„Ein Jahr ohne Karlovy Vary ist fast wie ein Jahr ohne Weihnachten.“
Der österreichische Filmregisseur Andreas Horvath ist ein Stammgast beim Filmfestival in Karlsbad. In diesem Jahr hatte sein Film „Zoo Lock Down“ dort Weltpremiere.
Herr Horvath, wir treffen uns nicht das erste Mal beim Filmfestival in Karlsbad. Sie haben hier vor drei Jahren Ihren Spielfilm „Lillian“ präsentiert. Jetzt kommen Sie mit einem neuen Film, „Zoo Lock Down“. Wovon erzählt er?
„Vom Lockdown im Zoo. Ich hatte 2020, als der erste Lockdown kam, eine Idee, und zwar zu schauen, wie sich das im Zoo abspielt. Es war nämlich so, dass ich etwa 2015 von einem Zoo in Buenos Aires gehört habe, der damals aus Geldmangel geschlossen wurde. Lange Zeit war nicht klar, was mit den Tieren passiert. Nicht wenige Tiere wurden in diesem geschlossenen Zoo gehalten und gefüttert. Dieser surreale Aspekt, dass die Tiere eigentlich im Zoo für die Menschen ausgestellt sind, die Menschen aber nicht mehr kommen, hat sich dann im echten Lockdown in Salzburg wieder ergeben. Ich konnte damals in Buenos Aires dieses Projekt nicht verfolgen, weil ich mit einem anderen Film beschäftigt war. Nun habe ich eine Chance gesehen, das nochmals zu versuchen.“
„Lillian“ war ein Spielfilm – in Ihrem Schaffen eine Ausnahme. Zuvor haben sie Dokumentationen gedreht. Wie ist es mit diesem „Zoo Lockdown“?
„Auch ‚Lillian‘ war zum Großteil sehr dokumentarisch angelegt. Der ‚Zoo Lock Down‘ ist auf jeden Fall eine Dokumentation, wenn auch keine klassische. Ich habe diesmal sehr viel mit Sounddesign gearbeitet, viel mehr als sonst bei meinen Filmen. Es gibt da nicht nur Musik, sondern ein durchgehendes Sounddesign, das die Realität noch mal verfremdet und interpretiert.“
Wie lange haben Sie im Zoo in Salzburg gedreht?
„Der ‚Zoo Lock Down‘ ist auf jeden Fall eine Dokumentation, wenn auch keine klassische. Es gibt da ein durchgehendes Sounddesign, das die Realität noch mal verfremdet und interpretiert.“
„Bis ich wirklich anfangen konnte zu drehen, war schon Mitte des Lockdowns. Ein paar Wochen lang bin ich relativ regelmäßig hingegangen, in der Früh, und am Abend wieder nach Hause. Ich musste schon immer sagen, wo ich ungefähr bin, aber wurde dann doch über Stunden alleine gelassen. Ich habe angefangen zu schneiden, und dann, später im Jahr 2020, kam ja noch mal ein Lockdown. Ich habe den noch mal genützt um nachzudrehen, und dann habe ich auch 2021 noch mal nachgedreht. Aber 90 Prozent des Materials stammen aus dem ersten Lockdown.“
Waren Sie zuvor ein Zoo-Fan, ein häufiger Besucher von Tiergärten?
„Überhaupt nicht. Ich kann mich vielleicht an ein, zwei Besuche mit meinen Eltern im Salzburger Zoo erinnern, als ich klein war. Ich weiß noch, dass mich diese Situation, den Tieren von so nahe zuzuschauen, schon als Kind ein bisschen befremdet hat. Sie sind eingesperrt, und wir Menschen gehen außen auf und ab und schauen direkt in ihren Lebensbereich hinein. Wahrscheinlich hat mich dies auch bewogen, diesen Film zu machen, um dieses Gefühl von damals, das ich als Kind nicht so ausdrücken konnte, filmisch zu artikulieren.“
Waren Ihre Gefühle jetzt ähnlich?
„Ja. Ich war alleine im Zoo, das ist eine außergewöhnliche Situation. Ich war dann auch am Eröffnungstag dabei und habe das mitbekommen, wie anders die Atmosphäre ist – die Lautstärke durch die Menschen, die Aufgeregtheit, die durch die Menschen hereinkommt.“
Was hat Sie bei den Dreharbeiten besonders beeindruckt?
„Das Faszinierende ist die Vielfalt an Kreaturen, die wir betrachten können.“
„Wie unterschiedlich die Tiere reagieren und wie unterschiedlich die Tiere überhaupt sind. Ich bin zoologisch nicht so bewandert, vergesse auch immer die Namen von diesen unterschiedlichen Affenarten. Aber das Faszinierende ist diese Vielfalt an Kreaturen, die wir betrachten können.“
Haben Sie mit der Kamera nur beobachtet? Oder vielleicht die Tiere auch mal gereizt, um eine Reaktion zu sehen?
„Nein. Man sieht teilweise an den Fenstern, dass es verboten ist, das Blitzlicht zu verwenden. Man weiß von dem Kaiman, der ganz alleine da hinter Glas ist, dass man den nicht reizen soll. Es gibt die Katta-Affen mit den langen Schwänzen, die unglaublich witzig sind, aber da muss man auch aufpassen. Einmal habe ich einen Apfel gegessen, während ich gefilmt habe, und da sind sie schon zudringlich gewesen. Ich habe den Apfel hingeworfen, und das Interesse war der Apfel. Diese Äffchen laufen immer frei, auch wenn die Besucher da sind. Es besteht natürlich die Gefahr, dass sie zu sehr gefüttert werden, dass sie etwa auf ein Kind zu sehr reagieren.“
Sie haben das Drehbuch verfasst, Sie haben die Kamera in der Hand gehalten, die Regie geführt, den Sound und die Musik gemacht… Wie kann man das alles alleine leisten? Geht es überhaupt?
„Der Film ist rechtzeitig fertiggeworden, also es geht, aber es war eine harte Arbeit. Ja, es interessiert mich alles. Ich habe angefangen mit Fotografie. Ich habe mich für Musik interessiert, habe Klavier gespielt, aber die technischen Möglichkeiten heute sind so, dass ich mit dem bisschen musikalischen Wissen, das ich habe, ein Orchester spielen lassen kann. Es geschieht am Computer, aber man hört den Unterschied kaum. Ich habe auch das Poster selber gemacht, Grafik hat mich immer schon interessiert. Ich genieße das, dass ich den Film wirklich zu Ende führen kann. Es dauert dann wahrscheinlich länger, aber ich glaube, es ist ganz wichtig, dass man sich diese Zeit nimmt und dass man auch die Gelegenheit hat, zu experimentieren. Das habe ich nicht unbedingt, wenn ein Produzent dabei ist, oder wenn ein Editor mit mir arbeitet. So kann ich vielleicht gewagtere Wege ausprobieren. Ich genieße diese Freiheit.“
Fehlt Ihnen die Möglichkeit nicht, den Film mit jemandem zu besprechen beziehungsweise kritische Einwände von jemandem zu hören?
„Ich genieße das, dass ich den Film wirklich zu Ende führen kann. So kann ich vielleicht gewagtere Wege ausprobieren.“
„Doch, das kommt auch, aber erst später. Ich muss zuerst wirklich eine Version haben, zu der ich auch stehen kann. Und dann gibt es schon Meinungen von Freunden, Bekannten und Familie, die man aber auch überprüfen muss. Von wem kommt das, warum… Man darf nicht immer auf alles hören.“
Ihr Film wird in Karlsbad im Wettbewerb „Proxima“ aufgeführt. Das ist ein neuer Wettbewerb, er hat den Wettbewerb „Östlich vom Westen“ ersetzt, der geografisch definiert war. Was charakterisiert diese „Proxima“-Sektion?
„Da müssten Sie eigentlich die Festivalbetreiber fragen. Aber so wie ich es verstanden habe, war nach vielen Jahren die Zeit reif, das ein bisschen zu erneuern und nicht so geografisch zu begrenzen. Ich glaube, ‚The East of the West‘ war damals eine ausgezeichnete Idee. Aber ich verstehe, dass nach so vielen Jahren die Zeit gekommen ist, dies neu zu definieren. Ich glaube, der neue Wettbewerb ist für Filme gedacht, die eben abseits des Mainstreams stehen, wo mehr Geduld gefragt ist für Experimente oder wo man versteht, andere Wege auszuloten.“
Im Festival-Katalog, in dem Sie und ihr Film vorgestellt werden, steht, sie seien ein regelmäßiger Gast beziehungsweise Stammgast des Festivals in Karlovy Vary. Waren Sie schon öfters hier?
„Das Festival in Karlovy Vary ist riesig und trotzdem sehr intim.“
„Oh, ja. Das erste Mal 2006, da habe ich mit einem Kurzdokumentarfilm in meiner Kategorie gleich gewonnen. Ich wurde im Jahr darauf in die Jury eingeladen. Seitdem war ich mit den meisten Filmen, die ich gemacht habe, hier. Jetzt wiedermal mit einer Weltpremiere, das gab es schon länger nicht. Aber ich war auch in anderen Jurys, und letztes Jahr war ich als Tutor hier.“
Und können Sie Karlovy Vary mit anderen Festivals vergleichen? Was ist zeichnet Karlsbad aus?
„Es ist riesig, von den Besucherzahlen, von dem Angebot und den ganzen Begleitveranstaltungen, und trotzdem sehr intim. Ich glaube, es liegt am Team des Festivals. Es gibt Leute, die ich seit 2006 kenne. Das ist schon ziemlich einzigartig, es gibt sonst eine große Fluktuation bei Festivals. Ich glaube, dass man hier sehr kollegial miteinander umgeht. Und das zeigt sich dann auch im Umfang mit den Gästen. Ich fühle mich ausgesprochen wohl hier. Ein Jahr ohne Karlovy Vary ist fast wie ein Jahr ohne Weihnachten.“