Ein neuer Finanzminister für Tschechien

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüßt Sie Rudi Hermann. Wie Sie unseren aktuellen Sendungen bereits entnehmen konnten, hat die Tschechische Republik vergangene Woche einen neuen Finanzminister bekommen. Pavel Mertlik, Vizeministerpräsident für Wirtschaftsfragen und gleichzeitig Finanzminister, hat nämlich überraschend seinen Rücktritt bekanntgegeben. Die Gründe dafür sowie Informationen über seinen Nachfolger in einem der wichtigsten Ressorts der Regierungsind Thema der folgenden Minuten, zu denen wir guten Empfang wünschen.

Das Finanzministerium ist in jeder Regierung ein wichtiges und zugleich heikles Ressort. Hier laufen nämlich die Fäden zusammen zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen dem, was eine Regierung gerne bewirken möchte und was sie dazu für finanzielle Mittel hat. Und mehr noch als für liberale Regierugen, die sich gerne in einer restriktiven Finanzpolitik üben, trifft dies für ein sozialdemokratisches Kabinett zu, wie es gegenwärtig in Tschechien an der Macht ist. Denn ein ausgebauter Sozialstaat, und nichts weniger als das liegt den Sozialdemokraten am Herzen, ist teuer. Ein Jahr vor den nächsten Parlamentswahlen allerdings gilt es die Forderung nach einem Ausbau des Sozialstaats herauszuheben. Denn bisher steht die Regierung gerade beim linken Wählerpublikum, also eigentlich ihrer Stammwählerschaft, nicht im besten Ruf. Da es sich um eine Minderheitsregierung handelt, sind ihr durch das sogenannte Oppositionsabkommen mit den Bürgerlichen die Hände weitgehend gebunden. Denn der Oppositionsvertrag sieht eine schrittweise Reduktion des Haushaltsdefizits vor und erlaubt keine Steuererhöhungen, zwingt die Regierung mit anderen Worten zu einem nüchternen Umgang mit Geld. Oder sollte sie wenigstens dazu zwingen, denn namentlich auf der Seite des Defizits der öffentlichen Finanzen bleiben einige Schlupflöcher. Doch darauf soll jetzt nicht näher eingegangen werden.

Die Ausgangslage ist jedenfalls die, dass die sozialdemokratische Regierung weniger Geld ausgeben konnte, als sie es eigentlich gerne getan hätte. Deshalb sieht sie sich von links dem Vorwurf ausgesetzt, keine wirkliche Linkspolitik zu betreiben. Von rechts wiederum wird ihr vorgehalten, das Finanzdefizit allzu stark in die Höhe zu treiben und den Staat über Gebühr zu verschulden. Tatsächlich dürfte in diesem Jahr das Defizit der öffentlichen Finanzen, also des staatlichen Zentralhaushalts, der kommunalen Haushalte und der ausserbudgetären Fonds, astronomische 9.5 % des Brutto-Inlandprodukts erreichen. Und wenn die Regierung das von Industrie- und Handelsminister Gregr vorgeschlagene milliardenschwere Wirtschaftsförderungsprojekt genehmigt, steigt das Defizit nochmals um einige Prozentpunkte an.

Die nahenden Wahlen, die Sachzwänge des Oppositionsvertrags, die aus dem Ruder laufenden öffentlichen Finanzen und der Wechsel auf dem Führungsposten der Sozialdemokraten von Milos Zeman zum eine ausgesprochen sozialpolitische Rhetorik betreibenden Vladimir Spidla - das sind die Eckpunkte des Kraftfelds, in dem Pavel Mertlik seinen Rücktrittsentscheid fällte. Er, der in Fachkreisen einen guten Ruf genoss und eine verantwortungsbewusste, wenn auch sozialdemokratisch geprägte Ausgabenpolitik verfolgte, machte geltend, in der Regierung allgemein und bei Ministerpräsident Zeman im besonderen zu wenig Unterstützung gefunden zu haben. Er habe zu wenig Einfluss auf Grundsatzentscheidungen der Regierung nehmen können, meinte Mertlik, und spielte damit darauf an, dass das Kabinett in wichtigen Bereichen tendenziell eher zu Gunsten der Vorschläge von Industrieministr Gregr entschied und damit einem teureren und staatsinterventionistischen Modell der Wirtschaftspolitik zuneigte.


Mertliks Nachfolger an der Spitze des Finanzministeriums heisst Jiri Rusnok. Wie Mertlik ist auch dieser 40 Jahre alt, Absolvent der Wirtschaftshochschule und einer der jüngeren Ökonomen in den Reihen der Sozialdemokraten. Bisher war Rusnok Vizeminister für Arbeit und Soziales mit dem speziellen Aufgabengebiet der Sozialversicherungsreform. Zuvor hatte er einige Jahre für den böhmisch-mährischen Gewerkschafts-Dachverband gearbeitet, noch früher schon erste Erfahrungen in der Staatsverwaltung gesammelt. Als Vizeminister für Arbeit und Soziales befand er sich im nächsten Umfeld des neuen Vorsitzenden der Sozialdemokraten, Vizeministerpräsident und Minister für Arbeit und Soziales Vladimir Spidla. Dieser Umstand allein dürfte ihm jetzt in Partei und Kabinett grundsätzlich mehr Unterstützung sichern als Mertlik. Dieser war nämlich allgemein als guter Ökonom, aber wenig begabter Politiker geschildert worden. So habe er es nicht verstanden, sich eine parteiinterne Hausmacht zu schaffen und mit geeignetem Lobbying in der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion für seine eigenen Ideen zu werben. Mertliks Nachteile in den Ausmarchungen mit Industrieminister Gregr werden aber gerade dem Umstand zugeschrieben, dass Gregr der geschicktere Politiker war.

Mertlik selbst lobte Rusnok als Ökonomen in den höchsten Tönen und bezeichnete ihn als wohl die beste Wahl, die die Sozialdemokraten für den Finanzminister hätten treffen können. Bei der Fachwelt löste Rusnok vorsichtigen Optimismus aus. Doch wurde überall betont, es handle sich bei ihm um einen wenig bekannten und bisher auch wenig profilierten Politiker. Immerhin gilt er als intelligent, fähig, arbeitsam, aufrichtig und bescheiden - ein Idealprofil eines Ministers, aber fast zu schön, um wahr zu sein, möchte man anfügen. Michal Tosovsky, der als Vertreter der Bürgerlichen im Präsidium des Nationalen Besitztumsfonds sitzt und damit eine Stimme der Opposition ist, meinte gegenüber der Tageszeitung Mlada Fronta dnes zu Rusnok, wenn dieser etwas sage, habe es Hand und Fuss. Er sei intelligent und in seinen Ansichten nicht übermässig linksstehend. Ein Mitglied der Führung des Gewerkschafts-Dachverbands, wo Rusnok wohlbekannt ist, charakterisierte diesen als der gleichen ökonomischen Richtung zugehörig, aus der schon Pavel Mertlik und dessen Vizeminister Jan Mladek hervorgegangen seien. Vielleicht im Unterschied zu Mertlik werden Rusnok ausgesprochen gute Führungseigenschaften zugeschrieben, es handle sich bei ihm um einen ausgezeichneten Administrator.

Und was erachtet Rusnok selbst als Prioritäten in der kurzen Zeit, die ihm bis zu den nächsten Wahlen an der Spitze des Finanzministeriums verbleibt? In einem Interview für die Zeitung Mlada Fronta dnes, das am Ostersamstag publiziert wurde, sagte Rusnok dazu folgendes, Zitat:

Jetzt ist es schwer, darüber zu sprechen, es wird etwa zwei Wochen dauern, bis ich mich mit dem Ressort bekannt mache. Zu den Prioritäten gehört sicher die Stabilisierung der öffentlichen Finanzen im Rahmen der Möglichkeiten, ferner die Beschleunigung der Privatisierung dort, wo dies möglich ist. Weiter offensichtlich eine aktivere Rolle des Staates bei den Problemen, die zur Konsolidierungsbank abgeschoben wurden, und die Arbeit mit deren schlechten Guthaben. Aber es sind keine grundsätzlichen Änderungen zu erwarten. Auch die Vorbereitung des nächsten Staatshaushalts ist eine Standardaufgabe. Es wird kompliziert sein, jeder Minister in der Regierung hat natürlich seine Interessen. Der Finanzminister hat ein Interesse an Staatsfinanzen, die in Ordnung sind, und das sind naturgemäss sich widersprechende Interessen.

Zitatende. Dass Jiri Rusnok durch seine Nähe zum neuen sozialdemokratischen Chef eine bessere Position in der Regierung haben könnte als sein Vorgänger Mertlik, davon war schon die Rede. Rusnok selbst allerdings sagte, er habe von Spidla keine vollständige Rückendeckung gefordert. Auch zwischen dem Arbeits- und dem Finanzministerium könne es zu Interessengegensätzen kommen. Doch rechne er damit, politische Unterstützung zu bekommen, und aus seinen bisherigen Gesprächen schliesse er, dass dies der Fall sein werde.

Autor: Rudi Hermann
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