„Ein Land an der Küste“: Tschechien wird Gastland der Frankfurter Buchmesse 2026
Tschechien wird sich im Jahr 2026 als Gastland der Frankfurter Buchmesse präsentieren. Der tschechische Kulturminister Martin Baxa (Bürgerdemokraten) und der Direktor der Messe, Juergen Boos, haben am Montag in Prag den Ehrengast-Vertrag unterzeichnet.
Die Tschechische Republik wird im Jahr 2026 Ehrengast der Frankfurter Buchmesse sein, wie ihr Vorstandsvorsitzender Juergen Boos Anfang dieser Woche in Prag bekanntgab. Gegenüber Radio Prag International erklärte er, womit die tschechische Bewerbung ihn und seine Kollegen überzeugt hat:
„Wir haben immer eine lange Warteliste von Sprachräumen und Nationen, die sich in Frankfurt bewerben, und machen uns die Entscheidung nicht leicht. Wir haben uns aufgrund der Einzigartigkeit der Bewerbung entschieden. In den letzten Jahren ist mir aufgefallen, dass es in Tschechien viele junge, gesellschaftskritische Autorinnen gibt, die ich sonst nirgends sehe. Für mich war ein Kriterium, dass es in dem Land eine lebendige Literaturszene gibt, die über ihren Tellerrand hinausschaut. Zudem war für mich die Unterstützung der Verlage, Buchhändler, und AutorInnen wichtig und dass das Land mit Leidenschaft dabei ist.“
Ein Land mit Leidenschaft
Einen Schwerpunkt soll 2026 die Gegenwartsliteratur bilden, mit einem besonderen Fokus auf weiblicher Literatur. Und was bedeutet laut Boos ein Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse?
„Sie können das vielleicht mit einer Olympiade vergleichen. Sie müssen jahrelang trainieren, um dann tatsächlich aufzutreten und die Literatur sichtbar zu machen. Zu den Inhalten gehört etwa ein Übersetzungsförderungsprogramm in viele Sprachen dazu, das über zweieinhalb Jahre laufen wird, und auch nach dem Auftritt große Nachhaltigkeit hat. Es geht darum, durch Geschichtenerzählen die Tschechische Republik in die Welt zu bringen.“
Für ihn selbst schließe sich mit der Präsentation der tschechischen Literatur in Frankfurt ein Kreis, sagt Juergen Boos:
„Ich bin mit diesen Büchern aufgewachsen. Für über 30 Jahre habe ich in einem Verlag in Deutschland gearbeitet, der Milan Kundera und Ivan Klíma übersetzt hat, Petr Sís war das erste Kinderbuch, das wir gemacht haben. Das heißt, ich war damit immer verbunden. Ich habe viele Freunde in Brünn und in Prag, und wir haben immer einen Austausch über die Literatur gehabt. Ich war immer sehr beeindruckt davon, wieviel sich hier in Tschechien bewegt und wie dynamisch die Literaturszene ist.“
Junge, gesellschaftskritische Autorinnen
Das Motto des Gastauftritts verweist auf Shakespeare und lautet „Czechia - a country on the coast“, also „ein Land an der Küste“. Der Buchmesse-Chef:
„Das Motto gefällt mir sehr, weil es überraschend ist. Es basiert auf dem Shakespeare-Zitat ‚Böhmen liegt am Meer‘. Das jetzt auf den Gastlandauftritt zu übertragen, ist vor allen Dingen überraschend.“
Die Regierung in Prag stellt für das Projekt insgesamt rund acht Millionen Euro bereit. Die Mährische Landesbibliothek und das Tschechische Literaturzentrum (CzechLit), das ihr unterstellt ist, sind für die Organisation der tschechischen Präsentation verantwortlich. Den Leiter des Literaturzentrums, Martin Krafl, haben wir unmittelbar nach der Unterzeichnung des Gastland-Vertrags im tschechischen Kulturministerium vors Mikrophon gebeten.
Tschechien wird Gastland der Frankfurter Buchmesse 2026. Diese Entscheidung wurde heute in Prag feierlich bekanntgegeben. Herr Krafl, wie lang war der Weg, der zu dieser Entscheidung führte? Womit haben Sie sich beworben?
„Der Weg war sehr lang. Ursprünglich hat man in der Tschechischen Republik bereits 2010 darüber nachgedacht, als Gastland in Frankfurt dabei zu sein. Das ist damals aber irgendwie nicht gelungen. Dann gab es die Idee, 2018, anlässlich des 100. Gründungsjubiläums der Tschechoslowakei, eine Präsentation zusammen mit der Slowakei vorzubereiten. Doch auch dazu ist es nicht gekommen. Die allerneueste Idee, das Vorhaben noch einmal anzugehen, wurde mit dem Gastlandauftritt der Tschechischen Republik auf der Leipziger Buchmesse 2019 verbunden.“
Ein langer Weg nach Frankfurt
Nach dem Erfolg dieses Gastlandauftritts hat die Frankfurter Buchmesse die Organisatoren kontaktiert und Gespräche aufgenommen…
„Ich muss sagen, wir waren ein bisschen naiv und haben gehofft, dass innerhalb von zwei Jahren eine Entscheidung kommt. Dann hat die Pandemie alles aber sehr verlangsamt. Wir haben sehr geschätzt, dass unsere Kolleginnen und Kollegen in Frankfurt am Main auch während der Pandemie weiter mit uns gesprochen haben. Sie waren bereit, Covid-Tests zu absolvieren, um nach Tschechien zu kommen und sich mit Autorinnen und Autoren treffen zu können. Zu einem wichtigen Meilenstein kam es voriges Jahr, als Kulturminister Martin Baxa nach Frankfurt reiste und im Gespräch mit Juergen Boos klar deklarierte, dass Tschechien vorbereitet ist. Wir haben damals die Aufgabe bekommen, innerhalb von fünf Monaten ein Bid Book vorzulegen. Das ist ein Bewerbungsbuch, in dem das Gastland nicht nur den Buchmarkt, die Autorinnen und Autoren und die Themen ihrer Literatur vorstellt, sondern auch das Konzept des Projekts, das während des Gastlandauftritts realisiert werden soll. Unser Bid Book hatte Erfolg und wir haben in der Konkurrenz mit zwei oder drei anderen Ländern überzeugt, dass wir das Land sind, das 2026 diesen Auftritt in Frankfurt haben soll.“
Was sind die Hauptprinzipien oder Hauptgedanken, die in diesem Bid Book stehen?
„‚Ein Land an der Küste‘. Das Motto ist vielleicht schon ein bisschen provokativ. Wir gehen damit zurück nach Leipzig, wo wir mit dem literarischen Motiv ‚Böhmen liegt am Meer‘ gearbeitet haben. Diesmal möchten wir uns einer Küste annähern. Wir wollen herausfinden, was für eine Küste das sein kann, wie zum Beispiel eine Küste der Kreativität, eine Küste der Humanität, eine Küste, die sich mit verschiedenen Phantasien und Vorstellungen der Autorinnen und Autoren beschäftigt. Wir wollen auch erfahren, welche Wege zu dieser Küste führen und welche Wege dort anfangen. Und für uns ist es auch wichtig, uns damit zu beschäftigen, wo diese Küste ihre Grenzen hat. Wie wir dieses Konzept mit einem Inhalt zusammenbringen, hängt nun von uns allen in der Literatur-Branche in Tschechien ab.“
Die Küste der Kreativität und der Humanität
Die Arbeit an dem Inhalt, an dem eigentlichen Programm, beginnt erst jetzt. Worauf möchten Sie sich dabei konzentrieren? Haben Sie schon eine Vorstellung, ob zum Beispiel der deutschsprachige Buchmarkt ein wichtiger Schwerpunkt dabei sein wird?
„Der deutschsprachige Buchmarkt ist auf jeden Fall eine der Prioritäten. Dazu muss man aber auch sagen, dass Tschechien bereits den Gastlandauftritt auf der Leipziger Buchmesse hatte und auf dem Buchmarkt in Deutschland, Österreich und der Schweiz bereits mit vielen Autorinnen und Autoren vertreten ist. Das ist sehr gut und wir möchten das jetzt noch verstärken. Davon abgesehen ist Frankfurt 2026 ein internationales Projekt, da geht es wirklich um die Weltklasse. Und uns geht es von daher darum, dass wir auf den Bühnen in der Messehalle nicht nur Bücher in deutscher Übersetzung vorstellen, sondern auch in anderen Weltsprachen, wie Englisch, Spanisch oder Französisch.“
Was geht für Sie jetzt konkret los?
„Die allererste Aufgabe ist jetzt, das Team zu organisieren, das an diesem Projekt arbeiten soll. Außerdem wollen wir unsere Aufmerksamkeit in den nächsten zwei Jahren auf Verlegerinnen und Verleger richten, zudem müssen wir natürlich auch die Arbeit der Übersetzerinnen und Übersetzer unterstützen. Wir sind bereit, mit dem Kulturministerium die Förderung für Übersetzungen tschechischer Literatur zu erhöhen. Und wir hoffen, dass die Verlegerinnen und Verleger nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt jetzt nach dieser Nachricht Interesse an der tschechischen Literatur haben werden, und dass wir sie überzeugen, dass die Themen, die sie zu bieten hat, sehr spannend sind.“
Das Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse (18.-22. Oktober 2023) ist Slowenien. Italien wird 2024 in Frankfurt erwartet und 2025 sind die Philippinen erstmals Ehrengast.