Eine Phantasiewelt ohne Grenze: Das Festival Übergänge – Přechody in Gmünd und České Velenice
Seit fast 20 Jahren bringt das Festival Übergänge – Přechody an der tschechisch-österreichischen Grenze Menschen aus beiden Ländern zusammen. Der diesjährige Durchgang bietet in den beiden Städten Gmünd und České Velenice Musik, Theater, Tanz und vieles mehr. So wartet das Programm etwa mit einer Podiumsdiskussion auf, bei der unter anderem der Schriftsteller Robert Menasse und die EU-Abgeordnete und ehemalige Fernsehköchin Sarah Wiener ins Gespräch kommen. Hinter dem Festival Übergänge – Přechody stehen Brigitte Temper-Samhaber und ihr Ehemann Thomas Samhaber. Radio Prag International hat mit dem Kulturmanager über das bevorstehende tschechisch-österreichische Event gesprochen.
Herr Samhaber, das Festival Übergänge – Přechody findet in diesem Jahr zum zehnten Mal statt. Wie ist dieses Festival überhaupt entstanden?
„Den EU-Beitritt Tschechiens 2004 wollte man auch in Niederösterreich feiern. Das Waldviertel als Grenzregion hat deshalb meine Frau Brigitte Temper-Samhaber und mich damit beauftragt, uns ein gebührendes Fest auszudenken, denn wir sind Kulturmanager und Regionalentwickler. Wir haben also das Stadtfest in Gmünd, das es bereits gab, um die tschechische Nachbarstadt České Velenice erweitert und dort zudem Kunst und Kultur angeboten – und die Leute haben es geliebt. Für uns war der EU-Beitritt aber kein einmaliges Datum. Wir waren überzeugt, dass das ein länger andauernder Prozess sein wird und es sich um Übergänge handelt. Deshalb haben wir dann etwas gemacht, was die Förderstelle eigentlich nicht wollte: Im nächsten Jahr standen wir nämlich wieder da, und haben gesagt, dass wir das Festival noch einmal durchführen wollen.“
Das heißt, die Initiative ging zu Beginn von österreichischer Seite aus?
„Ja genau. Spannend war, dass die Euphorie über den bevorstehenden EU-Beitritt Tschechiens nachließ, je näher er kam. Manche in der Politik haben mit einem Mal kalte Füße bekommen und sich etwa gefürchtet, dass nun der österreichische Arbeitsmarkt von Tschechen überflutet wird. Aber unser Festival war da schon im Gange. Wir von der Kunst haben in Tschechiens Beitritt zur Europäischen Union eine unheimliche Horizonterweiterung und Chance gesehen. Für uns war das der Startpunkt für weitere Begegnungen.“
Gmünd, New York, Paris und České Velenice – an einem Tag
In diesem Jahr gibt es bei Ihrem Festival unter anderem einen Beatboxing-Workshop, eine Joga-Session oder einen Batik-Kurs. Was ist Ihr persönliches Programmhighlight?
„Unser Festival ist keine Veranstaltung, zu der man nur als Konsument kommt, sein Ticket löst, sich einen guten Platz erkämpft und dann klatscht und wieder heimgeht. Stattdessen ist das Publikum Teil des Geschehens. So bieten wir etwa Exkursionen nach New York, Paris und London an. Das sind ganz kleine Dörfer in Südböhmen, gleich hinter der Grenze, die tatsächlich diese Namen haben. Zudem stehen erstmals sechs Kirchen offen – von einer evangelischen über eine katholische bis hin zu einer verfallenen Ruine. In den Gotteshäusern finden Konzerte und Ausstellungen statt. Dies sind also die kleinen Geheimtipps, bei denen das Publikum aktiv eingebunden wird. Und es gibt auch einen Gitarrenworkshop mit einem der größten Flamencospieler Europas, Flaco de Nerja. Der Kurs findet am Sonntag unter freiem Himmel in České Velenice statt.“
Podiumsdiskussion mit Robert Menasse und Sarah Wiener
Es gibt noch mehr berühmte Gäste, oder?
„Ja, so findet etwa eine Diskussion mit dem Schriftsteller Robert Menasse sowie den EU-Abgeordneten Sarah Wiener und Othmar Karas statt. Zu den künstlerischen Highlights zählt im Übrigen der Auftritt der 19-köpfigen Theatergruppe Klinika Lalek aus Polen. Sie spielen abends um 22 Uhr bei effektvollem Licht mit riesigen Puppen im Schlosspark. Beim Musikprogramm haben wir diesmal Künstler ausgewählt, die tanzbare Songs spielen. Denn es ist wirklich toll, wenn sich Menschen aus Tschechien und Österreich gemeinsam auf der Tanzfläche bewegen. So treten etwa Hot Pants Road Club auf oder die österreichische Nachwuchsband Prohaska. Wenn Sie ihre Funk-Rhythmen spielen, werden sicher alle zusammen tanzen.“
Sie haben gerade schon die unterschiedlichen Standorte erwähnt. In den vergangenen Jahren war zwischen den Spielstätten ein Bus unterwegs, der die Besucher von A nach B gebracht hat. Wird es dieses Angebot in diesem Jahr wieder geben?
„Für uns sind Kunst und Kultur immer auch ein wenig wie ein Kinderspiel. Für drei Tage schaffen wir uns unsere eigene Phantasiewelt und tun so, als ob es keine Grenze mehr gäbe. Dazu gehört auch ein innerstädtischer Verkehr, den wir eigens einrichten. Der historische Postbus aus den 1950er Jahren wird also auch dieses Mal wieder verkehren und die wenigen Hundert Meter zwischen Gmünd und České Velenice zurücklegen. Im Idealfall fahren die Menschen so lange im Kreis, dass sie nicht mehr wissen, in welchem Land sie gerade sind.“
Zielgruppe sind vor allem die Anwohner der Grenzregion
Wer sind die typischen Besucher des Festivals? Sind dies Menschen aus dem tschechisch-österreichischen Grenzgebiet, oder kommen auch Leute von anderswoher?
„Meine Frau und ich wollten als Regionalentwickler die einheimischen Menschen mit Kultur überraschen. Die meisten Gruppen, die bei unserem Festival auftreten, kennt hier niemand. Die absolute Mehrzahl der Besucher kommt aber dennoch aus der Region – denn sie wissen, dass ihnen hier etwas geboten wird. Hinzu kommen dann noch Stammgäste oder Leute, die sich konkret für bestimmte Programmpunkte interessieren. Diese Besucher reisen oftmals aus den Ballungsräumen an, das heißt aus Prag, Wien oder Linz, manchmal sogar aus dem Ausland.“
Die Menschen, die kommen, stammen also vor allem aus Tschechien und Österreich. Wie sieht das beim Organisationsteam aus? Geht die Initiative noch immer von österreichischer Seite aus, oder arbeiten Sie mittlerweile mit tschechischen Partnern zusammen?
„Die Zusammenarbeit ist uns wirklich wichtig. Es stimmt, dass die Initiative gewissermaßen von Österreich ausgeht. Von hier kommen die meisten Finanzierungsmittel, und meine Frau Brigitte Temper-Samhaber und ich sind diejenigen, die das Festival am Laufen halten. Aber angefangen bei der Programmgestaltung bis hin zur Durchführung und Abwicklung arbeiten wir gemeinsam im Team mit tschechischen Partnern zusammen. Unsere Ansprechpartner in České Velenice sitzen im Kulturzentrum, das von der Stadt betrieben wird. Es kommen ebenso viele Ideen von dort wie von uns. Wir arbeiten also sehr eng zusammen, und die Kooperation ist in der letzten Zeit auch immer intensiver geworden.“
„Wir müssen die Beziehungen mit tschechischen Bierhumpen messen“
Herr Samhaber, Sie sind in der Grenzregion zwischen Tschechien und Österreich verwurzelt und kennen die Gegend sehr gut. So haben Sie etwa ein Buch geschrieben über die Begegnung zwischen Milena Jesenská und Franz Kafka in Gmünd. Wie sieht die tschechisch-österreichische Kooperation vor Ort denn aus, wenn Ihr Festival gerade nicht stattfindet? Besteht Nachholbedarf? Oder sind die Beziehungen zwischen den beiden Ländern schon sehr weit entwickelt?
„Das ist immer Betrachtungssache. Manch einer sagt, das Glas ist halb voll, für den anderen wiederum ist es halb leer. Es ist schon viel passiert. So gibt es unmittelbar an der Grenze ein internationales Gesundheitszentrum, das erste seiner Art in Europa. Patienten aus Tschechien und Österreich können die Einrichtung gleichermaßen besuchen. Zudem gibt es etwa eine Kooperation der Wasserwerke von Gmünd und České Velenice. Viele tschechische Schüler besuchen außerdem die Handelsakademie Gmünd, legen hier in Österreich die Matura ab und werden so zu gefragten Fachkräften. Es geschieht also schon vieles.
Aus meiner Sicht ist die Frage aber nicht nur, ob das Glas halb voll oder halb leer ist, sondern auch, wie groß es ist. Meiner Meinung nach messen wir mit viel zu kleinen Gläsern. Wir sollten einen richtigen tschechischen Bierhumpen herannehmen! Dann würden wir feststellen, dass wir eigentlich erst ganz am Anfang stehen. Es gibt noch kein gemeinsames Tourismusbüro, und an den meisten Schulen in Österreich kann man noch nicht in Tschechisch als zweite lebende Fremdsprache maturieren. Es gibt so viele Möglichkeiten, die noch nicht ausreichend genutzt werden. EU-Fördermittel etwa stellen eine große Hilfe dar. Für kleine, engagierte Vereine ist es aufgrund des administrativen Aufwands aber kaum möglich, an diese Gelder heranzukommen. Es ist also noch wahnsinnig viel zu tun, und mit ein bisschen Rückenwind würde das Ganze noch viel schneller gehen.“
Das Festival Übergänge – Přechody findet von Freitag, 28. Juli, bis Sonntag, 30. Juli, statt. Der Eintritt ist frei, Spenden sind erbeten. Das komplette Programm findet sich online unter https://prechody.wordpress.com/.