EU-Wahlen und was dann?
Wie schätzen tschechische Politikwissenschaftler die Wahlergebnisse der ersten tschechischen Europawahlen ein? Welche Auswirkungen erwarten sie für die Regierungskoalition? Wie begründen sie die überraschend niedrige Wahlbeteiligung? Daniel Satra berichtet.
"Dadurch, dass die Regierung mit nur 101 von 200 Mandaten im Abgeordnetenhaus eine sehr knappe Mehrheit hat, führt die Schwächung der Regierungsparteien bei der Europawahl dazu, dass die Regierung noch instabiler wird."
Ob die seit Wochen innerparteilichen Querelen bei den Sozialdemokraten nun neuen Aufwind bekommen und Premier Vladimír Spidlas Posten als Parteivorsitzender bedroht ist, ist jedoch offen, meint Bures. Die Wahlniederlage des Koalitionspartners Freiheitsunion, sei erwartet worden, sagt der Politikwissenschaftler Bohumil Dolezal. Das schlechte Ergebnis der Sozialdemokraten sei die eigentliche Überraschung der tschechischen Europawahl:"Die Sozialdemokratie ist in einer sehr unangenehmen Situation. Die kleinste Veränderung kann eine Lawine verursachen."
Eine Umbildung des Regierungskabinetts erwartet Dolezal jedoch nicht, denn weder die innerparteiliche Opposition bei den Sozialdemokraten noch die Oppositionellen im Parlament seien daran interessiert, sagt Dolezal. Die knappe Begründung:
"Diese Regierung ist erfolglos, und das ist für die Opposition sehr gut."
Wie in den anderen Beitrittsländern Osteuropas, die erst vor sechs Wochen EU-Mitglieder geworden sind, haben auch in Tschechien die Konservativen und die Kommunisten, beides EU-Skeptiker, das Rennen gemacht. Welche Bedeutung hat das für Straßburg? Der Politologe Jan Bures:"Ich denke, dass die Parteien bald merken werden, dass ihr Bewegungsspielraum im Europaparlament recht klein sein wird. Zum einen deshalb, weil das Parlament nach wie vor über geringe Zuständigkeiten verfügt. Und zum anderen deshalb, weil die Zahl der tschechischen Abgeordneten, die zudem noch auf unterschiedliche Fraktionen verteilt sind, sehr klein ist."
Die ODS als Mitglied der Europäischen Volkspartei sei trotz ihrer neun Mandate isoliert, sollte sie ihren integrationsfeindlichen Kurs auch in Straßburg weiterverfolgen, sagt Bures.
Und die Gründe für die geringe Wahlbeteiligung? Allgemeine Politikverdrossenheit gegenüber der tschechischen Politik und die Entfernung europäischer Institutionen zum Alltag der Tschechen, sagt Bures. Daher konnten auch die Unabhängigen als Randparteien punkten. Nur etwa jeder vierte wahlberechtigte Tscheche ist an die Urne gegangen. Bohumil Dolezals Erklärung:
"Für einen Normalwähler ist es sehr schwierig zu begreifen, welchen Sinn ein Parlament hat, zu dem kein entsprechender Staat existiert. Ich will damit nur sagen, dass dies zu erklären eine anspruchsvolle Aufgabe ist, und dass die Menschen erst in den nächsten Jahren vollkommen begreifen werden, inwiefern die Institution Europa für ihr alltägliches Leben wichtig ist."
Ob europakritische Parteien, wie ODS und Kommunisten die Rolle des EU-Lehrmeisters übernehmen werden, ist gegenwärtig jedoch mehr als fraglich.