„Erklären, wie es wirklich aussieht“ – Christina Janssen, die neue ARD-Korrespondentin in Prag
Christina Janssen, so heißt die neue Korrespondentin der ARD für Prag und Bratislava. Christian Rühmkorf besuchte sie im ARD-Hörfunkstudio ganz in der Nähe der deutschen Botschaft und der Burg und sprach mit ihr über den neuen Job, über bewegte Zeiten und ihre Pläne hier in Prag.
Frau Janssen, Sie sind seit Anfang des Jahres die neue ARD-Korrespondentin hier in Prag, ausgesandt vom Deutschlandradio und zuständig für Tschechien und die Slowakei. Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie Chemie, Biologie, Germanistik und Anglistik studiert, also eine ganze Reihe von Fächern. Wie sah Ihr Weg ins Radio aus?
„Der hat relativ früh begonnen. Während dieser zugegebenermaßen recht ausgedehnten Studienzeit damals in Freiburg habe ich sehr früh beim Universitätsradio angefangen, das damals neu gegründet wurde und noch in einer echten Pionierphase steckte. Ich hatte großen Spaß daran und bin gleich auf den Geschmack gekommen, was das Radiomachen betrifft. Dann war ich als feste freie Mitarbeiterin beim SWF – später dann SWR – beschäftigt und habe anschließend meine Runde durch verschiedene Radioanstalten gedreht. Ich war als Praktikantin beim WDR und bei Deutschlandradio Berlin. Nach dem Studium bin ich zu meinem großen Glück als Volontärin beim Deutschlandfunk gelandet, genauer gesagt bei Deutschlandradio Berlin, dem heutigen Deutschlandradio Kultur. Dort habe ich anderthalb Jahre lang eine Ausbildung zur Redakteurin genossen und bin danach für immerhin sechs Jahre beim Deutschlandfunk Redakteurin gewesen.“
Wenn ich richtig informiert bin, sprechen Sie noch kein Tschechisch. Kannten Sie die Tschechische Republik schon, bevor Sie hier als ARD-Korrespondentin anfingen?
„Ich war zwei Mal als Urlaubsvertretung in Prag, aber auch im letzten Jahr zu einer sehr spannenden Zeit, nämlich zum 40. Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings. Das war in der Berichterstattung eine sehr intensive und spannende Phase, in der dann auch ein bisschen Zeit geblieben ist, Land und Leute kennenzulernen. Insofern hab ich zumindest ein kleines bisschen gewusst, was mich hier erwartet. Ich konnte es zumindest erahnen.“
Prag war also ein Wunschort?
„Ja, Prag war ein Wunschort. Obwohl man hinzufügen muss, dass dieser ARD-Platz hier erst seit relativ kurzer Zeit zu meinem Heimatsender, dem Deutschlandradio, gehört. Insofern gab es diese Option, nach Prag zu können, lange nicht. Als diese Möglichkeit dann realistisch wurde, war ich eigentlich gleich begeistert, weil ich mich als außenpolitische Redakteurin gerade im Zuge der EU-Erweiterung 2004 sehr intensiv mit dieser Region hier beschäftigt habe. Damals haben wir umfangreiche Programme mit Reportagesendungen, Analysen und Diskussionssendungen gebracht. Das war ein Riesenprojekt und ich habe es in meiner Redaktion betreut. Seitdem verfolge ich dieses Thema mit großem Interesse und mit Spannung. Es ist toll, jetzt hier vor Ort zu sehen, wie es sich entwickelt, denn dieser Prozess der europäischen Integration ist ja einer, der immer weitergeht, Stichwort: Lissabon-Vertrag, das ist ja gerade sehr aktuell.“
Ihr Vorgänger, Peter Hornung, war vier Jahre hier in Prag. Was hat er Ihnen an Fallstricken, Themenbereichen und Ratschägen mit auf den Weg gegeben, als Sie sich die Klinke in die Hand gedrückt haben?
„Er hat mir natürlich vor allem eine ganze Menge praktischer Tipps gegeben und ein paar Kontakte zu sehr netten Leuten, die hier zu den verschiedensten Themen etwas zu sagen haben und auch etwas sagen können. Er hat von ein paar Dingen erzählt, die er für Eigenheiten der Tschechen hält, und die einem vielleicht manchmal im persönlichen Umgang weiterhelfen.“
Zum Beispiel?
„Er ist der Auffassung, und das bestätigt sich gelegentlich, dass es ganz gut sei, wenn man zum Beispiel bei Interviews mit Politikern ein bisschen Zeit mitbringt, also nicht in typisch deutscher Manier darauf besteht, dass es pünktlich auf die Sekunde beginnt. Man sollte dann einfach die Geduld haben, ein bisschen zu warten. Das ist einer seiner Ratschläge. Was er mir auch mit auf den Weg gegeben hat, und was ich eigentlich durch Peter Hornung und die netten Kolleginnen hier im ARD-Studio kennengelernt habe, ist dieses Thema des tschechischen Humors. Das ist etwas, was mir sehr viel Spaß macht und was ich in meiner Berichterstattung auch transportieren will. Also nicht nur Politik, nicht nur die Wirtschaftskrise und nicht nur der Lissabon-Vertrag, sondern auch diese menschelnden Themen.“
Als Auslandskorrespondentin muss man eine Flut detaillierter Informationen auf ein verdaubares Maß herunterbrechen und oft daran anknüpfen, was die Menschen vielleicht schon kennen oder gehört haben. Dabei läuft man vielleicht auch gelegentlich Gefahr, Stereotypen zu bedienen. Haben Sie schon eine Vorstellung davon, welches Bild von Tschechien Sie jenseits der aktuellen Berichterstattung transportieren wollen oder können?
„Das ist wirklich ein wichtiges Stichwort. Es ist natürlich immer am leichtesten, Klischees zu bedienen. Und man muss ehrlicherweise sagen, dass es das ist, worauf die Redaktionen in Deutschland natürlich auch anspringen, wenn ein bekanntes Thema auftaucht, zum Beispiel Prostitution, der betrügerische Taxifahrer, Nepp in den Prager Kneipen und so weiter. Das kennen die Leute, darauf springen sie an, das wird sofort gesendet. Aber ich halte es für besonders wichtig, dass man diese Themen zwar tatsächlich aufgreift, jedoch erklärt, wie es wirklich aussieht: Dass sich hier zum Beispiel in Sachen Taxifahren einiges geändert hat, weil es bei Betrug inzwischen Sanktionen gibt. Letzten Mittwoch habe ich einen Bericht über die Prostitution im deutsch-tschechischen Grenzgebiet angeboten, die inzwischen einen dramatischen Rückgang erlebt, weil die Behörden in den jeweiligen Orten zu drastischen Mitteln gegriffen haben, um das Ganze einzudämmen. Einerseits ist da dieses Thema, das große Aufmerksamkeit erregt, aber man hat gleichzeitig die Möglichkeit, klarzustellen, dass in Tschechien vieles in Bewegung ist und eben nicht alles so bleibt, wie es früher war. Soviel zu den bunten Themen, aber das gilt im Übrigen auch für die schwergewichtigeren Themen. Da gehört auch dazu, den Deutschen zu erzählen, dass in Tschechien das Thema Vergangenheitsbewältigung inzwischen eine große Rolle spielt und dass es dazu neue Ansätze und Blickwinkel gibt. So zum Beispiel eine Diskussion, die Deutschen – zum Beispiel beim Thema Sudentendeutsche – auch in einer Opferrolle zu betrachten, jedoch natürlich nicht ausschließlich. Oder auch, dass es hier junge Dramatiker gibt, die zu diesem Thema äußerst kritische Stücke auf die Bühne bringen. Das sind Dinge, mit denen man Klischees aufbrechen kann und das sind die Geschichten, die ich erzählen will.“
Welche Unterstützung bekommen Sie, um die sprachliche Hürde zu überwinden und wie sieht der typische Arbeitsalltag einer Auslandskorrespondentin aus?
„Im praktischen Arbeitsalltag ist es normalerweise so, dass ich zwischen acht und neun Uhr ins Büro komme und dann gemeinsam mit meiner Kollegin die Zeitungen durchgehe. Wir schauen uns die Themen an, wer sie wie kommentiert, welche Thesen es zu welchen aktuellen Fragen gibt. Dann überlegen wir, woraus wir selbst einen Bericht machen, was wir aufgreifen wollen, welche Geschichte wir in Deutschland erzählen wollen. Dann versuchen wir, dafür geeignete Interviewpartner zu finden.Ich bemühe mich, pro Woche zwei bis vier Themen zu bearbeiten, je nachdem, was gerade ansteht. Im Moment muss man nicht lange suchen, durch die Ratspräsidentschaft gibt es hier eine sehr große politische Aktivität und deshalb verfolgt man in Deutschland das Geschehen in Tschechien auch sehr aufmerksam. Dann werden diese Stücke nach und nach umgesetzt. Es gibt aber auch viele Redaktionen, die sich selbst Gedanken dazu machen, was sie eigentlich aus Tschechien wissen und hören möchten. Die rufen dann mit ganz konkreten Vorschlägen hier an. Neulich meldete sich ein Kollege vom MDR und sagte, dass ich doch anlässlich der Berlinale etwas über die tschechische Filmindustrie erzählen solle, zum Beispiel über die Barrandov-Studios und welche Filme hier gedreht wurden. Das ist ein Geben und Nehmen. In aller Regel bin ich diejenige, die versucht, die Themen hier im Blick zu behalten, und sie dann auch so umzusetzen, damit man in Deutschland etwas damit anfangen kann.“
Als Auslandskorrespondentin kennt man eigentlich kein Wochenende. Sind Sie allein oder mit Familie nach Prag gezogen?
„Ich bin mit Familie hier, also mit meinem Mann und unserem einjährigen Sohn. Mein Mann geht erst einmal zwei Jahre in Elternzeit und hat demnach frei, um sich um unser Kind zu kümmern. Er findet sich sehr geduldig und sehr liebevoll damit ab, dass ich so viel Arbeit habe. Das ist am Anfang natürlich noch mehr als später im Normalbetrieb und jetzt während der Ratspräsidentschaft ohnehin, aber ich denke, das lässt sich im Laufe der Zeit auf ein familienfreundliches Maß eindämmen.“
Wie hat Ihre Familie reagiert, als klar wurde, dass es nach Prag geht?
„Mein Mann war eigentlich auch begeistert. Er kannte Tschechien und Prag vorher viel besser als ich. Für ihn ist es ebenfalls eine sehr spannende Zeit und er fängt auch gerade an, Tschechisch zu lernen. Ich hoffe, wir schlagen uns wacker, erleben hier viele interessante Begegnungen und lernen nette Leute kennen.“
Mit der Vaterzeit ist Ihre Familie in diesem Land ja eigentlich ein Vorreiter...
„Das wäre im Übrigen auch ein ganz spannendes Thema für einen Bericht. Ich habe mir auch schon überlegt, dass ich dazu gern etwas machen will, wenn mein Mann auf Spielplätzen und in Krabbelgruppen die ersten Erfahrungen gesammelt hat. Ich bin sehr gespannt, was er dann erzählt.“
Frau Janssen, herzlichen Dank für das Gespräch.