"Europa als Projekt 15 + 10" - eine Performance von Gisela Finger und das Konzert der Versöhnung

'Babylonische Sitzung' von Gisela Finger

"Die Versöhnung ist kein einmaliger Akt, sondern eher das Resultat einer Serie der verschiedensten Kontakte auf verschiedenen Ebenen". Dies erklärte der stellvertretende Senatspräsident Jan Ruml anlässlich des "Konzertes der Versöhnung", das am vergangenen Samstag vom Sudetendeutschen Büro in Prag organisiert wurde. Mehr über die Veranstaltung erfahren Sie in der Sendereihe "Begegnungen" von Martina Schneibergova.

'Babylonische Sitzung' von Gisela Finger
"Europa als Projekt 15+10" war das Motto der Performance von Gisela Finger, in deren Mittelpunkt eine Installation mit dem Titel "Babylonische Sitzung" stand. Die künstlerische Umsetzung des Projektes spielte sich in den Räumlichkeiten der Katholischen Mädchenschule gleich neben der Prager Karlsbrücke ab. Bestandteil der Performance war ein begleitender Text über Europa sowie eine Tonaufnahme mit allen Sprachen der EU-Länder. Ich fragte die Künstlerin danach, ob die Performance speziell für Prag vorbereitet wurde:

"Ich habe diese ´Babylonische Sitzung´ kreiert, als ich mit einer Gemeinde von ungefähr 8.000 Personen ein europäisches Feld kreiert habe. Vorne liegt die Mappe. Ich war erstaunt, wie aktiv diese Gemeinde an diesem Projekt mitgearbeitet hat. Nachdem ich alles - sowohl den Körper in Form von Skulpturen, als auch die Sprache in Form der europäischen Amtssprachen - thematisiert habe - war erstaunlicherweise sehr viel aus dieser Gemeinde abzudecken. Die ersten zwölf Amtssprachen waren aus dieser kleinen Gemeinde abzudecken. Dadurch entstand eigentlich - das war 2001 - meine erste Tonaufnahme mit diesen Amtssprachen. Dann habe ich natürlich aufgrund dessen sehr engagiert recherchiert, wie die Sprachen klingen, wie die Sprachen sich in Europa entwickelt haben. Das ist eine Recherche der letzten vier Jahre, und durch die EU-Osterweiterung habe ich noch mal neue Sprachen kennen gelernt, und dann dachte ich, das ich das babylonische Sprachgewirr wieder irgendwo zeigen muss. Fünfzehn von diesen Schablonen von meinem geliebten Babylonien gab es schon. Ich musste noch zehn dazu machen, und dann war für mich der Osten ein Anhaltspunkt, dort den Anfang zu machen. Ich hoffe, dass es eine Rundreise sein wird, sodass ich in Malta, in baltischen Ländern ebenfalls eine babylonische Sitzung machen werde und vielleicht noch mehr dazu. Ich hoffe, dass sich noch Künstler anschließen, die mir mit einem europäischen Feld in diesen drei Dingen (die Skulptur, die Sprache und das Bild) mithelfen. Ich komme aus der Malerei, die Maler möchte ich auch mit aufrufen, Europa zu verdolmetschen."

Gisela Finger
Ist es mit dieser erweiterten Sitzung jetzt in Prag eine Premiere?

"Ja, das ist die Premiere, es sind noch zehn Schablonen dazu gekommen. Sie sehen alle gleich aus, bis auf einige, die den Victory-Zeichen haben. Das sind die Länder, die mit dem Euro arbeiten. Deswegen hängt da auch die Euro-Ikone. Bevor Euro Zahlungsmittel wurde, machte ich es zur Ikone - das sind Euroscheine, digital entfremdet. Dazu gibt es eine gedankliche Skizze, die in einer kleinen Broschürenform zu erlesen ist."

Rechnen Sie damit, dass die Installation nun auch in anderen Ländern gezeigt wird oder dass sich jemand dadurch inspiriert fühlen wird und sich anschließt?

Südmährische Sing- und Spielschar aus Stuttgart und Jan Ruml  (rechts)
"Natürlich kommt so etwas nicht von alleine. Die Kunst hat keine Lobby, man muss bei den Leuten anklopfen. Ich habe vor, die zehn neuen Länder bei den offiziellen Stellen anzuklopfen, aber auch in eigener Regie und Verantwortung Künstler zu finden, die sich mit mir zusammentun und jeder in seiner Art und Weise das gemeinsame Europa thematisiert."

Haben Sie selbst eine besondere Beziehung zu Böhmen, bzw. zu Prag?

"Ja, meine Eltern sind Sudetendeutsche. Mein Vater lebt nicht mehr, kurz bevor er starb - das war 1993 - habe ich eigentlich so ein wenig Hintergrund bekommen. Die Stadt Prag war für mich nicht fremd, weil ich lange in München lebte und 1968 auch hier war. Ich habe damals dieses politische Debakel persönlich miterlebt. Das ist meine Verbindung. Meine Eltern haben zu ihrer Heimstadt keine Verbindung, meine Mutter möchte sie nicht sehen, weil die Stadt Brüx (Most) auf Braunkohle gebaut ist, und die ursprüngliche Stadt gibt es nicht mehr. Ich fühle mich als Europäerin schon mein ganzes Leben lang. Ich denke, dass ich von Prag den Auftritt bekommen habe. Die Stadt ist wunderbar, ich liebe diese Stadt. Ich möchte die Menschen kennen lernen, sodass es weiter in der EU für mich die Möglichkeit gibt, diese Präsentation zu zeigen."

Südmährische Sing- und Spielschar aus Stuttgart
Dieses Lied erklang während des Konzertes der Versöhnung, das im Anschluss an die europäische Performance von Gisela Finger in der griechisch-katholischen St. Clemens-Kirche inszeniert wurde. Organisiert wurden die beiden Veranstaltungen vom Sudetendeutschen Büro in Prag. Die Südmährische Sing- und Spielschar aus Stuttgart stellte sich unter der Leitung von Wolfram Hader im Konzert mit jüdischen und tschechisch-deutschen Liedern vor. Zu hören waren u.a. Kompositionen von Viktor Ullmann und Theodor Veidl. Unter den Besuchern des Konzerts der Versöhnung waren Vertreter der Kirchen, der Prager jüdischen Gemeinde sowie tschechischer und Sudetendeutscher Organisationen.

Der stellvertretende Senatspräsident Jan Ruml, brachte ins seiner kurzen Rede die Hoffnung zum Ausdruck, dass die künftigen Generationen viel toleranter als wir sein werden. Er kritisierte diejenigen, die anderen vorwerfen, dass sie Veranstaltungen initiieren oder an Veranstaltungen teilnehmen, die zur Versöhnung zwischen den Völkern führen sollen. Es sei - so der Politiker - nicht angebracht, über einen Missbrauch des Dialogs zu sprechen. Ruml zufolge müssen die künftigen Generationen die Geschichte kennen, darüber reden und nichts verheimlichen. "Wo könnten wir weniger konfrontativ als in einer Kirche bei einem Konzert mit dem Titel 'Konzert der Versöhnung' zusammentreffen", sagte Jan Ruml. Seinen Worten zufolge soll dies symbolisieren, dass ein Dialog geführt werden muss, ob wir es wollen oder nicht - allein wegen der Zukunft.