Ein großer Physiker in Prag: Einsteins drei Semester an der Moldau
Vor kurzem wurde in Prag ein interessantes Jubiläum begangen: Albert Einsteins Aufenthalt an der Prager deutschen Universität endete 1912, also vor genau 100 Jahren Der berühmte Physiker wurde nämlich im März 1911 als Professor nach Prag berufen, verließ die Moldaustadt aber ein Jahr später wieder. Zu Ehren dieses Jubiläums wurde eine große Konferenz veranstaltet und eine Ausstellung eröffnet.
Einstein kam nach Prag, weil er im März 1911 an der deutschen Universität eine Stelle erhalten hatte. Professor Jiří Bičák ist Leiter des Instituts für theoretische Physik an der Prager Karlsuniversität. Sein Institut hat die Konferenz über Einstein organisiert:
„Er wurde hier zum ersten Mal ordentlicher Professor, er bekam eine Wohnung gestellt und hatte Bedienstete. Auf der anderen Seite hat er sich sehr über das schlechte Trinkwasser beschwert. Ich denke aber, was ihm hier wirklich sehr gefallen hat, waren die Institute und die Bibliotheken, die er zur Verfügung hatte.“
Einstein war zwar aufgrund seiner Arbeiten bereits bekannt, eine nennenswerte universitäre Karriere hatte er aber noch nicht erreicht. Zur Jahrhundertwende hatte er die Hochschule abgeschlossen und erhielt ein Diplom als Fachlehrer für Mathematik und Physik. Seine anschließenden Bewerbungen bei verschiedenen Universitäten waren nicht erfolgreich. Zunächst arbeitete er als Hauslehrer, erst 1902 erhielt er eine feste Stelle als technischer Experte beim Schweizer Patentamt in Bern. 1905 hatte Einstein sein produktivstes Jahr, aus dieser Zeit stammt auch seine Dissertation mit dem Titel: „Eine neue Bestimmung der Moleküldimensionen“. Seinem Antrag auf Habilitation wurde aber erst 1908 stattgegeben, 1909 wurde er Dozent für theoretische Physik an der Züricher Universität und ging dann 1911 nach Prag. Bičák hat aber noch eine Erklärung, warum Einstein an die Moldau kam:
„Ein wirklich wichtiger Grund nach Prag zu kommen war für Einstein, dass Ernst Mach hier tätig war. Mach hat ihn sehr beeinflusst. Er war ein deutschsprachiger österreichischer Physiker, der aus Chrlice bei Brünn stammte. Er hat in Prag eine sehr berühmte Denkrichtung begründet, es war auch eine philosophische Denkrichtung, nicht nur eine naturwissenschaftliche. Mach hat auch tschechische Studenten ausgebildet, und es ist bekannt, dass er mit ihnen Tschechisch sprach.“Ernst Mach war Mathematiker und Physiker. Er kam 1867 als Professor für Physik an die Prager Karl-Ferdinand-Universität. Zweimal war er sogar Rektor, 1879/80 und 1883/84. In diese Zeit fiel auch die Trennung der Universität in einen tschechischen und einen deutschen Zweig, eine Folge der immer stärker werdenden Spannungen zwischen Tschechen und Deutschen in Böhmen. Der Historiker Tomáš Hermann erklärt den Stellenwert der beiden Universitäten:
„Die tschechische Universität war das Ergebnis der Emanzipation der tschechischen Gesellschaft. Sie war eine wissenschaftliche Spitzeninstitution, an der die Spitzen der Fachgebiete lange Jahre gewirkt hatten. Die deutsche Universität war in einer etwas anderen Lage. Sie hatte zweifellos den Vorteil, mit der deutschsprachigen Wissenschaft in Kontakt zu stehen. Während aber die tschechische Universität eine wissenschaftliche Spitzeneinrichtung war, bewegte sich die deutsche Universität auf provinziellem Niveau, neben Innsbruck, Graz und anderen. Die deutsche Spitzenuniversität war Wien.“Dem wollte die deutsche Universität entgegenwirken. Schüler von Ernst Mach, der die Prager deutsche Universität 1895 verlassen hatte, schlugen Albert Einstein vor. Er sollte einen Lehrstuhl für theoretische Physik gründen und vor allem eine eigene Denkrichtung, eine eigene Schule begründen. Daher war die Berufung Einsteins auch ein großer Erfolg, wie Hermann erklärt:
„Es war schon damals klar, dass Einstein ein aufgehender Stern war. Und seine Berufung nach Prag war eine Sensation, ein öffentliches Ereignis. Seine Vorlesungen wurden von deutschen und tschechischen Studenten besucht, und das passierte damals nicht oft.“
Allerdings darf man sich eine solche Vorlesung nicht in Größenordnungen vorstellen, wie sie heute normal sind. Hinzu kam, dass Einstein an der Lehre kein großes Interesse zeigte. Historiker Hermann:
„Seine Veranstaltungen wurden höchstwahrscheinlich von allen Studenten besucht, die an der deutschen Universität Physik studierten. Das waren 36 bis 40 Studenten. Die pädagogischen Ergebnisse waren aber nicht sonderlich groß, Einstein war kein Lehrer, seine Vorlesungen hielt er nicht besonders didaktisch. Er beschäftigte sich mehr mit seinen Gedanken und improvisierte viel. Die Studenten kamen da oft nicht mit. Die hohe Zahl von Hörern, die sein gefeierter Beginn in Prag anlockte, ging schnell wieder zurück, weil sich Einstein seinen sehr speziellen Problemen widmete. Er liebte es, während der Vorlesung gedanklich zu improvisieren und zu experimentieren.“
Professor Bičák vom Institut für theoretische Physik bestätigt, dass Einstein kein großes Interesse an der Formung einer eigenen Denkschule hatte:„Er betreute in Prag keinen einzigen Studenten, im Unterschied zu Ernst Mach, der eine ganze Reihe von Studenten betreute. Mach hat der tschechischen Physik einen fantastischen Dienst erwiesen. Strouhal, Koláček, das sind Leute, die er hervorgebracht hat.“
Nach drei Semestern verließ Einstein Prag im Sommer 1912 wieder. Er folgte einem Ruf an die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich. Mit dieser Entscheidung enttäuschte er seine Fürsprecher in Prag. Er empfahl jedoch Philipp Frank als Nachfolger. Dieser ebenfalls renommierte und erfolgreiche Physiker blieb bis zu seiner Emigration 1938 an der Prager deutschen Universität.
Einstein blieb der Tschechoslowakei auch nach seinem Weggang treu. An Weihnachten 1937 versuchte er aus den Vereinigten Staaten von Amerika, den Menschen in der Tschechoslowakei am Vorabend des Münchener Abkommens Mut zuzusprechen. Und nach dem Krieg wandte er sich 1950 in einem Telegramm an Präsident Gottwald und Premier Zápotocký. Er bat um Gnade für Milada Horáková und die anderen, in politischen Prozessen Verurteilten.