Tschechen sind keine EU-Skeptiker - ARD-Korrespondentin Janssen bilanziert
Vor zwei Jahren kam sie nach Prag, um für die ARD-Hörfunkanstalten aus Tschechien und der Slowakei zu berichten. Christina Janssen, Redakteurin des Deutschlandfunk, trat in einer Zeit ihre Tätigkeit an, die einiges von ihr abverlangte. Eine Schonfrist gab es nicht. Vor wenigen Tagen hieß es für Christina Janssen Abschied nehmen. Im Gespräch mit Christian Rühmkorf bilanziert sie ihre Zeit als Korrespondentin in Prag.
Christina Janssen, Sie sind in den letzten zwei Jahren ARD-Korrespondentin in Prag gewesen. Sie sind 2009 mitten in die tschechische EU-Ratspräsidentschaft hineingesprungen wie ins kalte Wasser. Haben Sie dennoch gute Erinnerungen an Ihren Beginn in Prag?
(lacht) „Das wäre ja schrecklich, wenn es nicht so wäre. Und ich fand es eigentlich auch ganz erfrischend. Wobei man sagen muss: Es war natürlich auch eine Menge Stress. Das haben wahrscheinlich alle Journalisten so erlebt, denn die tschechische EU-Ratspräsidentschaft hatte ja – wie sich viele ja vielleicht erinnern – die eine oder andere Besonderheit, hat uns das eine oder andere Überraschungsbonbon zu bieten gehabt. Nicht zuletzt das Misstrauensvotum und den Sturz der tschechischen Regierung mitten in dieser Ratspräsidentschaft. Also das war eine chaotische, eine turbulente Zeit. Aber das ist eigentlich – muss man ja mal ganz ehrlich sagen – genau das, was man sich als Korrespondent wünscht: im Rampenlicht zu stehen und ganz brandaktuell berichten zu können. Im Zweifelsfall eben auch über solche politischen Katastrophen.“
Womit hat Sie das Land in Ihrer Anfangszeit überrascht? – Jenseits der EU-Ratspräsidentschaft.
„Die Politik, über die wir hier an erster Stelle berichten sollen ist das eine; das zweite ist aber ja schon der Versuch und ich hoffe auch das gelungene Experiment – glaube ich jedenfalls im Rückblick sagen zu können – in so ein Land einzutauchen, mit seiner Kultur, die Menschen kennen zu lernen. Und ich kam ja hierher als jemand – das muss ich ja ganz ehrlich sagen – der gar nicht so furchtbar viel über Tschechien wusste. Ich bin ein paar Mal hier gewesen, aber das war es dann auch schon. Die Details und das Zusammenleben hier kannte ich nicht. Und was mich wirklich sehr überrascht hat, war vor allem diese Aufbruchsstimmung in der jungen Generation. Das nimmt man, wenn man auf das Land als Ganzes schaut, gar nicht so sehr wahr. Aber diese vielen kleinen Initiativen hier auf der politischen Ebene, auf der kulturellen Ebene, junge Aktivisten, die sich für das deutsch-tschechische Verhältnis engagieren, junge Literatinnen, die Bücher zu diesem Thema schreiben – zu politisch brisanten Themen – tolle Theateraufführungen, so ein ganz spannendes Kulturleben, das man eben gar nicht so sehr mit diesem manchmal etwas, ja vielleicht schon fast etwas verstaubten Image von Prag assoziiert, ja, dass das einen so ganz absorbiert! Und das hat mir einfach ganz großen Spaß gemacht, das kennen zu lernen.“
Ungarn und Tschechien sind 2004 gemeinsam der Europäischen Union beigetreten. Viele in der EU runzeln jetzt die Stirn, wenn sie über die Entwicklung in Ungarn nachdenken. Wie beurteilen Sie Tschechien im Vergleich dazu?
„Also insgesamt sind jetzt natürlich viele von der tschechischen Europapolitik enttäuscht und ich finde, das ist auch in der Tat etwas, wo das Land politisch vielleicht noch ein bisschen weiterkommen müsste. Wobei ich aber immer wieder betonen muss – und das war auch ein wichtiger Teil meiner Arbeit hier – dass die Tschechen letzten Endes eben nicht die EU-Skeptiker sind, für die sie immer gehalten werden. Natürlich sind das prominente Stimmen, es sind auch laute Stimmen, die sich in diese Richtung äußern, aber auch gerade viele junge Leute sehen die Vorteile der Europäischen Union, wollen auch ins Ausland, sehen die Vorteile des gemeinsamen Arbeitsmarktes, der nun ja im Mai gänzlich öffnen wird. Und insofern versuchte ich mit meiner Arbeit hier auch wirklich gegen dieses Etikett, gegen dieses Stigma anzuarbeiten. Tschechien – das Land der EU-Skeptiker, das stimmt einfach nicht.“
Sie sind auch Korrespondentin für die Slowakei. Sie wissen sicherlich ja – allein schon, weil Sie in Prag stationiert sind, mehr über Tschechien. Aber nehmen Sie dennoch Unterschiede wahr zwischen der Slowakei und Tschechien? Vielleicht was auch gerade diese Haltung gegenüber Europa betrifft.„Ich finde eigentlich erstaunlicherweise, dass die Slowaken in mancherlei Hinsicht ein bisschen entspannter sind als die Tschechen. Da wird vieles nicht so auf die politische Goldwaage gelegt. Das gilt zum einen natürlich für das ganze Thema ´Wie wird Brüssel gesehen - wie wird die EU gesehen?´ Das ist in der Politik so, das ist aber aus meiner Sicht auch in der Bevölkerung so. Die EU wird insgesamt in der Slowakei dann doch noch etwas positiver wahrgenommen als hier. Auch was das Verhältnis zu Deutschland angeht, ist das – natürlich auch aus historischen Gründen - etwa weniger belastet. Also die Slowaken sind insgesamt etwas entspannter als die Tschechen, etwas unverkrampfter. Vielleicht hat es ja sogar auch ein bisschen etwas damit zu tun, dass es auch ein sehr katholisches Land ist und die Katholiken vielleicht im Allgemeinen ein bisschen dazu neigen, die Dinge eben so laufen zu lassen und Fünfe auch mal gerade sein zu lassen.“
Gab es in diesem zwei Jahren eine Lieblingsreportage, ein Lieblingsthema, ein außergewöhnliches Interview, das Sie so schnell nicht vergessen werden?„Also was mir hier sehr viel gegeben hat, das war, als ich im Zuge der Berichtserstattung ´20 Jahre Samtene Revolution´ und Mauerfall usw. hier in Prag und Umgebung unterwegs war, um mit ehemaligen Dissidenten zu sprechen und zu schauen, was sie heute machen, was ist aus ihnen geworden, wie sehen sie die politische Entwicklung – das waren einfach ganz intensive, interessante Begegnungen. Und dann auf der anderen Seite eben auch – wenn man so will – die kleinen Geschichten am Rande. Es gab hier gegenüber der deutschen Botschaft, die ja bekannt war, als dieses Flüchtlingsdrama sich abspielte und die Flüchtlinge dann irgendwann ausreisen durften, ein kleines Hotel – damals war es noch ein Privathaus, in dem eine Familie wohnte, die nach bestem Vermögen den deutschen Flüchtlingen geholfen und hunderte oder sogar auch tausende von Flüchtlingen in dieser Zeit beherbergt hat, sozusagen durchgeschleust hat, die ihnen einfach für eine Nacht Obdach gegeben hat, sie mit Essen versorgt hat, mit Zeitungen, auf denen sie schlafen konnten. Darüber habe ich eine Reportage gemacht, auf die ich sehr viel Resonanz bekommen habe, weil wenige diese Geschichte kannten und wenige sich vorstellen konnten, dass es ein so intensives Engagement auch ganz einfacher tschechischer Bürger in dieser Zeit gab. Das war auch sehr beeindruckend.“
Christina Janssen, was steht nach Ihrer Rückkehr nach Deutschland an?(lacht) „Zuerst werde ich mich sozusagen ins Private zurückziehen. Unsere Familie wird um ein Mitglied größer, im Mai voraussichtlich. Das heißt, ich werde erst mal gar nicht arbeiten, aber dann nach absehbarer Zeit wieder zu meinem alten Arbeitgeber zurückkehren, zum Deutschlandfunk nach Köln, und dort in der Politikredaktion Tschechien und die Slowakei ganz bestimmt nicht aus den Augen verlieren.“