US-Raketenabwehrsystem: Aufgeschoben oder aufgehoben?
Neuer Tonfall der USA – Westen reicht Russland die Hand. So oder ähnlich kommentieren europäische Medien die Münchner Sicherheitskonferenz vom vergangenen Wochenende. Der neue US-Vizepräsident Joe Biden hatte dort erstmals die Grundzüge der amerikanischen Außenpolitik nach dem Machtwechsel in Washington skizziert und sich dabei für eine stärkere Einbindung der europäischen Partner bei der Lösung internationaler Konflikte ausgesprochen. Tschechien beobachtet die Pläne von Präsident Barack Obama besonders interessiert. Grund: das ungewisse Schicksal der geplanten US-Radaranlage in Mittelböhmen, die auch innenpolitisch hohe Wellen geschlagen hat.
Der tschechische Vizepremier Alexandr Vondra, ein klarer Befürworter des US-Radars in Mittelböhmen, sieht darin kein Hindernis für die Errichtung der Anlage:
„Wir wollten von Anfang an, dass das System im Rahmen der Sicherheitsarchitektur der Nato entsteht, das haben wir beim Bukarester Gipfel auch durchgesetzt. Und auch mit Russland haben wir mehrmals über diese Sache gesprochen. Schließlich ist das System ja nicht gegen Russland gerichtet, Moskau ist hier also zur Zusammenarbeit eingeladen. Aber auf keinen Fall kann es so sein, dass Russland ein Vetorecht dagegen bekommt.“
Die von Vondra angesprochene Einbindung der Nato, die auf dem Bukarester Gipfeltreffen der Allianz im April vergangenen Jahres beschlossen worden war, ging Vielen jedoch nicht weit genug. „Natoisierung“ war damals das neue Schlagwort der internationalen Politik. Es bedeutete, dass „das Radarsystem ein integraler Bestandteil der zukünftigen Raketenabwehr der Nato sein wird“, wie der tschechische Premierminister Mirek Topolánek von der Demokratischen Bürgerpartei erklärte. Zu unklar, meinten Kritiker im In- und Ausland, und warfen der Mitte-Rechts-Regierung in Prag vor, einen US-Alleingang in Mitteleuropa zu unterstützen.
Durch die neue Politik von Barack Obama scheinen die Radargegner in Tschechien nun wieder Aufwind zu bekommen. Guter Dinge war etwa Kommunistenchef Vojtěch Filip vor einer Woche auf einer Kundgebung in Prag:
„Ich vertraue darauf, dass die neue US-Administration mit uns auf solide, demokratische und bürgernahe Weise kommunizieren wird – ganz anders, als die Demokratische Bürgerpartei in Tschechien das tut. Ich vertraue darauf, dass wir klare Antworten bekommen, und nicht nur leere, lügenhafte Phrasen.“
Doch nicht nur die Kommunisten lehnen die Errichtung des US-Radars in Mittelböhmen ab. Auch die Sozialdemokraten, die stärkste Oppositionspartei, sind dagegen. Und selbst innerhalb der tschechischen Regierungskoalition, insbesondere bei den Grünen, finden sich kritische Stimmen. Erst am Mittwoch ist es Grünen Abgeordneten gelungen, gemeinsam mit der linken Opposition die Ratifizierung der Stationierungsverträge mit den USA von der Tagesordnung des Parlaments zu streichen. Außenminister Karel Schwarzenberg, der die Radaranlage unterstützt, dürfte damit wenig Freude haben:„Ich wäre sehr froh, wenn wir die Verträge ratifizieren könnten. Wenn das einmal erledigt ist, dann hätten wir eine Ausgangsposition, um gemeinsam mit den USA und Polen auch Verhandlungen mit Russland aufzunehmen“, so der parteilose Schwarzenberg, den einst just die Grünen ins Amt gehievt hatten.
Die Bevölkerung ist laut Umfragen skeptisch: Zwei Drittel der Tschechinnen und Tschechen sprechen sich gegen die Radaranlage aus. Ob diese also jemals gebaut wird, nachdem sich nun auch in Washington die politischen Vorzeichen geändert haben? Der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Senat, Ex-Außenminister Jiří Dienstbier, hat da so seine Zweifel – nicht zuletzt auch wegen der angespannten Budgetsituation in den USA:
„Möglicherweise wird die weltweite Finanzkrise als Vorwand dafür dienen, dass man die ganze Sache in irgendeine Schublade steckt, aus der sie sich nur schwer wieder hervorholen lässt“, so Dienstbier, der im tschechischen Senat der sozialdemokratischen Fraktion angehört.
Die britische Tageszeitung The Times hatte bereits vergangene Woche berichtet, das Raketenabwehrsystem würde die USA vier Milliarden Dollar pro Jahr kosten. Und noch einen Grund hätte Obama, die Sache vorerst einmal auf Eis zu legen, meint das Londoner Blatt: Die Pläne zur Stationierung des Systems würden die Wiederaufnahme von Abrüstungsverhandlungen mit Moskau behindern, die in der Nachfolge des START-Abkommens aus dem Jahr 1991 eine weitere Begrenzung der Atomwaffenarsenale in den USA und Russland bringen sollen. Petr Kolář, der tschechische Botschafter in Washington, wies derlei Überlegungen am Mittwoch aber zurück:„Da gibt es eine Menge kreativer Leute, die Obama und seinen Mitarbeitern solche Konstruktionen in den Mund legen. Ich habe derzeit keine offiziellen Informationen darüber, die diese Zeitungsberichte belegen würden. Ich kann also solche Spekulationen nicht bestätigen, nichts dergleichen ist offiziell gesagt worden.“
In dasselbe Horn stieß auch Premierminister Mirek Topolánek:
„Da ist wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens. Ich glaube jedenfalls, dass man auch im Rahmen von Abrüstungsverträgen über die Lösung verhandeln kann, die ich bevorzugen würde: nämlich eine Zusammenarbeit der USA und Russlands im Rahmen einer gemeinsamen Raketenabwehr.“
Kann man aber tatsächlich beides haben? Abrüstungsverhandlungen mit Moskau und gleichzeitig ein Raketenabwehrsystem, das Moskau bisher vehement abgelehnt hat? Nein, meint Lubomír Zaorálek, Sozialdemokrat und stellvertretender Vorsitzender des tschechischen Abgeordnetenhauses:
„Wenn Sie Rüstungspotential liquidieren, dann können Sie nicht gleichzeitig Raketenabwehrsysteme bauen. Denn das, was offensiv oder defensiv ist, das ist heutzutage sehr relativ.“
Ob also in den Wäldern Mittelböhmens jemals eine amerikanische Radaranlage stehen wird, weiß derzeit vermutlich niemand. Der für seinen Pragmatismus bekannte Karel Schwarzenberg tippt zumindest einmal auf einen Aufschub. Denn dass man angesichts der Finanzkrise erstmal sparen würde, das sei keine Überraschung, meinte Schwarzenberg am Wochenende in München.