Ein neues Zuhause: Immer mehr Holländer besiedeln das Sudetengebiet

Wochenendhaus in Stupná

Sie ziehen im Urlaub mehr als jedes andere Volk Europas mit einem Wohnwagen durch die Welt. Und gerade Tschechien ist für sie in den letzten Jahren eines der Hauptreiseziele geworden: Holländer verbringen ihren Urlaub am Lipno-Stausee, im Böhmerwald oder im Riesengebirge. Sie lieben vor allem die Berge. Und für viele hat der Wohnwagen offensichtlich ausgedient, denn mancherorts sind ganze holländische Feriendörfer entstanden. Christian Rühmkorf hat ein Paar aus den Niederlanden ausfindig gemacht, das sich sogar entschieden hat, für immer in Tschechien zu leben, und zwar in einem kleinen Dorf in Nordostböhmen, das bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs überwiegend Deutsch besiedelt war.

Volksarchitektur in Borovnice  (Foto: Gemeinde Borovnice)
„Das Problem mit so viel Grund ist, man ist immer beschäftigt. Und wir sind noch nicht ganz fertig.“ Der Holländer Jan Meyrink führt über sein Grundstück im tschechischen Dorf Borovnice, am Fuße des Riesengebirges. Hier hat er mit seiner Frau Annett ein altes, heruntergekommenes Bauernhaus gekauft; zwölf Hektar Land gab es fast gratis dazu. Jan Meyrink zeigt auf eine Inschrift im Giebel des Hauses. „Da steht ´In Gottes Segen ist alles gelegen´. Das steht da. Und das finden wir spitze. Das muss noch angemalt werden. Das passiert in zwei Wochen. Und dann machen wir das so, dass man das deutlich lesen kann.“

Borovnice - Dorfmitte  (Foto: Gemeinde Borovnice)
Jan und Annett Meyrink haben viel Arbeit und Zeit in die Instandsetzung des Bauernhauses investiert. Die früheren Besitzer - Sudetendeutsche, die nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden - hatten überall im Haus ihre Spuren hinterlassen, berichtet Jan Meyrink. Für ihn und seine Frau ist es wichtig, gerade diese Geschichte des Hauses zu bewahren. Vor gut anderthalb Jahren, als er in Rente ging, hatte sich das Paar entschieden, dauerhaft nach Tschechien zu ziehen.

„In Holland hat jeder Tag Eile. Dort sind auch sehr viele Autos. Wenn wir irgendwohin fahren, dann stehen wir“, erklärt Annett Meyrink. „Und es ist Ruhe. Das kennt man in Holland nicht. Da ist Amsterdam, da sind große Städte. Es ist niemals dunkel. Ja, hier kann man richtig die Sterne sehen“, sagt ihr Mann strahlend.

Dorf Stupná  (Foto: Alexis Rozenzweig)
Tschechien ist fast doppelt so groß wie die Niederlande und hat nur 130 Einwohner pro Quadratkilometer, in den Niederlanden sind es fast 400. In die dünnbesiedelten grünen Hügel und Berge des Riesengebirges haben sich die Meyrinks schon vor zehn Jahren verliebt. Damals hatten sie sich im Dorf Stupná, nur ein paar Kilometer weiter, ein Ferienhaus gekauft. Ein holländischer Investor hatte dort Dutzende Häuser im traditionellen Stil der Umgebindehäuser gebaut und an Landsleute verkauft. Mitten in Tschechien war ein holländisches Dorf entstanden.

Holländer im Dorf Stupná  (Foto: Alexis Rosenzweig)
„Wenn man in einem Supermarkt ist und die Holländer sind da, das merkt man gleich. Die sagen: ´Oh, was ist das billig, oh, was ist das billig, oh, so superbillig!´“

Das war den Meyrinks zu viel. Sie verkauften ihr Haus im holländischen Dorf, fanden das alte deutsche Bauernhaus und renovierten es liebevoll. Sie wollten in Tschechien leben.

Mittlerweile haben sie auch Freunde und Bekannte unter den Dorfbewohnern gefunden. Das ging aber nur, weil Annett Meyrink die schwierige tschechische Sprache regelrecht gebüffelt hat.

„Das ist sehr wichtig. Ohne Tschechisch geht das nicht hier im Dorf“, meint sie. Ihr Mann Jan weiß auch mittlerweile, wie die Tschechen ticken:

Dorf Stupná
„Beim Tschechen ist es so: Du musst es dir verdienen, dass die Leute zu dir kommen und dass die Tschechen sagen, kommen Sie in unser Haus. Das muss man sich verdienen. Und wenn man sich das verdient hat, ist es spitze. Das ist sehr gut.“

Probleme mit der einheimischen Bevölkerung hätten sie persönlich nicht. In den ersten Jahren seien die Menschen aber noch skeptisch gegenüber dem Holländer-Zustrom gewesen:

Riesengebirge
„Wir haben damals in der Nähe von Stupná einen Bauern gesehen und der hat gesagt: ´Ihr Holländer, Euch brauchen wir nicht, das ist eine schlechte Sache´. Und dann haben wir ihm gesagt, wie wir darüber denken und wie das alles geht. Und jetzt hat er gesagt: ´Ja, Sie haben recht gehabt´.“

Aber dass noch mehr Holländer nach Tschechien ziehen, das wollen die Meyrinks auch nicht.

„Nein, das würden wir nicht begrüßen. So wie es ist, reicht es. Wenn einer dazu kommt, ist es kein Problem“, meint Jan Meyrink. „Aber wenn hier zu viele Holländer herkommen wie in dem Dorf, wo wir zuerst gelebt haben, dann hätte ich das nicht gern“, da ist sich auch Annett Meyrink sicher.

Vertreibung der Sudetendeutschen  (Foto: Sudetendeutsches Archiv / Creative Commons 1.0 Generic)
Willkommen war den Meyrinks aber ein Besucher aus Deutschland. Der 75 Jahre alte Mann hatte das Haus seiner Kindheit gesucht. Als 10-Jähriger war er 1945 mit seinen Eltern vertrieben worden. Ein Bekannter besorgte ihm über Umwege die Telefonnummer der Meyrinks, erzählt Frau Meyrink.

„Wir haben gedacht: Hm, ein Deutscher, der uns anruft? Er hat gefragt: ´Bitte, bitte, kann ich kommen? Kann ich mir anschauen, wie alles aussieht?´ Er ist mit seinem Sohn hier gewesen und ein Jahr später ist er hier mit der ganzen Familie einen ganzen Tag gewesen. Er hat uns auch sehr viel erzählt über das Haus.“ Auch ihr Mann Jan war begeistert von dem unerwarteten Kontakt. „Er hat uns erzählt: ´Das war hier und das war dort, da haben die Kühe gestanden und da die Pferde. Und da war das Futter, links und rechts´. Das war spitze.“„Und er kommt bestimmt wieder und wir mailen auch noch miteinander“, berichtet Annett lächelnd. Und als Jan Meyrink wieder über sein Grundstück führt, sagt er noch einmal: „Der hat Tränen in den Augen gehabt, als er das alles hier gesehen hat.“

Freudentränen, weil das Haus wieder so hergestellt war wie früher. Aber war der Deutsche nicht überrascht, dass in seinem früheren Haus nun Holländer wohnen und nicht Tschechen?

„Die haben sich natürlich gewundert. Aber die haben gedacht: Besser Holländer als Tschechen, die das nicht so machen“, meint Jan Meyrink.

Die beiden sind stolz auf ihr Haus und seine Geschichte. Sie sind froh den Schritt getan zu haben. Das tschechische Dorf Borovnice im Riesengebirge ist für sie ein Zuhause geworden. Trotzdem: Alle zwei Monate ist ein Kurzbesuch in Holland ein Muss, erzählt Annett Meyrink.

„Aber wenn wir hierher zurück fahren, sagen wir: Wir fahren nach Hause. Und fahren wir nach Holland, sagen wir auch ´nach Hause´. Vielleicht haben wir zwei Mal Heimat.“