Journalist Jürgen Serke: „Ich war Bodyguard von Präsident Havel.“
Der deutsche Journalist und Autor Jürgen Serke ist in Tschechien vor allem dank seinem Buch Böhmische Dörfer bekannt. Darin hat er 47 teilweise unbekannte vernachlässigte deutschsprachige Schriftsteller aus Böhmen und Mähren porträtiert. Im Jahre 1967 besuchte er zum ersten Mal Prag. Fünfzig Jahre später kam er zurück, um den Preis des tschechischen Außenministeriums Gratias agit entgegenzunehmen.
„Ich bin erfreut. Das ist ja ein politischer Preis, und ich habe mein ganzes Leben lang nur mit der Literatur zu tun gehabt. Dass ein Außenministerium jetzt das Ansehen der Tschechischen Republik festmacht an Kultur, das ist eine erstaunliche Geschichte, die man in Deutschland so nicht findet.“
Wie sind sie eigentlich mit der Tschechischen Republik beziehungsweise Tschechoslowakei in Kontakt gekommen? War es ein Zufall, oder war es bewusst Ihre Wahl sich mit dem Land zu beschäftigen?
„Schwer zu sagen. Es war eigentlich meine berufliche Aufgabe. Ich war 1967 hier als Journalist mit den Verhandlungsführern der Bundesrepublik Deutschland. Damals wurde über die Handelsbeziehungen mit der Tschechoslowakei gesprochen. Da habe ich im Hotel Jalta gesessen und wir hatten immer abends zugehört, was unser Minister dort erzählt hat. Ich fand das alles schrecklich langweilig, weil er eigentlich nichts erzählte. Und ich bin dann zu den Schriftstellern gegangen. In dieser Zeit gab es den berühmten Schriftsteller-Kongress mit Milan Kundera, Ludvík Vaculík, Pavel Kohout, und wie sie alle hießen. Und da bin ich geblieben. Da fing es einfach an. Das war für mich faszinierend, eine Gesellschaft von Schriftstellern, die Opposition gegen ein Regime betrieben hat. So fing die Geschichte an. Und dann bin ich bei den Tschechen geblieben. Ich war schließlich 1967 und 1968 in Prag, und dann passierte der Einmarsch der sowjetischen Truppen. Ich wollte wieder rein in die Tschechoslowakei, kam aber nicht mehr. Seitdem bin ich eigentlich eine Persona non grata geblieben bis zum Jahre 1989.“
„Das war für mich faszinierend, eine Gesellschaft von Schriftstellern, die Opposition gegen ein Regime betrieben hat.“
Standen Sie mit den Schriftstellern weiter in Kontakt, obwohl Sie eine unerwünschte Person waren in der Tschechoslowakei?
„Das Verrückte war, ich traf die alle im westlichen Exil wieder. Ich traf Milan Kundera in Paris, ich traf Arnošt Lustig in Washington, ich traf Škvorecký in Toronto. Sie waren alle da im Exil. Dort habe ich sie besucht und habe dann auch ein Buch darüber geschrieben. In ‚Die verbannten Dichter‘ habe ich ihre Schicksale beschrieben. Nicht nur Tschechen, sondern auch Polen im Exil, Ungarn, Rumänen und Russen habe ich in aller Welt aufgesucht und über sie geschrieben. Ich habe den deutschen Lesern etwas an die Hand gegeben, was sie in den Originalwerken haben auch lesen können. Ich habe mir ganz einfach gedacht, das müsste ja interessieren. Es interessierte auch, kurz nach dem Einmarsch der Sowjets 1968 hat alles auf die Tschechoslowakei gekuckt, und dann wurde das immer weniger und am Ende konnte man eigentlich nichts mehr hören. Aber in diese Zeit, wo es immer weniger wurde, bin ich mit meinen Geschichten an die deutsche Öffentlichkeit gegangen.“
Kommen wir noch zurück zu den 1960er Jahren in der Tschechoslowakei. Sie haben damals nicht nur Schriftsteller, sondern auch die politischen Spitzen getroffen…„Ich war da mitten drin. Ich traf mich mit Gustav Husák, der ein gutes Deutsch gesprochen hat. Husák hat zu mir gesagt, wissen Sie, der russische Stern im tschechoslowakischen Wappen über dem Löwen, der kommt auch noch weg. Und dann war er dabei und hat nachher diese ganze Revolution liquidiert als ein Mann mit einer ganz anderen Haltung. Ich habe Alexandr Dubček kennengelernt, bei der Wahl von Ludvík Svoboda zum Präsidenten am Veitsdom. Ich stand da, da gingen alle raus nach der Wahl. Ich als Journalist mit Dubček, den ich vorher im Interview schon gesprochen hatte. Und dann stellten sich die Politiker der Tschechoslowakei vor dem Veitsdom auf, und ich stand dann neben Dubček. Als dann die Russen einmarschiert sind und Dubček zur Unperson wurde, gab es ja noch keine digitale Technik, sondern nur diese schöne russische alte Art, etwas rauszuretuschieren. Dann haben sie Dubček natürlich aus diesem Foto rausretuschiert. Mich haben sie drin gelassen. Aber einen anderen Politiker, den sie noch rausretuschiert haben, haben sie mit einem Bein drin gelassen. So stehe ich mit drei Beinen weiter.“
„Dann haben sie Dubček natürlich aus diesem Foto rausretuschiert. Mich haben sie drin gelassen.“
20 Jahre später konnte Jürgen Serke den früheren Politiker Alexandr Dubček wieder treffen. Aber auch zahlreiche Dissidenten, mit denen er früher in Verbindung stand.
„Ich stand also in der Fälschung dieser Geschichte und 1989 bin ich dann tatsächlich reingekommen während der Revolution nach Prag. Ich kam mit dem Auto und oben hörte ich einen Riesenjubel auf dem Letná-Hügel. Da habe ich mein Auto an der Straße stehen lassen, was man nicht durfte, bin hochgeklettert und habe alles hautnah erlebt. Und dann habe ich sie alle wiedergesehen. Ich habe Eda Kriseová als erste getroffen, die eine enge Freundschaft zu Havel hatte. Und dann bekam ich einen Ausweis für die Kellerräume der Laterna Magica. Dort war das Lagerzentrum der Revolution, und da konnte ich immer rein und traf sie alle. Und begegnete auch Dubček wieder. Wir haben geredet über dieses Foto, diese Fälschung, und da hat er gesagt, dass wir nun wieder beide im Bilde seien. Solche Sachen würden halt passieren.“
Der Journalist erinnert sich an die Tage der Samtenen Revolution und an seine damalige Beziehung zu Václav Havel:„Havel war abends immer restlos fertig gewesen, dann wurde er massiert, und es ging ihm wieder gut. Er war aber nicht nur Schriftsteller, sondern auch ein unvernünftiger Mensch. Als es ihm wieder gut ging, fragte er, wo man nun hingehen könnte, um 11 Uhr. Wir trafen wir uns in der Rybárna, einem Fischrestaurant an der Moldau, und da wir haben noch gesessen. Einmal kam ein lauter Polizeiwagen, und wir dachten, jetzt werden wir alle verhaftet. Nun war die Frage, sollen wir schnell auseinandergehen oder bleiben wir? Dann hat Havel gesagt, wir bleiben, es passiert auch nichts. Diese ganzen Dinge habe ich miterlebt.“
Und noch eine „der schönsten Geschichten“ hat Serke parat:
„Ich habe dann Havel gefragt, ob ich den als Journalist an seiner Seite sein kann. Er sagte, das könne er nicht machen. Es seien da 200 Journalisten, er könne nicht einen bevorzugen. Und dann habe ich mir gedacht, da musst du jetzt einmal mit einem guten Satz aus deiner Niederlage herauskommen, und habe ihm gesagt, na ja, wenn nicht als Journalist, dann als Bodyguard. Er hat mich angekuckt und die umstehenden Leute um ihn herum, und hat sie gefragt, wer hat dem Serke erzählt, dass wir heute beschlossen haben, Bodyguards anzuheuern? Alle lachten, denn natürlich hatte sie mir das erzählt. Dann war ich Havels Bodyguard, bis er Präsident wurde. Mit einer ganzen Kolonne von Leuten sind wir nach Bratislava gefahren, wo Havel sich vorgestellt hat. Wir waren bei allen alten Funktionären und Ministern, da haben sie mir aber immer gesagt, ich solle kein deutsches Wort sagen. Das wäre so ein Skandal gewesen, den die Kommunisten gerne gehabt hätten. Aber es war nicht der Fall. Nach der Wahl fuhren wir dann gemeinsam in die Wohnresidenz oben auf dem Hradschin, in der bis vor einigen Tagen noch Gustav Husák gewohnt hatte. Havel ist mit uns durch diese Wohnresidenz gegangen, und wir haben den schlechten Kunstgeschmack von Husák bewundert. Und dann hat er mir das erste Interview als Staatspräsident gegeben, das ich im Stern veröffentlicht habe. Soweit einige Geschichten aus meiner Prager Zeit.“
„Dann war ich Havels Bodyguard, bis er Präsident wurde. Er hat mir das erste Interview als Staatspräsident gegeben.“
Und soweit der erste Teil unseres Gesprächs mit Jürgen Serke. Den zweiten Teil bringen wir in der Sendereihe Heute am Mikrophon am kommenden Dienstag. Darin geht es vor allem um Serkes Buch „Böhmische Dörfer. Wanderungen durch eine verlassene literarische Landschaft“.