EU-Ratspräsidentschaft: Tschechien übernimmt Ruder auf unruhiger See

Mirek Topolánek (links) und Alexandr Vondra (Foto: ČTK)

Europa ohne Barrieren. So lautet das Hauptmotto der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft von Januar bis Juni nächsten Jahres. Gemeint ist damit nicht nur die volle Umsetzung der vier Grundfreiheiten in der Europäischen Union, also freier Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital, sondern auch eine liberalere Wirtschaftspolitik nach dem Geschmack der Regierung in Prag. Zurzeit laufen die Vorbereitungen auf die Übernahme der Präsidentschaft auf Hochtouren, größere Probleme sehen die Verantwortlichen momentan nicht. Dennoch werden die Diskussionen eher von der politischen Großwetterlage in Europa beherrscht statt von den Prioritäten Prags.

Mirek Topolánek  (links) und Alexandr Vondra  (Foto: ČTK)
Alexandr Vondra ist zufrieden. Er sei gut im Zeitplan, sagte der stellvertretende tschechische Regierungschef vergangene Woche auf einer Pressekonferenz, und meinte damit die Vorbereitungen auf die EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2009. Dennoch steht Tschechien keine leichte Aufgabe bevor. Das Land übernimmt den Ratsvorsitz zum ersten Mal – und das nicht gerade in einer einfachen Situation, glaubt auch Vondra:

„Im Juni gibt es Wahlen zum Europaparlament, und es endet auch die Funktionsperiode der Europäischen Kommission. Schon beim letzten Gipfel im Juni konnten wir sehen, wie sich die Kommission, die ja sonst eher für unabhängige Reformen steht, zu politisieren beginnt, weil sich viele Kommissare natürlich Hoffnungen machen, dass sie nach den Wahlen im Amt bleiben können. Auch die Atmosphäre im Europäischen Parlament wird wohl bereits in diesem Herbst, und dann ganz bestimmt im nächsten Frühjahr, stark vom Wahlkampf geprägt sein.“

Unruhige Zeiten also. Dazu kommt, dass die EU nach dem Nein der Iren zum Vertrag von Lissabon nach wie vor einen Ausweg aus der institutionellen Krise sucht. Tschechien gehört dabei zu den Ländern, die den Vertrag selbst noch nicht ratifiziert haben. Derzeit liegt der Ratifizierungsprozess in Prag auf Eis. Der Senat, die Obere Parlamentskammer, hat den Verfassungsgerichtshof beauftragt, den Vertrag zu prüfen, ein Ergebnis wir frühestens im September erwartet.


Mirek Topolánek  (links) und Karel Schwarzenberg  (Foto: ČTK)
Die politische Landschaft in Tschechien bleibt indes zerklüftet: Die oppositionellen Sozialdemokraten sind für die Ratifizierung des Vertrags, die ebenfalls oppositionellen Kommunisten sind dagegen. Von den Parteien der Regierungskoalition geben die Grünen grünes Licht für Lissabon, die Christdemokraten warten ab, und aus der größten Regierungspartei, der rechtsliberalen ODS, kommen teils widersprüchliche Signale. Ihr Ehrenvorsitzender, Staatspräsident Václav Klaus, gilt mittlerweile als Europas einziger Spitzenpolitiker, der den Lissabonner Vertrag rundheraus ablehnt. Und Mirek Topolánek, Parteichef und Premierminister, hatte noch vor kurzem gemeint, die ODS werde dem Vertrag nur dann zustimmen, wenn das Parlament auch die Stationierung eines amerikanischen Radarsystems auf tschechischem Territorium absegnet. Ein Junktim, das von Vertretern anderer Parteien scharf kritisiert wurde. Vor allem von den Sozialdemokraten, die gegen eine US-Militäranlage in den Wäldern Mittelböhmens sind. Lubomír Zaoralek, sozialdemokratischer Vizepräsident des Abgeordnetenhauses:

„Ein derartiger Handel mit Verträgen ist skandalös! Da hätte ich wirklich Angst um die Glaubwürdigkeit Tschechiens bei künftigen Vertragsabschlüssen. Außerdem ist der Vertrag von Lissabon ja kein Geschenk für die Sozialdemokratie! Die heutige Regierungskoalition hat diesen Vertrag mitverhandelt, der Premierminister hat ihn unterschrieben, und er hat auch die Pflicht, ihn ratifizieren zu lassen.“

Außenminister Karel Schwarzenberg, den die Grünen in sein Amt gehievt hatten, kann einer Koppelung von EU-Vertrag und Radarstationierung ebenfalls nichts abgewinnen:

„Ich habe von diesen Überlegungen gehört, aber ich teile diese Meinung nicht. Für mich sind beide Verträge wichtig für die Sicherheit und die Zukunft der Tschechischen Republik“, so Schwarzenberg.


Mirek Topolánek  (Foto: ČTK)
Mittlerweile hat Premier Topolánek eingelenkt, von einem politischen Geschäft „Lissabon gegen Radar“ will er nun nichts mehr wissen. Doch schon ist im Streit um die tschechische Europapolitik die nächste Front eröffnet: Die französische Präsidentschaft ließ kürzlich verlauten, dass die EU nur dann neue Mitglieder aufnehmen kann, wenn der Lissabonner Vertrag den entsprechenden dafür Rahmen schafft. Tschechien steht der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten, insbesondere Kroatiens, sehr positiv gegenüber, Premier Topolánek meinte deshalb postwendend, eine neue Erweiterung sei auch mit dem alten Vertrag von Nizza möglich. Der sozialdemokratische Oppositionschef Jiři Paroubek schlug sich, wenig überraschend, auf die Seite Frankreichs:

„Frankreich ist einer der wichtigsten Spieler in der Europäischen Union. Und Herr Topolánek wird wahrscheinlich in einer Woche ohnehin wieder zurücknehmen, was er heute gesagt hat – nicht zum ersten und wohl auch nicht zum letzten Mal. Ihm fehlt einfach der Sinn für bestimmte Nuancen und manchmal auch für grundsätzlichere Fragen der europäischen Politik.“


Die Komplikationen rund um den Vertrag von Lissabon haben für die Vorbereitung auf die tschechische Präsidentschaft paradoxerweise aber auch einen positiven Effekt: Mittlerweile gilt es nämlich als ausgeschlossen, dass der Vertrag noch vor oder während des tschechischen Vorsitzes in Kraft tritt. Prag weiß nun also sicher, nach welchen Regeln gespielt wird, und muss sich nur noch auf eine Variante vorbereiten.

Nun gilt es noch, die heimische Öffentlichkeit für das Projekt zu gewinnen. Keine leichte Aufgabe, sagt Vizepremier Vondra:

„Bei uns überwiegt oft noch das Gefühl, dass auf der einen Seite ‚die’ sind, also die in Brüssel, die in der EU, und auf der anderen Seite ‚wir’. Aber wir wollen zeigen, dass wir selbst es sind, die den Gang der Dinge beeinflussen können, und dass wir als Partner respektiert werden.“

Regierungschef Topolánek erinnert seinerseits an die jüngere Geschichte, um seinen Landsleuten die Bedeutung der tschechischen Ratspräsidentschaft zu vermitteln:

„Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass wir hier vor nicht einmal 20 Jahren eine Einparteienherrschaft und eine zentral gesteuerte Wirtschaft hatten. Mittlerweile sind wir der Nato, der EU und dem Schengener Abkommen beigetreten, und im ersten Halbjahr 2009 werden wir in der Europäischen Union sogar das Ruder übernehmen. Wer hätte das erwartet? Das ist eine große Chance für Tschechien. Wir können beweisen, dass wir in der Lage sind, Kompromisse zu finden und ein halbes Jahr lang den Betrieb der Europäischen Union zu organisieren.“

Die Schwierigkeiten dabei werden wohl nicht im organisatorischen, sondern im inhaltlichen Bereich liegen. Tschechien wird am Ruder viel Umsicht und Vorsicht beweisen müssen. Von angenehmem Klima und ruhigem Fahrwasser ist in der politischen Wettervorhersage Europas derzeit nämlich keine Rede.