Erst Hitler-treu, dann auf den Barrikaden des Prager Aufstands: die Wlassow-Armee

General Wlassow und die Russische Befreiungsarmee

Der Prager Maiaufstand hat vor 65 Jahren nicht nur in der Hauptstadt, sondern praktisch auch im ganzen Land das Ende des Zweiten Weltkriegs eingeläutet. Die meisten Details, wie der Bau der Barrikaden auf den Straßen Prags oder der erbitterte Kampf in der Umgebung des Prager Rundfunkgebäudes, sind hinlänglich bekannt. Dass aber auch eine ausländische Einheit – die so genannte Russische Befreiungsarmee - maßgeblich an den Kämpfen gegen die Truppen der deutschen Wehrmacht und der Waffen-SS beteiligt war, ist lange Zeit verschwiegen worden.

Die Entstehungsgeschichte der Russischen Befreiungsarmee hängt eng mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion im Juli 1941 zusammen. Beim schnellen Vordringe der Wehrmacht gerieten Tausende sowjetischer Bürger in Gefangenschaft. Unter ihnen waren auch zahlreiche Soldaten und Offiziere, die das Regime des sowjetischen Diktators Josef Stalin ablehnten. Im Jahr 1942 begann Hitler-Deutschland, diese Soldaten gezielt in Einheiten einzugliedern, die an der Ostfront an der Seite der Wehrmacht gegen die Rote Armee kämpfen sollten. Die Nazis nutzten dazu einen Propaganda-Trick: Die Angehörigen der von Stalin unterdrückten Völker auf dem Gebiet der Sowjetunion sollten den Eindruck haben, sie würden von Hitler befreit und nähmen aus Dankbarkeit am Kampf gegen Stalin teil. Dieses Propagandabild sollte auch beim Anwerben weiterer Angehöriger unterdrückter Völker helfen. Kommandeur der Russischen Befreiungsarmee wurde General Andrej Andrejewitsch Wlassow, weshalb die Truppen oft auch als Wlassow-Armee bezeichnet wurden.

General Wlassow und die Russische Befreiungsarmee
Als sich jedoch an der Ostfront das Blatt zu Gunsten der Roten Armee zu wenden begann und die Wehrmacht allmählich zurückgedrängt wurde, musste auch die Wlassow-Armee ihren Schwerpunkt immer weiter in Richtung Westen verlagern. So kam es, dass eine Division unter der Führung von Oberst Sergej Bunjatschenko auch ins damalige, von den Nazis besetze Protektorat Böhmen und Mähren gelangte. Angesichts der drohenden Kriegsniederlage gab es in dieser Zeit bei der Befreiungsarmee bereits erste Absetzungstendenzen von den offiziell immer noch verbündeten deutschen Einheiten. Es wurden auch erste Kontakte zu einzelnen tschechischen Widerstandsgruppen geknüpft. Letztlich trat die Wlassow-Armee auf die andere Seite über und beteiligte sich am Mai-Aufstand in Prag.

Lange, insbesondere in der Zeit vor der Wende, wurde über die Wlassow-Armee offiziell geschwiegen, weil ihre Rolle nicht ins ideologisch gefärbte Geschichtsbild passte. Dieses war auf der These aufgebaut, dass nur die russische Armee Prag befreit hat, also die Rote Armee. Und heute? Wie wird die Beteiligung der Wlassow-Einheiten am Mai-Aufstand mittlerweile beurteilt? Dazu Tomáš Jakl vom Militärhistorischen Museum in Prag:

„Die Rolle der Wlassow-Armee wird heute immer noch unterschätzt, weil der Einmarsch der Division von Oberst Bunjatschenko nach Prag tatsächlich erst am Tag der schwersten Kämpfe in Prag stattfand, das heißt am 7. Mai 1945. Die Division half aber, dem größten deutschen Angriff auf Prag standzuhalten.“

Tomáš Jakl
Obwohl die Teilnahme an den Kämpfen in Prag relativ kurz war, besetzte die Wlassow-Armee wichtige strategische Stützpunkte. Das wird als maßgeblich sogar für den Erfolg des ganzen Aufstands angesehen. Historiker Tomáš Jakl erläutert die Stoßrichtung der Truppen:

„Die erste Division der Russischen Befreiungsarmee hat sich zuerst an den Kämpfen gegen die Rote Armee beteiligt und befand sich im Frühjahr zusammen mit der Wehrmacht auf dem Rückzug durch Böhmen. Schon in dieser Zeit handelte es sich aber praktisch um eine aufständische Armee, die deutsche Waffenlager überfiel und sich auf diese Weise ausrüstete. Nach dem Ausbruch des Prager Mai-Aufstands befand sich die Armee in der Nähe der Stadt Beroun, westlich von Prag. Dort entwaffnete sie die deutschen Besatzungstruppen und hielt andere deutsche Einheiten davon ab, sich in Richtung Prag zu begeben und dort gegen die Aufständischen vorzugehen. Am 8. Mai verließ die Division Prag wieder und zog erneut in Richtung Westen, also Beroun und Příbram, wo sie wieder auf deutsche Truppen traf.“

Dank neuerer Arbeiten ist der Wissensstand über die Russische Befreiungsarmee wesentlich angestiegen. Ein eindeutiges Urteil über ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg ist indes kaum möglich. Dennoch: Wo liegen die Gründe für die Entscheidung, die Fronten zu wechseln und nicht mehr die deutsche Wehrmacht, sondern die Aufständischen in Prag zu unterstützen? Tomáš Jakl:

„Die Russische Befreiungsarmee war von ihren Offizieren, die mit der Wehrmacht zusammenarbeiteten, vor allem als Mittel gedacht, um den russischen Gefangenen während der chaotischen letzten Monate des Krieges das Leben zu retten. Viele hatten bereits Erfahrung gemacht mit dem Zusammenbruch des Russischen Reiches und des anschließenden Bürgerkriegs. Ihnen war klar, dass nur diejenigen, die dann Waffen in den Händen halten, im Kampf aller gegen alle eine Chance zum überleben haben. Im Verhalten der ersten Division der Wlassow-Armee gab es zahlreiche Veränderungen – beginnend mit der Abnabelung von der deutschen Wehrmacht, bis hin zur aktiven Beteiligung am Prager Aufstand. Es steht aber auch fest, dass die Division von Oberst Bunjatschenko für ihre antideutsche Haltung bekannt war. Daher wurde sie beim Rückzug durch das Gebiet des damaligen Protektorats Böhmen und Mähren von Angehörigen verschiedener Widerstandsgruppen angesprochen, mit dem Ziel sie für den Kampf gegen die deutschen Besatzer zu gewinnen.“

Altstädter Ring während des Prager Aufstands
Gingen die tschechischen Widerstandsgruppen aber nicht ein großes Risiko ein, als sie versuchten, Verbindung zur Wlassow-Armee aufzunehmen? Schließlich hätte der Seitenwechsel auch eine Falle sein können. Dazu sagt Militärhistoriker Tomáš Jakl:

„Sie haben in erster Linie angenommen, dass das Band des Slawentums letztlich dazu führen wird, die Angehörigen der Wlassow-Armee gegen die Deutschen aufzubringen. Das hat sich dann auch als richtig erwiesen. Fraglich ist noch, welche Rolle dabei die russischen Geheimdienste gespielt haben, die natürlich über die Tätigkeit der ersten Division der Wlassow-Armee auf dem Gebiet des Protektorats genau Bescheid wussten. In wie weit es Kontakte zwischen Angehörigen der Wlassow-Armee und den sowjetischen Geheimdienstleuten gab, und ob die Sowjets den Wlassow-Soldaten ein milderes Schicksal nach Kriegsende versprochen haben, ist noch nicht befriedigend geklärt worden. Der Hauptimpuls für die Einbeziehung der Russischen Befreiungsarmee in die Kämpfe in Prag kam jedoch von den tschechischen militärischen Abwehrkämpfern.“

Nach Kriegsende wurde General Wlassow zusammen mit anderen Offizieren der Russischen Befreiungsarmee an die Sowjets ausgeliefert. Ihnen wurde der Prozess gemacht, sie wurden zu Verrätern erklärt und dann hingerichtet. Und in der Tschechoslowakei schaute man lieber nicht so genau hin, wie Historiker Jakl erläutert:

„Die tschechoslowakische Seite hat nach den eindeutigen Aussagen der sowjetischen Führung, wonach die Angehörigen der Wlassow-Armee Verräter seien, zur Kenntnis genommen, dass es sich um unerwünschte Personen handelte. Sie ist dann auf die Rolle dieser Soldaten bei der Befreiung Prags nicht mehr zu sprechen gekommen. Geschwiegen wurde auch darüber, dass es nachweislich Hinrichtungen von verletzten Wlassow-Soldaten in Prager Krankenhäusern gab. Die tschechische Seite hat in diesem Zusammenhang nichts unternommen und hat das alles der sowjetischen Seite überlassen.“