Engel, Tänzer und Helden in der "Bouda" beim Nationaltheater

Theaterhaus Bouda (Foto: Autorin)

Der nicht bebaute Platz neben dem Prager Nationaltheater wird in jeder Jahreszeit von den Skatern okkupiert, die auf dieser ausreichend großen gepflasterten Fläche ihr Können testen. Seit Anfang Juni müssen sich die hier übenden jungen Sportadepten jedoch mit einem recht bescheidenen Raum begnügen. Denn auf der Piazzetta vor dem Verwaltungsgebäude des Nationaltheaters wurde ein neues, wenn auch nur provisorisches Theaterhaus erbaut - die so genannte "Bouda". In die "Bouda", wo sich im Juni alle Ensembles des Nationaltheaters vorstellen, laden Sie Martina Schneibergova und Lothar Martin im folgenden "Spaziergang durch Prag" ein.

Theaterhaus Bouda  (Foto: Autorin)
"Bouda" - zu Deutsch etwa "Bude" - wurde das Theater genannt, das von den tschechischen Patrioten im Jahre 1786 im unteren Teil des Rossmarktes - des heutigen Wenzelsplatzes - erbaut worden war. Das aus Holz gebaute Theaterhaus hieß eigentlich "Kralovske-cisarske vlastenecke divadlo", also "Königlich-kaiserliches patriotisches Theater", es ist jedoch unter dem Namen "Bouda" bekannt geworden. Es wurde dort ausschließlich in tschechischer Sprache gespielt. Aufgeführt wurden vor allem historische Stücke aus der tschechischen Geschichte. Wegen finanziellen Problemen wurde das Theater 1789 abgerissen, danach spielte die Theatergesellschaft an vielen anderen Orten in Prag.

Lukas Hurnik  (Foto: Autorin)
Der Name dieses historischen tschechischen Theaters inspirierte die Mitarbeiter des Prager Nationaltheaters vor drei Jahren zum so genannten "Projekt Bouda". In der Sommersaison 2003 wurde eine provisorische Bühne Namens "Bouda" hinter dem Ständetheater auf dem Obstmarkt / Ovocny trh errichtet. Der Chef des Schauspielensembles, Michal Docekal, nutzte damals die Bühne für mutigere Stücke und Experimentaltexte. Vor zwei Jahren wurde die Theaterbude schon neben dem Nationaltheater errichtet. Dort wurde ein einziges, ganz neues Stück inszeniert: das Spiel "Hypermarket" vom slowakischen Dramatiker Viliam Klimacek. Und am ersten Juni dieses Jahres wurde die bereits dritte "Bouda" neben dem Nationaltheater feierlich eröffnet, und zwar mit der Premiere der Oper "The Angels" vom zeitgenössischen tschechischen Komponisten Lukas Hurnik.

In der Hurniks Oper geht es um einen musikalischen Kampf zwischen dem Himmel und der Hölle und eine Auseinandersetzung zwischen der klassischen Musik und der Unterhaltungsmusik. Lukas Hurnik ist Sohn des auch international bekannten tschechischen Komponisten und Pianisten Ilja Hurnik. Was sagt der Vater zu dem märchenhaften Opernmusical seines Sohnes? Lukas Hurnik dazu:

´The Angels´
"Der Papa war zufrieden, er hat nicht das ganze Werk, sondern nur einige Ausschnitte davon gehört. Obwohl in meiner Oper auch viel Rockmusik enthalten ist, findet sich ein Mensch, der an eine komplizierte Struktur der klassischen Musik gewöhnt ist, darin zurecht. Es gibt da auch einige Rap-Teile. Auch bei den Rockmelodien wechseln die Skalen und Harmonien. Ich glaube, dass jede der Zielgruppen, die wir mit diesem Opus ansprechen wollen, darin etwas für sich finden wird."

Jirina Markova in der Oper ´The Angels´
Die Kinder kommen, um ein Märchen zu sehen, meint der Komponist. Und die erwachsenen Zuschauer, die an die klassische Oper gewöhnt sind, können in dem Werk nach Meinung von Lukas Hurnik auch die Opernform finden, denn es geht nicht nur um einige miteinander verbundene einzelne Lieder. Es gibt da sowohl Rezitative, als auch Arien und Chöre. Das Stück ist vor allem für Kinder attraktiv ist, denn viele der Rollen werden eben von Kindern dargestellt, die Mitglieder des Ensembles "Detska opera Praha" / Kinderoper Prag sind. Für dieses Ensemble hat Hurnik seine Oper auch geschrieben, wie er sagt:

"Die Kinderoper, die von der Opernsängerin Jirina Markova geleitet wird, war von Anfang an mit dabei. Aus dem Grund gibt es so viele kleine Engel- und Teufelrollen darin. Es ist bewundernswert, wie sich die Kinder den einzelnen Musikgenres anpassen können. Sie gehen von einer anspruchsvollen klassischen Musiklinie beispielsweise zu Funk ohne Probleme über. Man sieht daran, dass sie sehr gut vorbereitet sind."

Choreographie ´Zerbrochene Träume´
Lukas Hurnik, der in einem Milieu aufgewachsen ist, wo klassische Musik gespielt wurde, sagt, er habe sich schon immer zu Frank Zappa und zur Rockmusik geflüchtet. Dies spiegelt sich in seiner neuesten Oper wider:

"Es ist vielleicht doch etwas gewagt, zu behaupten, diese Oper sei für alle bestimmt. Es kann sein, dass sich auch alle darüber ärgern werden. Wir haben einen Versuch gemacht, ein etwas anderes Publikum ins Operntheater zu locken."

Im Unterschied zu den vergangenen Bouda-Projekten, gehört in diesem Jahr die Theaterbude allen drei Ensembles des Prager Nationaltheaters. Mit eigenen Vorstellungen präsentierten sich dort auch junge Mitglieder des Ballettensembles. Sein Chef Petr Zuska dazu:

Petr Zuska  (Foto: Autorin)
"Die Vorstellung mit dem Titel ´Tanz in der Bude´ bietet eine Auswahl von den besten Choreographien von unserer Tanzvorstellung ´Miniaturen´, die wir im Ständetheater aufgeführt haben. Es geht um choreographische Kompositionen von jungen Choreographen beziehungsweise von Tänzern des Nationaltheaters. Der ganze Abend wird durch eines meiner Werke ergänzt, das für die internationale Ballett-Gala entstanden ist, die im Februar in Prag stattfand. Das Motto der ganzen Vorstellung ist die ethnische Musik."

´Die Helden´
Es erklingen hier unter anderem irische und englische Balladen, Musik von der schnellsten Blaskapelle der Welt - der Fanfare Ciocarlia oder Lieder von der berühmten Klezmer-Band The Klezmatics. Diese Klezmergruppe inspirierte auch den jungen Tänzer und Choreograph Tomas Rychetsky zu einer tief beeindruckenden Choreographie mit dem Titel "Zerbrochene Träume".

Und nicht zuletzt wird in der Theaterbude das Stück "Die Helden" von der tschechischen Dramatikerin Iva Klestilova aufgeführt. Dieser Vorstellung wurde auch der Bau der Bude angepasst. Denn die Zuschauer werden auch das Geschehen draußen mitverfolgen können. Das Spiel, das auch als eine szenische Dichtung oder eine Performance bezeichnet wird soll eine Aussage über die Menschen des 21. Jahrhunderts sein, die von Informationen übersättigt und nicht in der Lage sind, im Lärm der Stadt zu sich selbst zu finden. Die Premiere des Stücks findet am 17. Juni statt. In der "Bouda" wird bis zum 27. Juni gespielt, danach wird das provisorische Theatergebäude wieder abmontiert und die Zuschauer dürfen auf eine Bouda Nr. 4 hoffen.