mich war, damit identifiziere ich mich immer noch. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt irgendwohin aufgebrochen bin. Aber es fehlt der Ort, der mich repräsentiert und für den ich als einer der Faktoren, die diesen Ort ausmachen, antrete und versuche an vorderster Front zu arbeiten und zu leben. Das habe ich im Moment nicht mehr. Im Moment löse ich mich ein bisschen auf.“
Seit dem Ende des Prager Kammertheaters 2012 inszeniert Dušan Pařízek an verschiedenen Häusern im deutschsprachigen Raum. Zuletzt hatte das Stück „Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz am Wiener Akademietheater Premiere. In dem ursprünglich als Hörspiel verfassten Text geht es um die Anmaßung das Fremde verstehen zu wollen und zu verstehen zu meinen. Ein somalischer Pirat verteidigt sich vor einem Hamburger Gericht. Zwei Bundeswehrsoldaten fahren in die Regenwälder Afghanistans um einen durchgedrehten Oberstleutnant zu liquidieren. Die Geschichten, die erzählt werden, erscheinen allerdings nur als Vorwand, um sich mit einer viel größeren Problematik auseinanderzusetzen. Herr Lotz, warum haben Sie dieses Thema für ihr Hörspiel gewählt?„Ich hab angefangen den Text zu schreiben, als es diesen Prozess in Hamburg gab, in dem sich somalische Piraten verantworten mussten. Und da habe ich gedacht, es ist wirklich ein Irrsinn, dass wir über Menschen zu Gericht sitzen – im wahrsten Sinne des Wortes – über deren Herkunft und deren Sein wir absolut nichts wissen. Das war der Anlass das Schreiben zu beginnen, um eben über das Fremde zu schreiben, aber in dem Wissen, dass dieses Fremde für uns fremd bleibt, und dass wir es uns nicht aneignen können. Und das war natürlich eine literarisches Problem, sich zu überlegen, wie man darüber schreibt, ohne es sich anzueignen. Ich habe versucht es mit einer Art von Unsachlichkeit zu lösen: dass man durch den Text spürt, dass es so, wie es geschildert wird, aber doch nicht sei, sondern in Wirklichkeit nochmal anders. Auf diese Art zeigt der Text hinaus auf die Realität. Und diese Frage nach dem Fremden ist für uns sehr wichtig, weil wir immer verstehen wollen. Dieses Verstehen ist aber auch immer ein Aneignen. Wir glauben zum Beispiel auch die Taliban zu verstehen, obwohl wir sie ablehnen. Wir denken also, wir verstehen wo es herkommt und lehnen es ab. Deshalb kann man dann auch einfach Krieg gegen sie führen. Aber wenn wir akzeptieren, dass da etwas fremd bleibt, das wir uns nicht aneignen können, dann wird es schwieriger Krieg zu führen oder Zugriff auf andere Leute zu haben. Und ich glaube das ist sehr wichtig. Irgendwie geht es auch darum. Es geht im Stück also um das Fremde im Zwischenmenschlichen, und am Ende auch um das Fremde in einem selbst: da ist ja auch etwas, das man nicht versteht, das manchmal hervorkommt und man weiß nicht was es ist.“In der Inszenierung arbeitet Dušan Pařízek sehr stark mit Verfremdung. So wird das Stück, in dem es nur Männerrollen gibt, von vier Frauen gespielt. Es wird auch immer wieder daran erinnert, dass der Text ursprünglich als Hörspiel geschrieben wurde. Wenn der somalische Pirat also seine Beweisstücke zeigt, handelt es sich um Tonbandaufnahmen. Die Figuren entstehen erst auf der Bühne, vor den Augen des Publikums. Herr Pařízek, warum haben Sie so viel mit Verfremdung gearbeitet?„Das ist ein ganz wichtiger Bestandteil dieses Textes, so wie ihn Wolfram Lotz geschrieben hat. Dieser Text erzählt die ganze Zeit etwas von Realitäten, die es nicht gibt, von Vorstellungen, die sich nie einlösen werden – und das permanent in solchen Brüchen. Dafür haben wir versucht auf der Bühne ein adäquates Mittel zu finden. Um das zu erreichen sind diese Verfremdungen ein gutes Mittel, denn sie halten einen wach und sorgen für Diskurs. Es geht immer um dieses Thema: um die Möglichkeit und Unmöglichkeit sich durch ein solches Theaterstück, durch eine solche Inszenierung, die Welt und die Fehler, die wir immer gemacht haben, erklären zu lassen. Und damit bleibt man einfach wach und denkt darüber nach was uns jetzt in wenigen Monaten vielleicht bevor steht. In Russland und der Ukraine wird gerade etwas ganz Entscheidendes angerichtet und daran wird Europa im schlimmsten Fall noch sehr lange zu tragen haben. Vielleicht ist das jetzt unsere Realität. Und da muss man einfach offen bleiben, offen bleiben. Dafür haben wir diese Mittel gewählt.“
Warum lassen sie Frauen Männerrollen spielen?„Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass ich mir, als ich das Stück gelesen habe, dachte, es ist ja nichts absurder als in Wien ein Stück über Bundeswehrsoldaten in Afghanistan zu machen. Und der absolut logische erste Schritt war, sich von den deutschen Bundeswehrsoldaten zu entfernen. Lass das einfach aus, und überleg dir, wie kann man diese Themen in diesen vielen Facetten relativ abstrakt und wertfrei hinterfragen. Und dann entstand diese Idee, dass wir uns vielleicht mit Frauen, die sich diesem Thema stellen, an diese Geschichte, an diese vermeintliche Reise, an diesen Weg ins Ich, in unser aller Bewusstsein, heran arbeiten. Da steckt natürlich sehr viel kritisches Potenzial drin, weil man feststellt, dass man sich viel schneller auf die vermeintliche Geschichte einlässt, wenn man sich auf die Sprache und auf die Konfrontation mit dem Zuschauer konzentriert. Und diese Geschichte kann man den Leuten dann auch wieder wegnehmen in man sie wieder bricht und wieder bricht. Und das ist vielleicht auch nur möglich, wenn Frauen das spielen, die permanent mit einem gewissen Abstand diese männlichen Themen, Fragestellungen, und Konflikte verhandeln.“
Herr Lotz, wie finden Sie als Autor diese Entscheidung des Regisseurs?„Sehr gut. Ich finde immer, dass es einfach Rollen sind, die man spielt. Wenn einer einen dänischen Prinzen spielt, erwartet man auch nicht, dass es wirklich ein dänischer Prinz ist. Und es ist eine große Chance des Theaters auch die Geschlechter als Rollen zu zeigen und durchzuspielen.“
Auf der Bühne spielen die Schauspielerinnen nicht nur ihre Männerrollen, sie sorgen auch für die Hintergrundgeräusche. Durch Interaktionen mit der Geräuschkulisse entstehen erneut Brüche.
Dorothee Hartinger steht bei der Produktion auf der Bühne. Frau Hartinger, was waren denn die Schwierigkeiten, mit denen sie während der Proben kämpfen mussten, und was hat Ihnen besonderen Spaß gemacht?„Erst mal ist der Text ja nicht theatral gedacht, es ist schließlich ein Hörspiel. Dass wir vier Frauen die Männer spielen, hat uns alle ganz schnell überhaupt nicht mehr gestört oder irritiert. Aber dieses Stationendrama auf die Bühne zu kriegen und lebendig zu bekommen, das war schwierig. Genau so war es nicht einfach, es zu schaffen, dass das tatsächlich ein sich schließender Abend wird und nicht nur einzelne Szenen, eine Station nach der anderen, wodurch sehr oberflächlich geblieben wäre. Wir haben alle miteinander sehr gerungen, um den Text oder dieses Stück, das ja eigentlich kein Stück ist, auf die Bühne zu bringen. Mir hat diese Herausvorderung sehr gefallen.“
Während der Pause konnte man den singenden Schauspielerinnen dabei zusehen, wie sie das Bühnenbild aus Holz schreddernd zerstören. Die Pause war also nur für die, die wollten, die anderen konnten im Theatersaal bleiben und dieser bizarren Aufführung zusehen.