Ein Wimpernschlag und hinter uns die Jahre: Gregor Hildebrandt stellt erstmals in Tschechien aus

Im Februar dieses Jahres hat auf der Prager Kleinseite eine neue Galerie eröffnet, die Kunsthalle Praha. Das zweite Projekt in dem ehemaligen Umspannwerk ist seit Donnerstag eine Schau von Gregor Hildebrandt. Es handelt sich dabei um Hildebrandts erste Ausstellung in Tschechien und seine bisher größte Werkschau überhaupt. Bekannt ist der Berliner Künstler vor allem für seine Arbeiten mit Kassetten und Schallplatten.

Christelle Havranek und Gregor Hildebrandt | Foto: Lukáš Masner,  Kunsthalle Praha

Was die Kunsthalle Praha eigentlich ist, erklärt Christelle Havranek im Interview für Radio Prag International. Sie ist die Chefkuratorin der Galerie…

„Wir wollten einen Ort schaffen, an dem Geschichte auf Gegenwart trifft und Künstler von hier mit der internationalen Szene in Berührung kommen können. Außerdem sind wir ein multidisziplinärer Ort. Bildende Kunst wird bei uns gemeinsam mit Musik, Architektur oder Design präsentiert.“

Kunsthalle Fassade | Foto: Vojtěch Veškrna,  Kunsthalle Praha

Der gebürtigen Französin zufolge sei der deutsche Name der Galerie naheliegend gewesen: „Orte wie dieser haben eine bestimmte Identität – überall auf der Welt, nicht nur im deutschsprachigen Raum. Wenn man von einer ‚Kunsthalle‘ spricht, weiß jeder, was gemeint ist. Das ist eine Galerie mit zeitgenössischen Ausstellungen und Kunst aus dem 20. und 21. Jahrhundert, die zudem die lokale Szene unterstützt. Und das ist genau die Richtung, die wir mit unserer Kunsthalle einschlagen wollten.“

Zudem wollte man laut Havranek auf die einstige Multikulturalität Prags anspielen. Darum hat nicht nur der deutsche Begriff „Kunsthalle“, sondern auch der tschechische Name der Stadt „Praha“ seine Relevanz.

Hinter der Galerie steht die private Stiftung eines tschechischen Unternehmer- und Kunstsammlerehepaares, The Pudil Family Foundation. Die erste Ausstellung trug den Titel „Kinetismus“. Die Sammelschau thematisierte die Rolle von Elektronik in der Kunst. Die Kunsthalle Praha will aber auch Einzelausstellungen anbieten. Dafür haben sich Christelle Havranek und ihr Team einige Kriterien überlegt: „In den Einzelausstellungen wollen wir etablierte Künstler vorstellen, die bereits zahlreiche Werke angefertigt haben, in Tschechien aber nahezu unbekannt sind. Im Idealfall haben sie noch nie in Prag ausgestellt.“

Und genau ein solcher Künstler ist Gregor Hildebrandt, dem nun die erste Autorenausstellung in der Kunsthalle Praha gewidmet ist.

Gregor Hildebrandt lebt als Künstler in Berlin. Zudem kuratiert er Ausstellungen, betreibt ein Plattenlabel und ist Professor für Malerei und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste München. Wie er im Interview mit Radio Prag International erklärt, kennt er die Kunsthalle Praha bereits seit Längerem:

Gregor Hildebrandt | Foto: Vojtěch Veškrna,  Kunsthalle Praha

„Ich war schon hier, als dies noch eine Baustelle war und eigentlich auch davor. Das ehemalige Umspannwerk hat mir sehr gut gefallen, denn meine allererste Ausstellung überhaupt habe ich auch in einem Umspannwerk organisiert.“

Die Ausstellung in Prag ist nicht nur die erste von Gregor Hildebrandt in Tschechien, sondern auch seine größte Werkschau bisher. Alles steht dabei unter dem Titel „Ein Wimpernschlag und hinter uns die Jahre“. Wie es zu dem Namen kam, erklärte Gregor Hildebrandt bei der Pressekonferenz:

„Wir wollten einen Titel wählen, der einen retrospektiven Aspekt hat. In der Ausstellung finden sich nämlich auch ältere meiner Arbeiten, bis zurück ins Jahr 1999. Und dann habe ich ein Gedicht von Goethe entdeckt. Es endet mit den Worten: ‚Ein Flügelschlag – und hinter uns Äonen!‘“

Vom Kassettenband zum Gemälde

Zu sehen gibt es auf der Prager Kleinseite das, wofür Hildebrandt bekannt ist: Statuen, Gemälde und Objekte aus Schallplatten und Tonbandkassetten. Der Besucher muss etwa durch einen Gang aus weißen und schwarzen Vinylplatten gehen, um in einen der Ausstellungsräume zu gelangen. Zentral sind auch die „Gemälde“, die mithilfe von Kassettenbändern entstanden sind. Das Verfahren sei eigentlich ganz einfach, meint Hildebrandt. Alles beginne mit zwei Leinwänden…

Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„Eine Leinwand wird mit Filmoplast beklebt, oder es wird ein Flüssigkleber aufgetragen, die zweite bleibt unbehandelt. Dann kommt es zur eigentlichen Malerei, mit einem transparenten Fixativ. An diesen Stellen klebt der Untergrund dann nicht mehr. Alles sieht nun weiß aus. Dann wird die ganze Fläche mit Kassettentonband oder VHS-Bändern abgeklebt. Es handelt sich dann um ein monochromes, schwarzes Bild.“

Sichtbar werde das Bild dann erst im nächsten Arbeitsschritt…

„Das Band wird abgezogen. Beim VHS-Band muss man sehr schnell sein, wie beim Waxing. Dann wird das Band auf die andere Leinwand übertragen. An den Stellen, die klebrig waren, bleibt das Material haften. Und da, wo der Pinselgestus war, sind nun weiße Stellen. Aus dem Negativ wird also mein Positiv. Man sieht das in der Ausstellung sehr schön, da hängen beide Leinwände eines Bildes direkt nebeneinander.“

Negativ und Positiv | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Die verwendeten Kassettenbänder werden vor der weiteren Verwendung mit einem bestimmten Musikstück bespielt. Er stoße mit seinem Faible für Tonbänder mitunter auch auf Unverständnis, berichtet Hildebrandt. So habe er einmal mit Mini-DV gearbeitet. Als er den Verkäufer fragte, wie lang das Band sei, antwortete dieser „60 Minuten“. Hildebrandt hingegen benötigte die genaue Länge in Metern…

Eine besondere Arbeit für Prag

Malá Strana | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Aus Schallplatten hat Hildebrandt nicht nur die aufgeblasenen Plattentürme in der Ausstellung gestaltet, sondern auch eine Collage aus Vinylteilen. Auf grauem Grund finden sich gelbe, weiße und pinkfarbene Elemente wild durcheinander gemischt. Die Collage trägt den Titel „Malá Strana“, genau wie die Prager Kleinseite. Hildebrandt erklärt die Geschichte hinter dem Bild wie folgt:

„Wenn ich irgendwo bin, mache ich immer Fotos von Fußböden. Ich arbeite nämlich seit diesem Jahr an einer Serie zu Terrazzo-Böden. Als ich diese Ausstellung konzipierte, ist mir aufgefallen, dass keines der neuen Bilder darin vorgesehen ist.“

Ein befreundeter Gallerist habe ihn zudem dazu aufgefordert, auch unbedingt ein Terazzo-Bild in Prag aufzuhängen. Und so machte sich der Künstler ans Werk…

Abschluss der Arbeiten an der Kunsthalle Praha im Februar 2022 | Foto: Anaïs Raimbault,  Radio Prague International

„Das Verfahren ist unheimlich aufwendig. Mit Wasserstrahlschnitt werden die Muster aus den Schallplatten gefräst. Es sind sehr viele Tonträger nötig. Ich bin dann das Archiv meiner Bodenfotos durchgegangen und habe mich für eines entschieden. Erst beim Betiteln habe ich aber nachgeschaut, wo das Bild eigentlich aufgenommen wurde – und das war tatsächlich in Prag, denn im Vorfeld der Ausstellung war ich mehrmals hier.“

Der Boden eines Hotels auf der Kleinseite ist so nun in abstrahierter Form in der Kunsthalle Praha vertreten.

Ein Stück Berliner Kunstszene in Tschechien

Pressekonferenz in der Kunsthalle | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Ein Ziel der Ausstellung ist es auch, dem Publikum in Tschechien die Berliner Kunstszene näherzubringen. Geschehen soll dies unter anderem im Begleitprogramm. Angeboten werden Führungen, Workshops, Vorlesungen und Filmpräsentation zu Hildebrandts Arbeiten und zur Berliner Szene. In den Ausstellungsräumlichkeiten gibt es zudem eine 1:1-Kopie eines ganz besonderen Gebäudes… Worum es sich handelt, erklärte Gregor Hildebrandt bei der Pressekonferenz:

„Es ist die frühere Rezeption einer ehemaligen Brauerei, in der sich heute mein Atelier befindet. Das ist ein so wunderschöner Ort, dass ich dort Ausstellungen organisiere.“

Nachbau der Brauerei-Rezeption in der Ausstellung | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Und nun werden auch in Prag im Verlaufe der Schau insgesamt vier Künstler vorgestellt, die Hildebrandt für seine Berliner Exhibitionen ausgewählt hatte. Vom 7. Dezember dieses Jahres bis zum 2. Januar 2023 wird etwa eine besondere Kollektion von Frieder Böhnisch gezeigt:

„Jedes Jahr gestaltet er für seine Freunde und Kunden Weihnachtskarten, für die er ein Weihnachtsmannkostüm anzieht. Ich dachte, das könnte für die Ausstellung interessant sein. Schließlich ist er jedes Mal ein wenig älter, denn diese Tradition betreibt er bereits seit 30 Jahren. Tatsächlich sieht Böhnisch aber immer gleich aus.“

Zudem werden direkt in den Ausstellungsräumen Konzerte stattfinden. Dabei treten Musiker auf, die bei Gregor Hildebrandts Label Grzegorzki Records veröffentlicht haben. Dazu zählen etwa Walking Down Brenton Road und Anne.

Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Die Ausstellung in der Kunsthalle Praha kann mittwochs bis montags besucht werden. Die genauen Öffnungszeiten finden Sie online unter www.kunsthallepraha.org. Dort können Sie auch das Programm der Begleitveranstaltungen und Konzerte einsehen.

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