Leipzig zieht nach München
Die Reihe „Echo Leipzig 2019“ ist ein Projekt des Vereins Mittel Punkt Europa und des Tschechischen Literaturzentrums in Kooperation mit dem Tschechischen Zentrum München. Programmleiterin Zuzana Jürgens in einem Gespräch.
„Natürlich dreht es sich um tschechische Literatur und Kultur – eben ein Echo dessen, was in Leipzig stattgefunden hat. Gerade im vergangenen halben Jahr sind sehr viele Übersetzungen aus dem Tschechischen erschienen. Wir möchten diese Gelegenheit nutzen und im April und Mai einige Neuerscheinungen in München vorstellen. Dazu gehört für uns auch, tschechische Themen in Film, Musik oder bei Podiumsdiskussionen zur Sprache zu bringen.“
Welche Autoren kommen nach München, um dort aus ihren Werken zu lesen?
„Das ist eine ziemlich bunte Mischung. Der Auftakt ist am 27. März. Da kommt Jaroslav Rudiš und liest aus seinem neuen deutschsprachigen Roman ‚Winterbergs letzte Reise‘. Im Anschluss spielt seine Kafka-Band ebenfalls ein neues Werk, die CD ‚Amerika‘. Es folgen Radka Denemarková, Petr Borkovec, Kateřina Tučková, Tereza Semotamová und Martin Becker, der gerade in diesem Frühjahr sein Buch ‚Warten auf Kafka‘ herausgebracht hat. In diesem geht es um die tschechischen Schriftsteller.“
Einige der Autoren, die sie genannt haben, sind in Deutschland bekannt und treten sehr oft in den deutschsprachigen Ländern auf. Auf andere trifft das weniger zu. Können Sie zum Beispiel Tereza Semotamová näher vorstellen?„Tereza Semotamová ist eine junge tschechische Autorin. Ihr Debüt-Roman ‚Im Schrank‘ ist letztes Jahr erschienen und wurde umgehend ins Deutsche übertragen. Sie lebt als Autorin zwischen Deutschland und Tschechien – das verbindet sie mit der Heldin ihres Romans. Diese kehrt nach einer gescheiterten Beziehung zurück nach Tschechien und ist frustriert. Sie will sich ihr Scheitern nicht eingestehen und schämt sich dafür. Sie hat kein Geld, keine Wohnung und fühlt sich überall überflüssig. Daraufhin beschließt sie, in einen Schrank zu ziehen und dort zu wohnen. Mehr möchte ich noch nicht verraten.“
Eine besondere Veranstaltung ist einem anderen tschechischen Autor gewidmet – Milan Kundera. Er feiert am 1. April seinen 90. Geburtstag. Obwohl er selbst nicht nach München kommt, wird trotzdem auch dort sein Geburtstag gefeiert. Wie?„Wir werden einen Film nach seinem Werk ‚Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins‘ zeigen, und dann haben wir den Literaturkritiker und Rundfunk-Journalisten Niels Beintker eingeladen. Er wird über Milan Kundera sprechen und sein Werk vorstellen. Das ist als eine Veranstaltung gedacht, bei der jeder eingeladen ist, ‚seinen‘ Milan Kundera vorzustellen.“
Wo finden die Lesungen überall statt?
„Das sind das Literaturhaus in München, aber auch die Münchener Volkshochschule, das Kollegium Karolinum, die Münchener Stadtbibliothek und natürlich das Tschechische Zentrum sowie das Filmtheater ‚Arena‘, in dem seit inzwischen fast zehn Jahren jeden ersten Mittwoch im Monat tschechische Filme gezeigt werden.“
Die Lesungen werden ergänzt durch eine Serie von Vorträgen zur tschechischen Literatur. Wie haben Sie diese konzipiert? Lässt sich die zeitgenössische Literatur in Kürze vorstellen und kategorisieren?
„Ich habe beschlossen, mich nur auf deutsche Übersetzungen zu beziehen. Denn die Besucher der Vorträge interessieren die Fragen: Was soll ich lesen? Was lohnt sich? Wen wähle ich aus dieser Fülle aus? Damit ist das Ganze bereits ein wenig eingeschränkt. Außerdem lassen sich innerhalb der zeitgenössischen tschechischen Literatur bestimmte Themenbereiche ausmachen, die ich in diesen drei Vorträgen aufgreife. In einem ist es die Aufarbeitung der neueren Geschichte. In einem anderen Vortrag geht es um aktuelle, auch europäische Themen, wie zum Beispiel den Nationalismus. Und in dem dritten Vortrag gehen wir auf die Frage ein, wie tschechische Schriftsteller die Welt sehen und was ihre Helden in dieser Welt machen.“Die Reihe endet mit einer Diskussion zu einem Thema, das dieses Jahr recht häufig besprochen wird: 30 Jahre nach der Wende. Wer diskutiert darüber in München?„Wir haben den Vorteil, dass wir noch nicht in diese großen Feierlichkeiten im Herbst reinrutschen. Das Jahr 1989 ist aber nicht nur der Herbst. Deshalb stellen wir einen Vergleich zwischen der damaligen Tschechoslowakei und der DDR auf. Gemeinsam mit Eva Kriseová, Tomáš Vilímek vom Institut zur Erforschung totalitärer Regime und Ilko-Sascha Kowalczuk vom Stasi-Unterlagen-Archiv in Berlin schauen wir uns die Entwicklung der beiden Nachbarstaaten an. Nicht zuletzt soll es um die Frage gehen, was aus den Erwartungen und Hoffnungen von 1989 heute geblieben ist.“