Rückkehr ins Land der Karpfen-Wasser-Eis-Polizei - der ARD-Radiokorrespondent Christoph Scheffer verabschiedet sich aus Prag

Christoph Scheffer (Foto: www.ndrinfo.de)
0:00
/
0:00

Fünf Jahre lang war Christoph Scheffer (39) als ARD-Hörfunkkorrespondent für Tschechien und die Slowakei in Prag. Die Stadt ist ihm in dieser Zeit zu weit mehr als einem Einsatzort geworden. Zum Jahresende hat sich Scheffer nun turnusgemäß verabschiedet. Mit dem scheidenden Korrespondenten und seinem Nachfolger, dem 37jährigen Peter Hornung sprach Thomas Kirschner über Eindrücke, Erinnerungen, Erwartungen und die Position Tschechiens in Europa.

"Mein erster Eindruck war - zunächst einmal die Slowakei, weil ich am Abend meines ersten Aufenthaltes östlich des Eisernen Vorhangs in Bratislava angekommen bin, und dort in eine Stadt kam, die eine wunderbare Altstadt hat, mit schräger, moderner Neonkunst, und es war alles nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte das klassische West-Klischee - Osten: grau, trist, irgendwie heruntergekommen. Es ist ganz peinlich, mit solchen Vorstellungen gekommen zu sein, aber sie wurden sehr schnell korrigiert. Und in Prag dann sowieso, weil das einfach eine große, moderne und lebendige Stadt ist."

Fünf Jahre war Scheffer nun in Prag, von wo aus er für die ARD-Radioberichterstattung über Tschechien und die Slowakei zuständig war. Eine kurze Zeit, in der sich das postkommunistische Land jedoch rasant verändert hat, wie man manchmal gerade an den kleinen Dingen feststellen kann.

"Zum Beispiel gibt es in Prag fast nirgendwo mehr Cappuccino, bei dem oben auf den Milchschaum noch Zimt gestreut wird. Das war am Anfang eines meiner größten Probleme - ich kann mir bis heute das tschechische Wort für Zimt nicht merken und erst recht nicht aussprechen, wenn es mir jemand vorsagt. Zu sagen "Ich hätte den Cappuccino gerne ohne Zimt" war so schwierig, dass ich ihn eben mit Zimt getrunken habe. Aber das Problem gibt es ja heute nicht mehr. Das ist vielleicht ein nebensächliches Beispiel, aber es steht doch dafür, dass sich vieles, was man als ´Westmensch´ mit nach Prag gebracht hat, sich hier als Mehrheitskultur durchgesetzt hat. Ob das gut ist oder nicht, ist eine andere Frage - für mich war es in puncto Cappuccino gut..."

Der Zimt auf dem Cappuccino gehört nicht dazu, vieles andere in Tschechien ist Scheffer aber ans Herz gewachsen. Wer hat sich also in den fünf Jahren mehr geändert - das Land oder der Korrespondent?

"Das werde ich wohl erst merken, wenn ich zurückkomme. Mir werden sicher ganz viele Dinge fehlen, die für mich normal geworden sind. Zum Beispiel jetzt, wenn die Karpfen auf der Straße verkauft werden und die Verkäufer in die Karpfenbottiche immer frisches Wasser laufen lassen und das Wasser einfach auf die Straße überläuft, und es friert und die ganze Straße vereist - das ist ein so unglaubliches Chaos, und das ist einfach wunderbar! Das wäre in Deutschland unmöglich, weil sofort irgendeine Karpfen-Wasser-Eis-Polizei vorbeikäme, die auf den Paragraphen 17 der städtischen Karpfen-Wasser-Eis-Verordnung hinweisen würde, demzufolge man das Abwasser in den Gulli leiten muss, damit die Straße nicht vereist. Dieses immer noch Unreglementierte, Chaotische, Improvisierte im Alltag, das wird mir, glaube ich, sehr fehlen - wie sehr, werde ich erst merken, wenn ich zurück bin."

Einfacher fällt der Rückblick auf die Arbeit. Was waren die Höhepunkte?

"Sicher nicht das Interview mit dem Staatspräsidenten Klaus, obwohl man das natürlich nicht so ohne Weiteres bekommt. Aber die Begegnungen mit Politikern oder irgendwelchen herausragenden Persönlichkeiten sind sicher nicht das Entscheidende."

Viel lieber erinnert sich Christoph Scheffer an einen Besuch in einer Roma-Siedlung in Usti nad Labem / Aussig, die vor einigen Jahren zu trauriger Berühmtheit gelangte, als die Stadt versuchte, Spannungen durch den Bau einer Absperrmauer zu lösen.

"Wir haben dort ein Interview geführt mit einem Roma-Ehepaar, ungefähr Mitte 40, die ursprünglich aus der Slowakei kamen und sehr offen über die Veränderung ihrer Lebenswelt berichtet haben. Also von den Träumen, die sie noch hatten, von einem Leben mit Pferdewagen und freiem Herumziehen in der Landschaft und von dem gleichzeitigen Eingepferchtsein in einen Plattenbau. Wie sie dann reflektiert haben, was es heißt, ein anständiger Tscheche zu sein, wie man sich dann gefälligst zu benehmen hat, wie sie gleichzeitig die aufgezwungenen Werte wieder in Frage gestellt haben, aber trotzdem bemüht waren, sich zu integrieren und in dieser Gesellschaft akzeptiert zu werden. Das war ein sehr intensives Gespräch und einer der stärksten Eindrücke der vergangenen fünf Jahre."

Enttäuscht ist Scheffer dagegen von der Europa-Politik der Tschechen. Auch der EU-Beitritt des Landes im Mai vergangenen Jahres fiel in seine Korrespondentenzeit. Von der zeitweisen Aufregung ist wenig geblieben.

Foto: Europäische Kommission
"Der EU-Beitritt hat in Tschechien vor allem eines verändert, nämlich dass auf den Zigarrettenschachteln jetzt auch steht ´Koureni muze zabijet´, also ´Rauchen kann tödlich sein´. Ansonsten habe ich im Alltag nur wenige Veränderungen durch den EU-Beitritt wahrgenommen. Was mich sehr stört und in der journalistischen Arbeit auch geärgert hat, ist dass sich die tschechische Politik in der EU so gut wie nicht sichtbar macht, wenn man von den europakritischen Äußerungen von Präsident Klaus absieht. Es gibt so gut wie keine Initiative, keinen Vorstoß, kein Reklamieren von Politikfeldern für Prag, für die Tschechische Republik. Das hat mir in Tschechien immer gefehlt, und ich habe verzweifelt nach politischen Themen gesucht, bei denen man sagen kann: Hier ist Prag ein wichtiger Ort, an dem sich etwas konzentriert. Aber ich habe so etwas nie gefunden. Und wann immer sich so etwas abzeichnete ist es sofort wieder zerplatzt: Als es im Vorfeld der Debatte um eine EU-Verfassung eine Initiative der kleinen und neuen EU-Länder gab, die nicht über den Tisch gezogen werden wollten, tauchte mal für wenige Tage der Begriff ´Die 15 von Prag´ auf, weil sich 15 Staatssekretäre hier getroffen hatten. Aber daraus eine Prager Erklärung zu machen, oder irgendetwas, was man mit diesem Land identifizieren würde, und was in Europa dann auch ein Gewicht hat, das ist nicht passiert."

In Zukunft werden dies die Probleme von Peter Hornung sein, der mit dem Jahreswechsel die Nachfolge von Christoph Scheffer als Hörfunkkorrespondent und Leiter des ARD Studios Prag antritt. Seit zwei Jahren ist er schon regelmäßig als Vertreter Scheffers in der tschechischen Hauptstadt, genauso kennt aber auch das Bild, das man in Deutschland von Tschechien hat.

"Wie das Land heute aussieht, wie es regiert wird, was die Haltung der Regierung in der Europapolitik ist, das weiß man alles nicht. Das Bild Tschechiens in Deutschland ist sehr undifferenziert und man greift häufig auf Klischees zurück, die man irgendwo her bezogen hat - auch aus deutschen Medien."

Die Arbeit eines Korrespondenten in Prag ist daher nicht zuletzt, Lobby für tschechische Themen zu machen, Interesse zu wecken und zu zeigen, dass es bei dem fremden nahen Nachbarn viel zu entdecken gibt.

"Das sehe ich auch als meine Aufgabe als ARD-Korrespondent, den Redaktionen in der ARD und damit eben auch den Hörern zu sagen: Passt auf - nicht nur Polen als größtes Nachbarland im Osten ist wichtig, sondern auch Tschechien und die Slowakei! Vergesst diese Länder nicht. Es ist etwas, wo man dicke Bretter bohren muss. Man muss die Leute und die Redakteure in der ARD davon überzeugen, dass es wichtig ist, auch die tschechische Position zu hören, Geschichten aus Tschechien im Radio zu bringen. Und ich denke, das ist ein längerer Prozess."

Ein Prozess, zu dem wir auch weiterhin viel Erfolg wünschen - Peter Hornung in Prag ebenso wie Christoph Scheffer zurück in Frankfurt, der seine alte zweite Heimat sicher nicht aus den Augen verlieren wird.