EU-Präsidentschaft 2009: Innenpolitischer Waffenstillstand oder Scharmützel im Schaufenster?
Anfang Januar 2009 übernimmt Tschechien den Ratsvorsitz in der Europäischen Union. Innenpolitisch sollte es während der sechsmonatigen Präsidentschaft einen Waffenstillstand geben. Das jedenfalls fordern lagerübergreifend die tschechischen Politiker – und fügen gleich darauf hinzu, dass ein solcher Waffenstillstand derzeit nicht besonders wahrscheinlich ist. Warum droht gerade in Tschechien ein interner Schlagabtausch auf der europäischen Bühne?
Eine stundenlange Pattstellung zwischen den Parlamentskammern, verbale Entgleisungen hochrangiger Politiker, Korruptionsvorwürfe, Parteiausschlussverfahren, vermeintliche oder echte Drohbriefe an Parlamentarier: Die Präsidentschaftswahl vor wenigen Wochen hat gezeigt, wie tief die Gräben sind, die derzeit die politische Landschaft Tschechiens durchziehen. Innerhalb der Mitte-Rechts-Koalition aus Bürgerdemokraten, Christdemokraten und Grünen kriselt es, und zwischen der Regierung und der Opposition aus Sozialdemokraten und Kommunisten gibt es sowieso kaum einmal Konsens. Spätestens wenn Tschechien Anfang 2009 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, sollte aber ein politischer Waffenstillstand ausgerufen werden, sagen unisono Politiker aller Couleurs. Denn Scharmützel zwischen den Parteien zu Hause könnten den Erfolg der Präsidentschaft gefährden.
Besonders wahrscheinlich ist ein derartiger Waffenstillstand aus heutiger Sicht aber nicht, meint etwa der sozialdemokratische Europaabgeordnete Libor Rouček. Und zwar gerade wegen der Differenzen in der Europapolitik.
„Sehen wir uns die Politik und die Standpunkte der Regierung an, genauer gesagt die der Demokratischen Bürgerpartei: Diese Partei ist nicht proeuropäisch. Man kann sagen, dass diese Partei antieuropäisch ist und antieuropäisch handelt. Ich kann mir also nicht vorstellen, dass wir keine Kritik üben werden, wenn die Regierung einen Schritt unternimmt, der nicht im Interesse Europas ist. Also im idealen Falle ja zu einem politischen Waffenstillstand – aber die Praxis wird zeigen, ob das möglich ist.“
Dass es möglich ist, das wünscht sich auch Luděk Sefzig, Senator der regierenden Bürgerdemokraten. Tschechien wird die Präsidentschaft nämlich zum ersten Mal innehaben, Europa wird besonders aufmerksam nach Prag blicken. Für das Land keine leichte Situation, meint Sefzig:„Es ist unsere große Hoffnung, dass wir in dieser auch Situation arbeiten können. Denn für die nicht innenpolitischen Fragen brauchen wir Ruhe, wir brauchen eine hohe Konzentration auf Europafragen.“
Den Vorwurf, eine antieuropäische Partei zu sein, weisen die Bürgerdemokraten zurück. Tatsache ist aber, dass die vorwiegend wirtschaftsliberale Wählerschaft der Partei als EU-freundlicher gilt als die Parteiführung. Allen voran Ehrenvorsitzender Vaclav Klaus, der am vergangenen Freitag in seine zweite Amtszeit als Staatspräsident ging, ist nicht nur unter seinen Amtskollegen in Europa als einer der lautesten EU-Kritiker bekannt. Und auch andere Spitzenpolitiker der Bürgerdemokraten stehen dem Prozess der Europäischen Integration eher zurückhaltend gegenüber.
Brüssel, das sind wir alle, sagt hingegen Libor Rouček, Europaabgeordneter der Sozialdemokraten. Eine Erkenntnis, die sich in Tschechien noch nicht wirklich durchgesetzt habe:
„Bis zu einem gewissen Maße finden wir diese Stimmung in jedem europäischen Land. Nach dem Motto: Wir machen zu Hause unsere eigene Politik, und die Bürokraten in Brüssel schaffen Regelungen und Gesetze gegen uns. In der Tschechischen Republik wird das aber noch zugespitzt, weil wir hier zwei antieuropäische Parteien haben: die Bürgerdemokraten und die Kommunisten. Wenn zu Hause etwas nicht klappt, dann sucht man den Buhmann eben in Brüssel.“
Rouček beruft sich dabei auch auf das Parkett, das er am besten kennt: Das Europäische Parlament.
„Das hat zum Beispiel auch die Abstimmung über den Vertrag von Lissabon im Europaparlament gezeigt. Es gibt dort 24 tschechische Vertreter, und nur fünf davon haben für den Vertrag gestimmt. Die Demokratische Bürgerpartei, die Kommunisten, ein Teil der Christdemokraten, die Unabhängigen – sie alle waren entweder dagegen oder enthielten sich der Stimme.“
Die Bürgerdemokraten aber möchten sich nicht als ewige Neinsager abstempeln lassen. Beim Beitrittsreferendum vor fünf Jahren, so hört man manchmal noch heute, hätte die Partei schließlich ebenfalls eine Ja-Empfehlung ausgesprochen. Und Vorsicht auf dem weiteren Weg der Integration sei durchaus angebracht.
EU-skeptisch oder EU-freundlich: Derzeit sieht es so aus, als dass Tschechien unter bürgerdemokratischer Führung die Ratspräsidentschaft übernehmen wird. Und diese hat auch schon ein Motto: Europa ohne Barrieren. Gemeint sind damit allerdings nicht nur die Barrieren, die derzeit noch die Bewegungsfreiheit in Europa einschränken, also etwa die Übergangsfristen für die Freizügigkeit am Arbeitsmarkt. Den Bürgerdemokraten geht es auch um ein allgemeines ökonomisches Fitnessprogramm. Senator Luděk Sefzig:
„Ich glaube, es ist schon wichtig, dass man bei ‚Europa ohne Barrieren’ nicht nur äußere Barrieren meint, sondern auch innere. Vor allem für die Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Staaten auf der ganzen Welt ist das sehr wichtig.“
Mit anderen Worten: Weniger sozialpolitische Steuerung und mehr Vertrauen in die Kräfte des freien Marktes – ein Programm, dem die tschechischen Sozialdemokraten wohl ebenfalls nur bedingt zustimmen können.
Doch der vermutlich schwerwiegendste Grund dafür, dass es mit dem politischen Waffenstillstand zur Zeit der EU-Präsidentschaft nicht ganz einfach werden dürfte, ist ein gesamteuropäischer Wahltermin. Libor Rouček:
„Im Juni 2009 haben wir Europawahlen, und mindestens zwei oder drei Monate vorher haben wir Wahlkampf. Meiner Meinung nach wäre es trotzdem möglich, sich nicht gegenseitig zu bekämpfen und sich auf europäische Themen zu konzentrieren. Aber im Unterschied zu Deutschland oder Österreich, wo die beiden wichtigsten Parteien im proeuropäischen Lager stehen, haben wir eben das Problem, dass genau das in der Tschechischen Republik nicht der Fall ist.“
Senator Sefzig glaubt ebenfalls nicht, dass der Wahlkampf in Tschechien wegen der Präsidentschaft quasi abgesagt wird:
„Ich glaube, in der Zeit vor der Wahl zum Europaparlament wäre es für uns sehr schwer, einen solchen Nichtangriffspakt zu unterschreiben und zu realisieren.“
Bei all den innenpolitischen Querelen könnte man fast das größte Fragezeichen übersehen, das die Vorbereitungen auf die Präsidentschaft erschwert: Niemand weiß, ob der Vertrag von Lissabon am 1. Januar 2009 bereits in Kraft sein wird.
„Das ist für unsere Regierung ein bisschen problematisch. Sie muss sich auf zwei verschiedene Situationen vorbereiten, je nachdem, ob der Vertrag bis dahin ratifiziert sein wird oder nicht. Deshalb ist es für uns ein bisschen schwerer als eine Vorbereitung im alten Stil“, meint Sefzig.
Sollte nämlich bereits nach neuen Regeln gespielt werden, dann würde sich für Tschechien so einiges ändern. Der Ratspräsident etwa wäre für zweieinhalb Jahre gewählt. Der tschechische Regierungschef wäre der erste, dem diese Rolle nicht mehr automatisch für sechs Monate zufällt.