Ein Böhme in Diensten des Schahs

Jakob Eduard Polak (Foto: Wikimedia Commons, Public Domain)
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Jakob Eduard Polak brachte die moderne Medizin nach Persien. Geboren wurde der österreichisch-jüdische Arzt in Böhmen.

Jakob Eduard Polak  (Foto: Wikimedia Commons,  Public Domain)
Wenn man die heutige politische Lage in Betracht zieht, scheint diese Szene sehr bizarr zu sein: Zahlreiche junge iranische Medizinstudenten pilgern regelmäßig auf den jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs. Dort liegt nämlich der Mann begraben, der vor rund 150 Jahren die moderne Medizin nach Persien gebracht hat – der österreichisch-jüdische Arzt Jakob Eduard Polak. Geboren wurde der Leibdoktor des persischen Schahs und später führende Wiener Orientalist aber in Böhmen – genauer gesagt in Mořina / Groß Morschin bei Karlstejn / Karlstein nahe Prag. Der Historiker David Venclík hat sich mit dem Leben des Wahlpersers beschäftigt:

„Er stammte aus der jüdischen Gemeinde in Velka Mořina, wie Mořina damals geheißen hat. Die Community war relativ groß, die Eltern Polaks hießen Elias und Sarah. Jakob Eduard ist deutschsprachig aufgewachsen, wobei er sicher auch Tschechisch konnte. Immerhin war er in seiner Jugend sehr viel in tschechischen Kreisen unterwegs.“

Obwohl er aus der Provinz kam, war für den jungen Jakob Eduard der Weg an die Universitäten der Hauptstadt sicher. Das hing mit seinem familiären Hintergrund und Stand zusammen, meint Historiker Venclík:

„In dieser Struktur der jüdischen Community in der Provinz – die an sich eher arm war – gehörten die Polaks zu den reicheren Familien. Auch deshalb konnte der junge Jakob Eduard in Wien studieren.“

Aus der Not zum Abenteurer

Persien um 1850  (Quelle: Wikimedia Commons,  Public Domain)
Zunächst kommt Polak nach Wien und studiert dort Medizin. Er spezialisiert sich auf damalige Randgebiete der Heilkunst, und zwar auf die Chirurgie und die Gynäkologie. Dabei engagiert er sich auch politisch, was in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aber zum Problem wird:

„Einerseits war der Arzt Polak Jude. Andererseits hatte er einen politischen Makel, denn er war im Revolutionsjahr 1848 in bestimmten Kreisen aktiv. Aus diesen Gründen war es für ihn fast unmöglich, eine Anstellung an einem Wiener Klinikum zu bekommen.“

Die „Rettung“ für Polak kommt daher durch die weltpolitische Lage. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts streiten Russland und Großbritannien um Zentralasien – und Persien wird zum Zankapfel. Das Land zwischen Kaspischem Meer und Persischem Golf will aber immer mehr selbst über sein Schicksal entscheiden und öffnet sich der Welt. Österreich-Ungarn wittert so eine Chance und es kommt zu Absprachen mit Teheran – man will eine Expedition in das Land des Pfauenthrons schicken. Die Abreise erfolgte im November 1851. Dazu David Venclík:

David Venclík  (Foto: Archiv des Gymnasiums Duhovka)
„Polak wurde von einer Gruppe österreichischer Diplomaten eingeladen, die diese Expedition vorbereiteten. Das Ziel war die Schaffung eines ersten Polytechnikums in Persien, des sogenannten Dar al-Fonun. Polak sollte dort für die Bereiche Medizin und Pharmazie zuständig sein.“

Der Großteil der Teilnehmer waren Militärangehörige, der Rest Wissenschaftler verschiedenster Bereiche. Jakob Eduard Polak meldet sich einerseits wegen seiner beruflichen Lage zu der Expedition. Aber auch aus Neugier, Abenteuerlust und fürs Renommee:

„Polak war zu jener Zeit keine Kapazität in der Medizin und war jenseits der österreichischen Grenzen ein Unbekannter. Er war wirklich nur ein junger Mediziner, der aber sehr talentiert, ehrgeizig und versiert war. Auch seine Fächerkombination war außerordentlich interessant, er kannte sich sowohl in der Chirurgie, als auch in der Gynäkologie oder Augenheilkunde aus. Zu dem Schritt nach Persien hat ihn ein Kollege motiviert, der seine Karriere im Osmanischen Reich gemacht hat. Diesem widmete Polak auch seine Dissertation. Dadurch war schon klar, dass Polak außerhalb Österreich-Ungarns Fuß fassen wollte.“

Und tatsächlich zeigt die Expedition Wirkung und die Donaumonarchie gewinnt in Persien an Boden. Der jüdische Arzt aus Böhmen spielt dabei eine wichtige Rolle:

Teheran um 1850
„Einerseits etablierte Polak ein neues System der medizinischen Versorgung im Iran. Er orientierte sich an der Wiener Schule, der er selbst angehörte und baute das persische Gesundheitswesen nach diesem Vorbild auf. Gerade Polak und seine Kollegen waren sehr erfolgreich und sperrten für Österreich das Tor zum Iran auf. Die Donaumonarchie öffnete einige Jahre später eine Botschaft in Teheran und sicherte sich Aufträge bei der Reform des Post- und Finanzwesens in Persien. Österreich wurde so zur ernstzunehmenden Konkurrenz für Großbritannien in der Region.“

Eine außergewöhnliche Freundschaft

Fast zehn Jahre bleibt Jakob Eduard Polak in Persien. In dieser Zeit hilft er beim Ausbau des persischen Gesundheitswesens, von ihm stammten die Entwürfe der ersten Krankenhäuser und Polikliniken. Sein größtes Verdienst ist aber die Gründung des Dar al-Fonun – der ersten medizinischen Hochschule in Persien. Die Einrichtung gilt als Vorläufer der heutigen medizinischen Fakultät der Uni Teheran. Abgesehen davon ist Polak der Schöpfer einer persischen Ärzte-Terminologie, denn der junge Mediziner war äußerst sprachgewandt:

Eingang zum Dār al-Fonūn  (Foto: Leo71538,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)
„Polak unterrichtete seine Studenten in Teheran zunächst auf Französisch, wobei ihm aber ein Dolmetscher helfen musste. Dem Österreicher fiel aber auf, dass der Übersetzer immer seine eigenen Ansichten zur Medizin einbaute. Außerdem waren die Vorstellungen der Studenten sehr veraltet, in Persien war immer noch die klassische Heilkunst Avicennas dominant. So entschloss sich Polak, selbst Persisch zu lernen und auch ein Lehrbuch in der Sprache zu verfassen. Es gibt Gerüchte, dass er das alles in einem halben Jahr geschafft haben soll. Ich denke aber, dass es schon etwas länger gedauert hat.“

Dabei war der Start nicht einfach. Denn die Expedition aus Wien geriet mitten in einen Machtkampf am Hof von Nāser ad-Din Schāh:

„Die Reise allein war sehr anstrengend und der Empfang in Teheran eher unterkühlt. In der Zwischenzeit kam es auf dem Hof des Schahs zu einer Palastrevolte. Hierbei wurde auch Premierminister Amir Khabil abgesetzt und hingerichtet – also derjenige, der die Expedition der Österreicher überhaupt erst eingeladen hatte. Der Schah selbst stand nun unter dem starken Einfluss einer Machtclique um seine Mutter, und die wollte eigentlich nicht viel mit den Westlern zu tun haben. Deshalb ließ der Schah die Delegation aus Wien sehr lange warten, bis er sie vor den Pfauenthron lud.“

Schnell gewann Polak das Vertrauen Nāser ad-Dins und die Beziehungen wurden intensiver. Nach dem Tod seines französischen Leibarztes ernannte ihn der Kadscharen-Herrscher sogar zum obersten Hofmediziner. Das Verhältnis der beiden Männer wurde mit der Zeit dann immer enger, und sie wurden Freunde:

Nāser ad-Din Schāh  (Foto: Wikimedia Commons,  Public Domain)
„Der Schah hörte Polak oft und gern zu, sie sprachen über Geographie, Astronomie oder die Geschichte Europas. In den Archiven ist eine ganz interessante Zeichnung erhalten geblieben. Sie stammt vom Schah persönlich, der ein begnadeter Künstler war. Auf der Federzeichnung ist Polak zu sehen, wobei ihn der Monarch in einem traditionellen persischen Gewand festgehalten hatte.“

Über Konfessionen und Feindschaften hinweg

Leider sei Jakob Eduard Polak in Tschechien heute doch ein wenig in Vergessenheit geraten, meint der Historiker David Venclík:

„In Österreich wird Polak viel mehr reflektiert als in Tschechien. Er wird in seiner Wahlheimat als sehr vielschichtige Persönlichkeit wahrgenommen. Und zwar als Akademiker in vielen Bereichen, ob nun in der Medizin oder in der Orientalistik.“

Interessant ist laut Venclík indes die Sicht auf den Juden Polak im heutigen Iran:

„Das Jüdischsein Jakob Eduard Polaks ist eigentlich kein Thema in der Islamischen Republik. Vielmehr im Vordergrund steht sein Verdienst um das Polytechnikum, das bekanntlich die Grundlage für die medizinische Fakultät der Teheraner Universität bildete und generell als Wiege der modernen Medizin im Iran gilt. Bemerkenswert ist der Stellenwert Polaks bei den iranischen Medizin-Studenten in Wien, von denen es wegen der traditionell guten Beziehungen zwischen beiden Ländern sehr viele gibt. Ein erster Besuchsort dieser Jungärzte ist tatsächlich immer das Grab Jakob Eduard Polaks.“

Grab von Jakob Eduard Polak auf dem Wiener Zentralfriedhof  (Foto: Papergirl,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)
Das Grab war übrigens lange Zeit das einzige mit persischer Inschrift auf dem Friedhof. Polak wünschte sich, unter einem Vers des Dichters Saadi begraben zu sein. Der Grabstein wurde jedoch im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt, er wird seit einigen Jahren sicher im Wiener Institut für Orientalistik aufbewahrt.

Wie stand der Mediziner aber eigentlich zu seiner böhmischen Heimat? Letztlich habe ihn nicht mehr viel mit ihr verbunden, meint Venclík. Polak sei immer ein großer österreichischer Patriot gewesen. So ganz ließ ihn die Gegend um Karlstein aber doch nicht los:

„Es gibt da einen Brief aus dem Iran, der an Polaks Kollegen in Wien adressiert ist. Dort beschreibt der Mediziner einen Ausflug zum See Tar, an dessen Ufern er die umliegenden Gebirgsformationen untersucht hat. Nachdem er die Pferde angebunden und sich einen Sonnenbrand am Nacken geholt habe, so Polak, habe er wunderbare Fossilien gefunden. Die habe er zuvor nur in den Dolomiten gesehen, schreibt er weiter, sowie an seinem Wohnort – und da steht schließlich Karlstein.“