EU-Bericht über Tschechien
Am Dienstag vergangener Woche veröffentlichte die Europäische Kommission in Brüssel ihren regelmäßigen Fortschrittsbericht über die Tschechische Republik. Wie Tschechien in der Bewertung der Kommissare abgeschnitten hat, erfahren Sie nun im folgenden Schauplatz, den für Sie Robert Schuster gestaltet hat.
Seit die Tschechische Republik Mitte 1996 offiziell den Antrag auf eine Mitgliedschaft bei der EU gestellt hat, wird jedes Jahr Mitte November der regelmäßige Bericht der Europäischen Kommission über Tschechien veröffentlicht. Die Kommissare stellen darin fest, wie weit das Land auf dem Weg zu einer EU-Vollmitgliedschaft seit dem letzten Bericht gekommen ist. Viele Experten sind sich einig, dass die diesjährige Bewertung eine gewisse Sonderstellung einnimmt. Das kommende Jahr wird nämlich im Zusammenhang mit der geplanten nächsten Erweiterungsrunde von besonderer Wichtigkeit sein, denn genau in einem Jahr schlagen dann die zwanzig Kommissare den Mitgliedsstaaten jene Länder vor, die ihrer Meinung nach alle Kriterien erfüllen und aufgenommen werden sollten.
Wie hat also Tschechien in der Beurteilung Brüssels diesmal abgeschnitten? Überwiegen die positiven Aspekte? Radio Prag befragte in diesem Zusammenhang Kristina Larischova vom Prager Büro der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung. Frau Larischova ist Expertin für Europapolitik und verfolgt seit vielen Jahren die Annäherung Tschechiens an die Europäische Union.
"Der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission klingt für Tschechien tatsächlich positiv, trotzdem gibt es da einige Evergreens, d.h. einige kritische Punkte, die sich immer wieder in den Berichten wiederholen und die schwierig zu überwinden sind. Jede positive Beurteilung birgt jedoch das Risiko in sich, dass man bei den weiteren Bestrebungen nachlässt. Wir müssen daher diesen Bericht als eine Art moralische Unterstützung und Ermunterung wahrnehmen, die uns zu weiterer Arbeit motiviert."
Nicht immer waren die Berichte so positiv. Es gab sogar Zeiten, wo im Vorfeld der Veröffentlichung des regelmäßigen Fortschrittsberichts die Nervosität im Regierungslager einen ziemlich hohen Pegel erreichte. Bislang führte jedoch ein kritischer Kommissionsbericht bloß einmal zu personellen Konsequenzen in der Regierung: Das war 1999, als der damalige, für Europaangelegenheiten zuständige, stellvertretende Ministerpräsident Egon Lansky seinen Hut nehmen musste. In besagtem Jahr war aber das Fazit der Kommissare besonders kritisch. Manche Zeitungskommentatoren in Tschechien sahen darin einen erhobenen Zeigefinger aus Brüssel, quasi eine Art Warnung, dass die Aufnahme der Tschechischen Republik in die EU bei weitem nicht gesichert ist und noch viele Schwierigkeiten zu bereinigen seien. Bemängelt wurden insbesondere die Lage der Roma-Minderheit, die schlechte Arbeit der Gerichte. Was waren eigentlich in diesem Jahr die wichtigsten Felder, bei denen laut Brüssel in Tschechien Nachholbedarf besteht? Frau Larischova hat für uns im folgenden die wichtigsten Bereiche kurz zusammengefasst:
Die wichtigsten Kritikpunkte des Berichtes befinden sich auf dem Gebiet der Staatsverwaltung. Da geht es darum, dass das Gesetz über den Staatsdienst immer noch nicht verabschiedet wurde, weil es dafür bisher keinen Konsens im Parlament gab. Die Europäische Kommission kritisiert auch ebenso deutlich das hohe Maß an Korruption in Tschechien und das völlig undurchschaubare System, nach welchem öffentliche Aufträge vergeben werden. Genauso wurde eine unzureichende Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität verzeichnet. Für einen Dauerkritikpunkt kann man auch das geringe Vorankommen bei der Grenzüberwachung halten. Es geht um Mängel bei der Migrationskontrolle, vor allem an der immer noch über viele Teile offenen Grenze mit der Slowakei. Positiv wurde hingegen die Justizreform bewertet, sowie die konzeptionelle Vorbereitung der tschechischen Minderheitenpolitik. Und nicht zu vergessen: Die Kommission hat mein Land zum ersten Mal als eine funktionierende Marktwirtschaft bezeichnet, die makroökonomische Entwicklung wurde auch gelobt - mit einer Ausnahme, und zwar bei der Frage der öffentlichen Verschuldung."
Neben der Tschechischen Republik bemühen sich auch noch weitere neun ehemalige sozialistische Länder um die Aufnahme in die EU. Tschechien zählte dabei zusammen mit Ungarn, Polen und vor allem mit Slowenien stets zu jenen Staaten, von denen man am ehesten annehmen konnte, dass sie den Sprung über alle Hürden schaffen werden. Aber ebenso, wie im Falle Prags, mussten sich auch Budapest, Warschau oder Laibach in den vergangenen Jahren Kritik aus Brüssel anhören. Zudem brachten innenpolitische Turbulenzen in einigen der erwähnten Kandidatenländer - in Polen etwa - den Beitrittsprozess fast zum Erliegen. Wie haben also die Mitbewerber Tschechiens in den diesjährigen Fortschrittsberichten der EU-Kommission abgeschnitten? Lassen sich ähnliche Trends oder Problemfelder feststellen? Das war unsere weitere Frage an Europaexpertin Larischova:
"Ja, bei der Gesamtbewertung der Kandidaten gibt es grundsätzlich zwei Gruppen und die Tschechische Republik befindet sich eher vorne auf der Liste der ersten Gruppe, so dass es insgesamt 10 Kandidaten gibt, die gute Aussichten auf den EU-Beitritt haben. Drei Kandidaten - Rumänien, Bulgarien und die Türkei, gehören zu der zweiten Gruppe und haben geringere Chancen bei der nächsten EU-Erweiterungsrunde dabei zu sein. Ungarn hat für dieses Jahr eine sehr gute Gesamtnote bekommen, während sich Polen eine deutliche Warnung der Kommission anhören musste. Polen bewegt sich zwar immer noch in der ersten Gruppe, aber ziemlich unten und muss sich daher im nächsten Jahr ziemlich anstrengen, um die Aufnahme zu schaffen. Was die gemeinsamen Trends angeht, da lässt sich eines feststellen: Es wird zunehmend Wert auf die Leistungsfähigkeit der Staatsverwaltungen und auf die Anwendung der Legislative gelegt. Allgemein wächst auch die Wichtigkeit des dritten Kopenhagener Kriteriums, d.h. der Rechtsharmonisierung und auch der Implementierung dieses Rechts."
Alles deutet darauf hin, dass das nächste Jahr für den Erweiterungsprozess entscheidend sein wird. Schon seit geraumer Zeit steht fest, dass den künftigen neuen EU-Mitgliedern die Möglichkeit gegeben werden soll an den nächsten Wahlen zum Europaparlament teilzunehmen. Diese Wahlen sollen im Juni 2004 stattfinden, d.h. dass zu Jahresbeginn die heutigen Beitrittsbewerber bereits Vollmitglieder sein sollten. Wie realistisch dieses Szenario ist, wird sich natürlich erst herausstellen. Die EU-Kommission drückt jedenfalls jetzt aufs Tempo, indem sie angekündigt hat, während des kommenden Jahres durchgehend die Beitrittsreife der Kandidatenländer unter die Lupe zu nehmen. Hat also die Kommission bereits heute eine entsprechende Strategie oder einen konkreten Zeitplan, wie die Verhandlungen im nächsten Jahr geführt werden sollen?
"Die EU hat bisher den genauesten Zeitplan vorgelegt. Die Unterhändler wollen in den schwierigsten Kapiteln fortschreiten wie Energie, Steuerharmonisierung, Verkehr oder Landwirtschaft, gleichzeitig will Brüssel in der ersten Hälfte des nächsten Jahres die Beitrittsreife der Länder überprüfen. Dazu soll der neue Aktionsplan dienen, wobei die wichtigste Rolle der Verwaltung und dem Justizwesen beigemessen wurde. Schon im Frühjahr nächsten Jahres will die Kommission mit der Vorbereitung der Beitrittsverträge beginnen; nach den nächsten Kommissionsberichten, das bedeutet im Herbst 2002, wird uns die Kommission mitteilen können, wer in die EU in der sog. ersten Welle aufgenommen sein wird. Ende nächsten Jahres können die Beitrittsverträge unterschrieben werden und sie müssen dann im darauffolgenden Jahr, also 2003, in allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Ich rede jetzt natürlich über das optimale Szenario und in diesem optimalen Fall werden dann insgesamt zehn Länder - das ist so die mehrheitliche Einschätzung - inklusive Malta und Zypern im Jahr 2004 der EU beitreten."
Bis es aber so weit ist, muss in Tschechien noch eine Hürde besonderer Art genommen werden, denn unter den Politikern herrscht allgemeiner Konsens, dass es vor dem Beitritt zu einer Volksabstimmung kommen soll. Das wäre übrigens das erste Mal, dass die Tschechen die Möglichkeit bekommen würden, sich auf dem Weg der direkten Demokratie an einer wichtigen Entscheidung zu beteiligen. Kann aber dieses Referendum und die ihm vorausgehende Wahlwerbung nicht wie ein Schuss nach hinten losgehen und somit die tschechische EU-Mitgliedschaft gefährden? Auch Kristina Larischova, die abschließend noch einmal zu Wort kommt, ist sich dieser Gefahr durchaus bewusst:
"Teilweise stimmt das, was Sie erwähnt haben, weil mit den wachsenden Schwierigkeiten des Transformationsprozesses und mit den Verhandlungen nahm die Unterstützung des EU-Beitritts unter der Bevölkerung schrittweise ab. Die Tschechen sind unter den anderen Kandidaten aus Mittel- und Osteuropa diejenigen, die in Bezug auf Europa die größte Zurückhaltung aufweisen. Abgesehen von den Schwankungen in den Umfragen kann man sagen, dass etwas mehr als ein Viertel der Befragten offene und kategorische EU-Gegner sind. Die Unterstützung für einen Beitritt ist zwar immer noch mehrheitlich, aber der Trend ist sinkend. Ich würde aber nicht pessimistisch sein. Ich meine, dass die Leute jetzt nicht mehr allgemeine Informationen über die EU verlangen, sondern sie wollen jetzt ganz konkret wissen, was bringt die EU mir persönlich, wenn ich Landwirt bin oder Student oder Unternehmer. Viel wird auch von nächsten Wahlkampagne abhängen, wie es z.B. gelingen wird gewisse Ängste zu instrumentalisieren - etwa dass Tschechien eine "EU-Mitgliedschaft zweiter Klasse" erwartet.