Ein deutsches Literaturmagazin als Tor zur Welt: Das kleine Chemnitzer "Comma" bringt tschechische Autoren groß raus
Seit dem Erscheinen seines Roman-Debüts "Der Himmel unter Berlin" ist der Tscheche Jaroslav Rudis ein gefragter Mann in der Literaturszene. Mittlerweile ist sein Buch auch in Deutschland erschienen. Derzeit arbeitet Rudis an einem neuen Roman, an einer Anthologie über zeitgenössische deutsche Literatur, und im Frühjahr erscheint die dritte Folge der Comic-Reihe "Alois Nebel". Bis vor einem halben Jahr war Rudis über die tschechischen Grenzen hinaus kaum bekannt. Doch dann trat ein kleines Literaturmagazin aus Chemnitz mit dem Namen "Comma" an den Autor heran und bat ihn, einen Auszug aus seinem Roman in deutscher Sprache veröffentlichen zu dürfen. In unserer Sendereihe "Begegnungen" erwartet Sie nun, liebe Hörer, also eine besondere "Begegnung der literarischen Art". Menno van Riesen sich mit Jaroslav Rudis und dem Chefredakteur von "Comma", Lars Neuenfeld, unterhalten.
"Gibt´s denn da überhaupt was?" Diese Frage musste Lars Neuenfeld häufig hören, als er Anfang des vergangenen Jahres beschloss, sich in einer Sonderausgabe seiner bisher rein deutschsprachigen Literaturzeitschrift "Comma" Autoren aus Tschechien zu widmen. Doch kam diese Idee, einen Blick hinüber ins Nachbarland zu werfen, nicht von ungefähr, dachte Neuenfeld doch bereits an den Herbst mit seinen inzwischen etablierten "deutsch-tschechischen Literaturtagen" in Chemnitz. "Edition.cz": So sollte die auf 150 Auflagen limitierte Ausgabe heißen, und als Begleitheft zu den Literaturtagen herauskommen, wie Neuenfeld erzählt:
"Mit dem Festival, das in unregelmäßigen Abständen hier in Chemnitz stattfindet, haben wir als solches nichts zu tun. Wir fanden es aber eine spannende Idee, ein Sonderheft herauszugeben. Und so haben uns nach und nach in diese Thematik verstiegen, viel im Internet recherchiert usw. Somit sind wir immer weiter in die Materie hinein gewachsen.."
Zehn Ausgaben ist "Comma" inzwischen alt. Es erscheint alle drei Monate und wird im "Verein zur Förderung zeitgenössischer Literatur, Kunst und Philosophie" herausgegeben. "Comma" setzt seinen Fokus auf junge Gegenwarts-Literatur, mit einer noch neuen, unverbrauchten Sprache. Erste Hinweise zu tschechischen Autoren und Verlagen erhielt Neuenfeld von Jaromir Konecny. Der gebürtige Tscheche lebt in München und ist in Deutschland vor allem als "Poetry-Slammer" einschlägig bekannt. Und schließlich lernte Neuenfeld auf der Leipziger Buchmesse den jungen Übersetzer Mirko Kraetsch kennen. Neuenfeld erinnert sich: "Mirko Kraetsch hat uns dann eigentlich die Türen aufgeschlossen, um an wirklich gute Text zu kommen. Er hatte mittlerweile sehr viel von jungen tschechischen Autoren übersetzt, allerdings ohne zu wissen, dass deren Texte irgendwann einmal veröffentlicht werden. So sind wir bei Kraetsch auf einen großen Fundus von Texten gestoßen, die in unsere Vorstellungen von der Sonderausgabe sehr gut hinein gepasst haben. Er hat darüber hinaus den Kontakt zu den Autoren hergestellt und dafür gesorgt, dass wir die Texte veröffentlichen können. Natürlich waren die Autoren sehr froh darüber."
Außer Jaromir Konecny, der seine Geschichten in deutsch verfasst, schreiben alle anderen "edition.cz"-Autoren in tschechischer Sprache. Und auch wenn es keine inhaltlichen Vorgaben gab, so verbindet doch alle ein gemeinsames Phänomen: Der typisch "tschechische Sound", wie Neuenfeld es nennt: "Man sieht es bei den Gedichten von vielen Autoren, etwa bei Viki Shock, Bohuslav Vanek-Uvalsky oder Marian Palla: Da gibt es noch einen wunderbaren Zug zum Absurden, Surrealen. Und daneben gibt es für mich noch einen zweiten Aspekt, der mir bei den Autoren häufig aufgefallen ist: Die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit und der Wendezeit. Das gibt es zwar hier im Osten Deutschlands auch, aber dort klingt das anders. Hier erhalten wir oft einen humoresk verbrämten Rückblick auf diese Zeit und erfahren, wie lustig die DDR doch eigentlich war. In dieser Hinsicht geht es bei den tschechischen Schriftstellern doch ein wenig tiefer zu."
Einer von Neuenfelds Autoren in der "edition.cz" ist Jaroslav Rudis. Sein Roman "Der Himmel unter Berlin", aus dem er einen kurzen Auszug in der "edition.cz" veröffentlicht hat, ist in Tschechien inzwischen ein Bestseller geworden. Aufspüren könne man jenen "tschechischen Sound" häufig in der Kneipe, verrät Rudis: "Ja, die Kneipe! Schon bei Hasek oder Hrabal können Sie beobachten, dass eine Kneipe zu einem tschechischen Universum in der Literatur wird. Dort spielt sich mehr ab als in einem Parlament. Das große Leben, eingefangen in einer kleinen Kneipe: Das ist ein zentrales Thema. Das wird es in Tschechien auch immer so bleiben. Aber ich versuche momentan, ein wenig aus dieser Kneipe zu flüchten, obwohl es dort sehr unterhaltsam und melancholisch zugleich zugeht. Wenn Sie drei, vier Bier trinken, ist es unterhaltsam, wenn Sie acht Bier trinken, ist das am Morgen mit dem Kater sehr melancholisch. Aber wir Tschechen machen immer so weiter."
In seiner Heimat wird Jaroslav Rudis inzwischen als zeitgenössischer Autor gefeiert. Im Herbst letzten Jahres erschien "Der Himmel unter Berlin" sogar bei Rowohlt in Deutschland. Und auch wenn Rudis sein Erfolg selbst ein wenig suspekt ist: Irgendwie, so scheint es, muss er mit seinem Roman den Nerv einer ganzen Generation getroffen haben. Doch sei nicht im Entferntesten seine Absicht gewesen, sagt Rudis: "Ich hab in Tschechien immer versucht zu schreiben, aber das ging hier nicht so richtig. Dann bin ich nach Berlin gefahren, musste alle meine tschechischen Freunde in meiner Stammkneipe in Zizkov zurücklassen, und plötzlich ging das mit dem Schreiben. Aus dieser gewissen Einsamkeit ist der Roman entstanden. Ich habe nie daran gedacht, dass wir damit in Tschechien fünf Auflagen machen würden, und dass mein Buch sogar auf deutsch erscheint. Ich geniesse das alles sehr."Oft taucht Rudis beim Schreiben in die tschechische Geschichte ein und greift gern auf Hrabal und Kundera zurück, seine "Kultautoren", wie er sie nennt. Vielleicht ist es eben jene tschechische Mischung aus Heiterkeit und Melancholie, die Rudis bei ihnen findet, und die auch aus seinem eigenen Roman spricht. Er befindet: "Für mich ist das schon eine alte Geschichte. Ich habe das Buch vor drei Jahren geschrieben, und einiges würde ich heute anders schreiben. Aber trotzdem war ich überrascht, dass die Resonanz in der Presse so groß war, dass ich ein paar gute Kritiken bekommen habe, und dass ich nicht so schnell in die Schublade "Popliteratur" gesteckt worden bin. Darüber, dass die Leute mehr als nur Pop gefunden haben, freue ich mich. In meinem Roman ist zwar sehr viel Pop und Punk zu finden, aber auch sehr viel Melancholie, hoffe ich. Ohne Melancholie kann man ja nicht so richtig schreiben."
Zwar hat Rudis mit Rowohlt mittlerweile einen deutschen Verlag gefunden, gleichwohl weiß er, wie schwierig es für tschechische Autoren ist, über die Landesgrenzen hinweg bekannt zu werden. Vor allem, betont Rudis, sei es wichtig, einen Übersetzer zu finden: "Das Interesse an der mittel- und osteuropäischen Literatur im Westen ist nicht sehr groß. Und es ist wirklich ein sehr großes Glück, wenn dir Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ich hatte wirklich Glück mit Rowohlt. Nachdem das Buch jetzt auf deutsch erschienen ist, wurde es zeitgleich auch in Serbien veröffentlicht, und jetzt sieht es so aus, als ob es auch auf polnisch heraus kommt. Das finde ich sehr schön. Deutschland ist für uns eigentlich ein Tor zu Westeuropa, da gibt es den größten Literaturmarkt, ja den größten Markt überhaupt. Z. B. für Autos, CDs oder auch Bratwürste. Jetzt möchte ich nicht Literatur mit einer Bratwurst vergleichen, aber trotzdem: Wenn ein Buch geschrieben ist, wird es im Verlag zu einer "Ware" verwandelt, die irgendwie verkauft werden muss."
Momentan arbeitet Rudis an einer Anthologie über derzeit angesagte deutsche Literatur, die noch in diesem Jahr veröffentlicht werden soll. Rudis erläutert, warum: "Ich meine, es gibt so eine Menge zu entdecken in der gegenwärtigen deutschen Literatur. Wir suchen immer noch eine tschechische Judith Hermann oder einen tschechischen Ingo Schulze. Ich lese sehr gerne die gegenwärtige deutsche Literatur. Thomas Brussig und Ingo Schulze etwa kommen beide aus dem Osten Deutschlands. Sie haben geschrieben über die "Stasi", das kommunistische Regime im allgemeinen oder über ein Leben in einer ostdeutschen Provinz nach der Wende, wie Schulze es getan hat. Sein Buch könnte auch hier in der Nähe von Prag spielen. Ich habe das sehr´ tschechisch´ gelesen."Umgekehrt wünscht sich Lars Neuenfeld von "Comma" -nicht zuletzt durch die "edition.cz" - eine zunehmende Akzeptanz der tschechischen Literatur in Deutschland. Am liebsten wäre es ihm, wenn es künftig keine Sonderausgabe mehr geben müsse, sondern dass Autoren, gleich ob aus Deutschland oder Tschechien, in "Comma" gemeinsam ihre Geschichten veröffentlichen. Für die Zukunft wünscht Neuenfeld sich: "Ich hoffe, dass die tschechische Literatur in Europa wieder einen stärkeren Zug bekommt, dass es nicht nur in Deutschland, sondern auch beispielsweise in Frankreich zu Veröffentlichungen kommt. Dass Literatur-Magazine aus Europa auf Tschechien aufmerksam werden, sich in die Szene vertiefen und die Autoren auch fördern. Tschechien hat die Aufmerksamkeit verdient. Gerade auf die Größe des Landes bezogen, denke ich, ist es ein sehr interessantes, literarisch reiches Land."
Einige Exemplare der "edition.cz" sind zur Zeit noch verfügbar. Die nächste Ausgabe von "comma" zum Thema "zeitgenössische Fabeln" erscheint am 28. Januar, und enthält sogar ein Hörbuch.