Corona-Krise als Chance? Tschechisch-deutsches Literaturfestival in Leipzig

Die Corona-Pandemie ist für uns alle eine Ausnahmesituation. Sie verlangt einem sehr viel ab und zwingt dazu, sich neu zu orientieren. Zudem erschweren der Lockdown und die Quarantäneregelungen, dass sich die Menschen über die Grenzen hinweg austauschen können. Doch gerade die Kreativen, die Kulturschaffenden, suchen nach neuen Wegen, um wieder miteinander ins Gespräch zu kommen. Das beweist auch ein tschechisch-deutsches Literaturfestival, das nun in Leipzig stattfindet. Martin Krafl leitet das Tschechische Literaturzentrum und hat die Veranstaltung mitorganisiert.

An diesem Freitag und Samstag (27. und 28. November) steigt auf der Schaubühne Lindenfels Leipzig ein digitales tschechisch-deutsches Literaturfestival. Das Thema lautet „Zukunft denken. Corona-Krise als Chance?“.

Martin Krafl | Foto: Alžběta Švarcová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks

Herr Krafl, welche Fragen wollen Sie konkret dabei stellen und erörtern?

„Geplant sind Debatten darüber, wie die Corona-Krise die Arbeit von Schriftstellern und Schriftstellerinnen aus beiden Nachbarländern prägt und was sich für sie verändert hat. Aber der Blick richtet sich auch nach vorne, auf die Herausforderungen, die sich aus der Pandemie für eine gemeinsam gestaltete europäische Zukunft ergeben sowie für Literaten in der Rolle als Grenzgänger. Wir werden fragen, ob die Krise auch Chancen etwa für den Kulturaustausch, für neue Vermittlungswege und neue Formate birgt. Dabei geht es um den Ertrag des Schreibens. Wir haben Diskussionen, Lesungen sowie eine Gedicht-Vertonung vorbereitet, es werden auch neue tschechische Bücher in deutscher Übersetzung vorgestellt. Mit ein bisschen Glück kann man live signierte Bücher gewinnen.“

Wer nimmt an den Debatten und Lesungen teil? Wie läuft das Festival ab?

Vít Slíva  (Foto: Ben Skála,  Benfoto,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)

„Deutsche und tschechische Schriftsteller und Schriftstellerinnen sowie Intellektuelle treffen auf der Schaubühne Lindenfels in Leipzig und via zoom aus Prag, Brünn, Příbram und Halle zusammen, um über das erwähnte Thema zu diskutieren. Dabei sind aus Deutschland der Schriftsteller Martin Becker und die Autorin Heike Geißler aus Sachsen sowie aus Tschechien Irena Dousková, Viktorie Hanišová, Tereza Semotamová, Vít Slíva und Marek Toman. An der Veranstaltung nehmen auch die Übersetzerinnen Kathrin Janka und Bianca Lipanska teil. Es moderieren der Kulturjournalist Tino Dallmann, die stellvertretende Direktorin des Tschechischen Zentrums Berlin, Christina Frankenberg, die Geschäftsführerin des Adalbert-Stifter-Vereins, Zuzana Jürgens, und der Übersetzer Mirko Kraetsch. Dazu liest die Schauspielerin Steffi Böttger deutsche Texte aus den Neuerscheinungen tschechischer Autorinnen und Autoren vor. Außerdem hat der tschechische Botschafter in Deutschland, Tomáš Kafka, der selbst Literat ist, seine virtuelle Teilnahme zugesagt. Die Mehrheit der Künstler wird online zugeschaltet. Die Moderatorinnen und Moderatoren sowie die Schauspielerin sind vor Ort in Leipzig auf der Bühne, im historischen Ballsaal der Schaubühne Lindenfels, natürlich ohne Publikum.“

Veranstaltungen mit Zuschauern sind derzeit Corona-bedingt verboten. Wie kommt das Programm zum Publikum?

„Ganz einfach. Über die Website der Schaubühne Lindenfels Leipzig. Dort findet man die Links zu Streaming. Wir möchten zeigen, dass zwar der Publikumsbesuch verboten ist, aber nicht das Ausüben künstlerischer Berufe.“

Mit dem Festival geht die Reihe „Echo Tschechien 2020“ langsam zu Ende. Diese Reihe literarischer Begegnungen knöpfte an den Gastlandauftritt Tschechiens auf der Buchmesse Leipzig 2019 an und präsentierte tschechische Literatur im Ausland. Wie fällt ihr Rückblick aus? War es überhaupt möglich, die Reihe in dem von Corona geprägten Jahr 2020 zu veranstalten?

Radka Denemarková  (Foto: Elena Horálková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

„Es war kompliziert. Man muss aber sagen, dass uns im Dezember noch zwei Veranstaltungen erwarten. Radka Denemarková tritt am 2. Dezember im Literaturhaus Zürich auf, und einen Tag danach stellt Markéta Pilátová ihr Buch ‚Mit Bata im Dschungel‘ in der deutschen Übersetzung von Sophia Marzolff im Rahmen einer Stream-Veranstaltung aus dem Wiener Buch-Café Melange vor. Erst dann werden wir das ganze Projekt evaluieren können. Aber bereits jetzt kann ich sagen, dass mein Team mit Kolleginnen und Kollegen in Brünn, Prag, München und Leipzig unter den schwierigen Pandemie-Bedingungen eine enorme Arbeit geleistet hat. Trotz der komplizierten Reisevorschriften und teilweise geschlossenen Grenzen im Frühling haben Dutzende Autoren und Autorinnen an verschiedenen Orten in Europa ihre Werke in deutscher Übersetzung vorgestellt. Die beste Nachricht ist, dass es auf dem deutschsprachigen Buchmarkt dank dem Gastlandauftritt Tschechiens auf der internationalen Leipziger Buchmesse 2019 und dank dem Projekt ‚Echo Tschechien 2019‘ und ‚Echo Tschechien 2020‘ rund einhundert Neuerscheinungen in deutscher Sprache gibt. Das Tschechische Literaturzentrum wird die Autorinnen und Autoren im nächsten Jahr weiter mit seiner PR-Arbeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterstützen.“

Illustrationsfoto: Claudia Wolff,  Unsplash / CC0

Noch einmal zurück zum Motto der anstehenden Veranstaltung, also zur Frage, ob die Corona-Krise auch als Chance betrachtet werden kann. Was meinen Sie persönlich dazu?

„Ich denke, diese Krise zeigt auf jeden Fall, dass wir die gewohnten Formate oder Arbeitswege auch ändern können. Dass wir miteinander diskutieren dürfen und sollen, ob manche Sachen anders gemacht werden sollten. Ich meine damit zum Beispiel die Veranstaltungen, die online angeboten werden. Es zeigt uns, dass auch bei den Autorinnen und Autoren manche Änderungen nötig sind. Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass viele von ihnen bis zum Frühling noch nie an einer Online-Veranstaltung teilgenommen haben. Das heißt, wenn sie dann vor der Kamera sitzen und über ihre Bücher erzählen sollen, ist es für sie anders, als vor Leserinnen und Lesern in einem kleinen Saal in einer Stadtbibliothek zu sitzen. Das sind natürlich neue Herausforderungen für uns alle. Obwohl wir sehr viele Formate online anbieten, habe ich aber das Gefühl, dass wir alle die persönlichen Kontakte vermissen. Wir freuen uns, dass es bei den Online-Versionen unserer Arbeit nicht bleiben dürfte und wir nächstes Jahr wieder ‚normal‘ arbeiten und leben können.“