Der Wiederentdecker: Journalist und Schriftsteller Jürgen Serke ist tot

Jürgen Serke

Im Alter von 85 Jahren ist am Samstag Jürgen Serke gestorben. Der Schriftsteller und Journalist machte sich unter anderem um die Entdeckung vergessener tschechischer Autoren verdient.

Jürgen Serke | Foto: Archiv des Adalbert-Stifter-Vereins

Jürgen Serke wurde 1938 in Landsberg an der Warthe im heutigen Polen geboren. Als Journalist in Westdeutschland arbeitete er für die Nachrichtenagentur United Press International, den Stern und die Welt. Sein Leben lang bewegte den Journalisten vor allem eines: die Schicksale verfolgter Schriftsteller aufzuschreiben.

1977 publizierte Serke unter dem Titel „Die verbrannten Dichter“ die Geschichte von Literaten, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Später widmete sich der Journalist den „verbannten“ Dichtern – also all jenen, die wegen des Kommunismus gezwungen waren, ins Exil zu gehen. Darunter waren auch zahlreiche Autoren aus der Tschechoslowakei.

Aber wie kam es überhaupt, dass sich der Journalist aus der Bundesrepublik für die tschechischen Schriftsteller interessierte? Das schilderte Jürgen Serke vor einigen Jahren im Interview für Radio Prag International:

„Ich war 1967 als Journalist mit Verhandlungsführern der Bundesrepublik in Prag, die über die Handelsbeziehungen mit der Tschechoslowakei sprachen. Am Abend saß ich ihm Hotel Jalta und habe mir angehört, was unser Minister dort erzählt hat. Ich fand das aber alles schrecklich langweilig, denn im Grunde erzählte er gar nichts. Ich ging deshalb zu den Autoren, denn zu dieser Zeit gab es einen berühmten Schriftstellerkongress mit Milan Kundera, Ludvík Vaculík, Pavel Kohout und all den anderen. Und da fing alles an. Für mich war diese Gesellschaft von Schriftstellern, die eine Opposition gegen ein Regime betreiben, faszinierend.“

Für sein Buch „Die verbannten Dichter“ und die gleichnamige Serie im Stern besuchte der Autor etwa den tschechischen Lyriker Ivan Blatný. Einfühlsam erzählt Serke in seiner Reportage von seiner Begegnung mit dem Dichter im „Irrenhaus“ in England. Er schildert, wie Blatnýs Gedichte wieder einmal vom Klinikpersonal entsorgt werden und sich der in seiner Heimat zwischenzeitlich für tot erklärte Schriftsteller über die mitgebrachten Pralinen und Zigaretten freut. Serke porträtierte aber auch weitere emigrierte Schriftsteller. Im Interview erinnerte sich der Journalist später:

„Ich traf Milan Kundera in Paris, Arnošt Lustig in Washington und Josef Škvorecký in Toronto.“

1987 veröffentlichte Serke eine weitere Publikation, in der er sich mit Böhmen und Mähren auseinandersetze. Diesmal ging es aber um die deutschsprachigen Autoren. „Böhmische Dörfer. Wanderungen durch eine verlassene literarische Landschaft“ hieß das Buch, und Serke stellte darin 47 Autoren vor…

„Drei habe ich ausgelassen, sonst hätte ich 50 gehabt. Die drei waren Kafka, Werfel und Rilke, denn die kannte man bereits. Die 47 anderen waren aber unbekannt. Es war eine Wahnsinnsarbeit. Die meisten der Autoren waren tot, aber ich besuchte ihre Zeitgenossen – in aller Herrenländer. Denn diese deutschsprachigen Schriftsteller wurden ja erst einmal von den Nazis vertrieben und gingen oftmals ins westliche Ausland. Das ganze Projekt war an der Grenze meiner physischen Möglichkeiten. Eigentlich muss man dafür ein Literaturinstitut an seiner Seite haben. Aber ich habe das alles alleine gemacht.“

In der kommunistischen Tschechoslowakei sorgte Serkes Buch noch für einen Aufschrei. Nach der politischen Wende aber war dann der Wille da, den Titel auch auf Tschechisch zu publizieren. Doch bis es dazu kam, dauerte es noch einige Jahre.

„Irgendwann gab es einen winzigen Verlag in Prag, Triáda. Sie sagten, dass sie das Buch herausbringen wollen. Ich entgegnete, dass es schon so viele Versuche gab und ich das nicht glauben könne. Aber dann haben sie mich nach Prag eingeladen und mir den Verlag gezeigt. Er war drei mal vier Meter groß. Ich bin den Raum abgeschritten und habe gesagt: ‚Zwölf Quadratmeter – das könnte gut werden!‘“

Und es wurde gut. 2001 erschien das Buch, und ein Jahr darauf wurde die Publikation mit dem wichtigsten tschechischen Literaturpreis Magnesia Litera ausgezeichnet – der damals zum ersten Mal überhaupt vergeben wurde.

Für seine Verdienste wurde der Schriftsteller 2012 mit dem Kunstpreis zur deutsch-tschechischen Verständigung ausgezeichnet. 2017 erhielt er den Preis Gratias agit vom tschechischen Außenministerium.

Jürgen Serke starb am vergangenen Samstag – wenige Tage vor seinem 86. Geburtstag.