„Erstaunliches Nebeneinander der Jahrhunderte“ – Historiker Weger über seine „Kleine Geschichte Prags“

Tobias Weger: „Kleine Geschichte Prags“

Prag hat viele Namen: Goldene Stadt, Stadt der Hundert Türme oder auch einfach Moldau-Metropole. In den Namen spiegelt sich teils die reiche Geschichte der Stadt, auf deren Spuren sich im vergangenen Jahr über 600.000 Deutsche begeben haben. So hoch lag nämlich die Besucherzahl aus der Bundesrepublik. In der Regel sind die Touristen ausgerüstet mit einem der vielen Prag-Reiseführer. Der Historiker Tobias Weger vom Bundesinstitut für Kultur und Geschichte im östlichen Europa in Oldenburg gibt ihnen nun noch etwas Weiteres an die Hand: eine „Kleine Geschichte Prags“. Till Janzer hat mit dem Historiker über das Buch gesprochen.

Tobias Weger
Herr Weger, Sie haben eine kleine Geschichte Prags verfasst. Sie wendet sich eher an das interessierte breitere Publikum. Braucht es das denn? Praktisch jeder Reiseführer zu Prag hat ja auch einen umfangreichen historischen Teil…

„Das ist durchaus richtig. In vielen Reiseführern sind solche historischen Einführungen enthalten. Allerdings handelt es sich meist um tabellarische oder sehr kurze Darstellungen, bei denen dann auf fünf oder sechs Seiten die ganze Geschichte Prags in ihren Jahrhunderten abgehandelt wird. Das erschien uns zu wenig ausführlich, um Kulturinteressierten alle Phänomene der Stadt Prag erklären zu können. Gut, das wird zwar auch diese kleine Geschichte nicht leisten können, aber sie ist darauf ausgerichtet, interessierten Reisenden etwas mehr Informationen zur Hand zu geben. Und sie hat deswegen auch ein kleines Format, um sie bequem in einer Sakko-Tasche oder einer Handtasche mitnehmen zu können.“

Tobias Weger: „Kleine Geschichte Prags“
Was ist denn ihrer Meinung nach das Spannende an der Geschichte Prags? Warum sollte man sich damit beschäftigen?

„Das Erstaunliche für jeden Besucher der Stadt Prag, der vielleicht das erste Mal dorthin kommt, ist die unglaubliche Kontinuität der Geschichte, die man sonst kaum in einer anderen europäischen Großstadt antrifft. Ich meine dieses Nebeneinander von Bauwerken aus unterschiedlichsten Jahrhunderten, von der Romanik angefangen, über die Gotik und den Barock, bis zur Gegenwartsarchitektur. Und dann natürlich auch die Art und Weise, wie mit diesem reichen kulturellen Erbe umgegangen wird, das heißt wie diese Geschichte bis heute in den Alltag der Prager hinein gelebt wird. Das ist etwas Besonderes, in dem sich Prag von vielen Städten unterscheidet, die aber zum Teil auch durch den letzten Krieg stark zerstört wurden. Prag ist ja hingegen relativ glimpflich davongekommen. Insofern hat man hier die Möglichkeit, ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch der letzten tausend Jahre europäischer Geschichte erleben zu können.“

Sie sind Historiker und von daher gewöhnt, Originaldokumente zu wälzen und wissenschaftliche Literatur zu sichten. Wie hat sich die Arbeit an Ihrer kleinen Geschichte Prags davon unterschieden? Welches waren in diesem Fall ihre Quellen?

„Ich habe trotzdem auch für das Verfassen dieser kleinen Geschichte Prags Quellen zu Rate gezogen und versucht, die reiche Literatur zu sichten – natürlich nicht im ganzen Umfang, das war nicht möglich in der kurzen Zeit, aber doch die wichtigsten Werke, die es zur Geschichte Prags gibt. Die Herausforderung war für mich als Historiker dann eher die Darstellung, also einmal einen Text zu schreiben, der nicht mit Fußnoten gesättigt ist, der sich etwas verabschiedet von der üblichen Diktion wissenschaftlicher Ausdrücke und versucht, die schwierigen Zusammenhänge in einer Art und Weise darzustellen, dass sie eben auch für zwar historisch Interessierte, aber nicht Historiker zugänglich sind.“

Altstadt in Prag
Haben Sie etwas Neues entdeckt bei Ihren Recherchen oder etwas, das Ihnen bisher unbekannt war?

„Auch für mich, der ich mich eigentlich seit Jahren mit der böhmischen und speziell auch der Prager Geschichte beschäftige, waren einige Neuigkeiten dabei. Das Neue an dieser Geschichtsdarstellung ist, dass sie versucht, die Geschichte bis in die jüngste Gegenwart fortzuschreiben. Auch das unterscheidet sie eigentlich von den meisten Darstellungen in Reiseführern. Ich habe versucht, auch die Zeit des 20. Jahrhunderts mit ihren ganzen Umbrüchen als Teil der normalen Stadtgeschichte darzustellen. All die Verwerfungen ermöglichen eigentlich erst, Verständnis zu finden, was in der Stadt passiert ist und was die Bürger dieser Stadt im 20. Jahrhundert erleben mussten. Durchaus erstaunlich für mich war, obwohl keine große historische Neuigkeit, wie kultiviert diese Stadt Prag im frühen Mittelalter gewesen ist. Die erste Erwähnung aus dem 10. Jahrhundert spricht bereits von steinernen Häusern, und man weiß aus der Zeit Karls IV. beispielsweise, dass Prag durchgehend gepflastert war, Abwassersysteme hatte und ähnliche Einrichtungen. Das ist ein Grad der Zivilisation, der ansonsten in Mitteleuropa zu dieser Zeit noch relativ unüblich war.“

Da spricht aus Ihnen durchaus eine Begeisterung für Prag. Wie häufig sind Sie denn eigentlich in der tschechischen Hauptstadt?

„Ich war leider nie länger in Prag, dafür aber sehr häufig – eigentlich seit Anfang der 90er Jahre. Ich habe damals noch in München gelebt, und von dort war Prag ja sehr leicht erreichbar. Ich habe sehr häufig verlängerte Wochenenden in Prag verbracht und dazu immer mal wieder Aufenthalte in Archiven und Bibliotheken. Ich habe in dieser Zeit auch viele Freunde und Bekannte in dieser Stadt gefunden, was ein zusätzlicher Reichtum ist, sozusagen die Stadt nicht nur als historische Kulisse zu erleben, sondern auch als Stadt, in die man gerne fährt, um lieb gewordene Menschen wieder zu treffen.“

Autor: Till Janzer
schlüsselwort:
abspielen