Erfolg für unabhängige Kandidaten bei Tschechiens ersten Europawahlen
Die ersten tschechischen Europawahlen werden wohl wegen einer ganzen Reihe von Gründen in die Geschichte eingehen. Zum einen auf Grund der niedrigen Wahlbeteiligung, die mit knapp 29 Prozent bei einer nationalen Wahl noch nie so niedrig war. Zu den anderen bemerkenswerten Ergebnissen gehören sicherlich auch das schlechte Abschneiden der größten heimischen Regierungspartei, der tschechischen Sozialdemokraten, die lediglich Rang fünf belegen konnten, sowie im Gegensatz dazu das gute Ergebnis für die Kommunisten, die mit etwas mehr als 20 Prozent der Stimmen wieder einmal eine Schallmauer in Tschechiens Politik durchbrechen konnten. Robert Schuster im "Schauplatz".
Bislang konnten diese parteifreien oder unabhängigen Listen und Bewegungen vor allem bei Kommunalwahlen punkten. Schon seit vielen Jahren wird in Tschechiens Gemeinden - insbesondere in den kleineren und mittelgroßen - von Seiten der Wähler diesen Gruppierungen eindeutig der Vorzug vor den etablierten Parteien gegeben. Nach ihrem ersten großen Erfolg bei dieser Europawahl, scheinen nun diese Gruppierungen auch auf nationaler Ebene den klassischen Parlamentsparteien konkurrieren zu wollen. Ist das bloß Wunschdenken der Spitzenkandidaten dieser Bewegungen, oder eine reale Option, die gegebenenfalls die tschechische Parteienlandschaft maßgeblich beeinflussen könnte?
Darüber unterhielten wir uns im Folgenden mit dem Politikwissenschaftler Stanislav Balik von der Masaryk-Universität in Brünn/Brno, der sich unter anderem auf die tschechische Kommunalpolitik spezialisiert. Die erste Frage, die wir ihm stellten, richtete sich nach den Gründen für die Beliebheit diverser Unabhängigen-Listen, so wie sie bislang in erster Linie auf Gemeindeebene in Erscheinung traten:
"Also dieses Phänomen der unabhängigen Kandidaten ist nichts typisch tschechisches und es kommt auch in einer Reihe von anderen europäischen Ländern vor, nicht zuletzt auch in Deutschland in der Gestalt verschiedener freier Wählergruppen. Zudem muss man auch korrekterweise sagen, dass der jüngste Erfolg bei den Europawahlen nicht der erste war, den diese Gruppierungen außerhalb der kommunalen Ebene verbuchen konnten. Schon bei den ersten Regionalwahlen vor vier Jahren konnten die Unabhängigen-Listen einige Mandate erzielen und in einigen Regionen, wie etwa im Kreis Ollmütz/Olomouc, sind sie seitdem sogar an der regionalen Regierung beteiligt. Natürlich klingt die Aussage ´Ich bin unabhängig´ irgendwie positiv in den Ohren der Wähler und kommt bei ihnen gut an, obwohl beim genaueren Hinschauen bei so manchem Kandidaten diese Unabhängigkeit dahin schwinden würde. Die Erfolge der unabhängigen Kandidaten sind aber zweifelsohne auch der Ausdruck einer Haltung vieler Wähler gegenüber den etablierten Parteien, wobei die Attraktivität dieser Gruppierungen darin besteht sich eben nicht auf eine klare ideologische Linie festlegen zu lassen, also z.B. auf eine konservative, liberale oder kommunistische Sicht der Gesellschaft."
Wie bereits eingangs erwähnt wurde, feierten die unabhängigen Listen ihre größten Erfolge bislang fast ausschließlich bei Gemeindewahlen. Dementsprechend kamen auch die meisten ihrer Europakandidaten aus dem kommunalpolitischen Bereich. Dennoch haben aber paradoxerweise auch bei diesem Gruppierungen mit Josef Zieleniec, Vladimir Zelezny oder der früheren Fernsehmoderatorin Jana Bobosikova jene Kandidaten den Sprung nach Straßburg geschafft, die mit Kommunalpolitik nur wenig, oder gar nichts am Hut hatten. Logisch drängt sich deshalb die Frage auf, welche Faktoren letztlich für den Erfolg der Unabhängigen-Listen entscheidend waren - ob der hohe Bekanntheitsgrad ihrer Spitzenkandidaten, oder aber der gute Ruf, den sich ihre Mitbewerber als Kommunalpolitiker in den vergangenen Jahren erwerben konnten. Hören Sie dazu die Einschätzung des Brünner Politologen Stanislav Balik:"Sie verdanken das bestimmt der Kombination beider Faktoren. Ohne diese mediale Bekanntheit wären sie bestimmt nicht so erfolgreich. Zum Europaparlament kandidierten ebenfalls noch weitere Unabhängigen-Listen, die aber relativ klar scheiterten, weil deren Kandidaten zwar lokal oder regional bekannt waren, ihnen aber die landesweite Zugkraft fehlte. Auf der anderen Seite hat aber auch diesen bekannten Persönlichkeiten extrem geholfen, dass sie zumindest vordergründig zu keiner eindeutigen politischen Richtung gehörten oder dazugerechnet werden konnten. Zieleniec war zwar früher ein hochrangiger Parteipolitiker, konnte sich aber in den vergangenen Jahren von seiner früheren Partei erfolgreich absetzen. Die Wähler Zeleznys rekrutierten sich wiederum aus einem weitem Spektrum unzufriedener Wähler, deren Spannbreite von Sozialdemokraten bis zu den Rechtsliberalen reicht. Somit lässt sich nur schwer sagen, dass der Erfolg dieser Gruppierungen und deren Spitzenkandidaten durch dieses oder jenes begünstigt wurde.
Über die Möglichkeiten der neu gewählten parteifreien Europaabgeordneten und deren politischen Spielraum wird vor allem deren Einordnung in einer der bestehenden Parteiengruppen entscheiden, die sich im Verlauf der Jahre im Europaparlament heraus kristallisiert haben. Zieleniec hat bereits zu erkennen gegeben im Europaparlament künftig mit den Christdemokraten und Konservativen zusammenarbeiten zu wollen, was angesichts der politischen Vergangenheit des ehemaligen rechtsliberalen Außenministers keine große Überraschung ist. Wie ist es aber im Fall von Zelezny? Lässt sich hinter dessen Bewegung "Die Unabhängigen" irgendeine ideologische Strömung feststellen?
Immerhin hatten sich sowohl Zelezny, als auch die Listen-Zweite - die ehemalige Moderatorin Jana Bobosikova während des Wahlkampfs fast alle Optionen offen gehalten und in einigen Bereichen mit ihren Aussagen auch sogar gegen das geltende Programm der Unabhängigen verstoßen. Dazu meint der Brünner Politologe Stanislav Balik:
"Es kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass es dort Ansätze für irgendwelche Ideologien gibt. Im Wahlprogramm dieser Liste war viel von der Unterstützung für die Regionen die Rede und es ist also möglich, dass das die Grundlage für die Zusammenarbeit mit irgendwelchen regionalistischen Gruppen bilden könnte. Ich denke die beiden Abgeordneten Zelezny und Bobosikova werden zunächst als fraktionslose wirken und werden die weitere Entwicklung im Europaparlament abwarten. Vor allem lässt sich nicht voraussagen, ob es im neuen Straßburger Parlament wieder die gleiche Einteilung in Fraktionen geben wird, wie bisher. Ich denke aber schon, dass sie früher oder später einer Fraktion, womöglich einer, die nicht so ideologisch ist, beitreten werden.Nach dem Erfolg bei den Europawahlen steht nun auch die Frage nach einer möglichen Kandidatur bei den kommenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Raum, die spätestens in zwei Jahren stattfinden werden. Dass diese Unabhängigen-Parteien dabei eine gewisse Chance hätten, steht nicht zuletzt seit ihrem Erfolg bei den Europawahlen fest. Zudem ertönt in Tschechien seit vielen Jahren - vor allem gegen Mitte der Legislaturperiode - von vielen Seiten der Ruf nach der Gründung einer neuen politischen Bewegung.
Schon in der Vergangenheit gab es vor allem auf der rechten Mitte des politischen Spektrums mehrere Versuche neue, pro-europäische Gruppierungen zu etablieren, die jedoch nie von größerem Erfolg gekrönt waren. Wie stehen also die Chancen der beiden zuletzt bei den Europawahlen erfolgreichen Unabhängigen-Listen, bei den nächsten nationalen Wahlen den Einzug ins Abgeordnetenhaus zu schaffen? Hören Sie dazu abschließend noch einmal den Politikwissenschaftler Stanislav Balik aus Brünn:
"Viel hängt davon ab, was sich in der rechten Mitte des politischen Spektrums abspielen wird, was mit den Resten der Anhängerschaft der Freiheitsunion geschehen wird, ob nicht wieder ein neues Versucht gestartet wird eine pro-europäische Mitte-Rechts-Partei zu etablieren. Ich meine nämlich, dass wenn eine solche Kommunalpartei Erfolg haben will, sie sich in der rechten Mitte ansiedeln muss. Der mögliche Erfolg einer solchen Partei wäre höchstwahrscheinlich eine einmalige Angelegenheit, weil schon bei den nächsten Wahlen diese Gruppierung gezwungen wäre sich zu deklarieren, ob sie mit den Sozialdemokraten oder den Konservativen zusammenarbeiten würden und dadurch schwindet auch der Vorteil der 'Unabhängigen' oder 'Parteilosen'."