Europawahl 2004 in Tschechien: Regional gab es riesige Unterschiede

Foto: CTK

Wie wir gerade gehört haben, lag die Wahlbeteiligung in Tschechien lediglich bei 28 Prozent. Die Tschechische Republik, angefangen bei ihrem Staatsoberhaupt Václav Klaus, hatte sich bereits im Zuge ihres EU-Beitrittes das Etikett eines Landes der Europaskeptiker und Bedenkenträger eingeholt. Warum dem so ist, weshalb es aber in der Stellung zu Europa auch krasse, regional bedingte Unterschiede gibt, darüber informiert Sie nun Lothar Martin.

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Dolní Tesice ist ein kleines mährisches Dorf im Bezirk Prerov. Will man die 37-Seelen-Gemeinde auf der Landkarte finden, muss man schon eine stark regional bezogene Mappe hervorkramen. Dieser kleine Ort hat jedoch im Juni vergangenen Jahres dadurch auf sich aufmerksam gemacht, dass alle 28 Wahlberechtigten der Gemeinde beim tschechischen EU-Referendum mit "Ja" gestimmt haben. Im zurückliegenden Jahr hat sich hier so gut wie nichts geändert, außer dass noch ein Wähler mehr in den Ort zugezogen ist. Woher also die Pro-europäische Einstellung? Dazu eine Einwohnerin:

"Nun, weil ich darin die Zukunft für meine Kinder sehe. Je besser es ihnen gehen wird, umso mehr werden sie reisen können. Und in unseren Ort wiederum werden womöglich noch mehr Leute zuziehen, wir werden ein Geschäft und eine Kneipe eröffnen, es wird einen Aufschwung geben."

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Obwohl bei 29 Wahlberechtigten pro Stunde im Schnitt nur zwei Einwohner ins Wahllokal kamen, herrschte hier bei jedem Besuch eine gute Stimmung. Kein Wunder, denn sowohl Rentner Frantisek Matousek als auch eine weitere Anwohnerin sind sich der Vorteile, die die EU-Zugehörigkeit mit sich bringt, ziemlich sicher:

"Möglicherweise bringt uns das etwas, sowohl unserem Staat als auch den Menschen".

"Ich bin mit meinen Kandidaten, die ich wählen werde, sehr zufrieden. Ich hoffe, dass sie uns dann auch sehr gut vertreten werden. Sie haben mein Vertrauen, aber wen ich wähle, das verrate ich nicht."

Weshalb man jedoch in Dolní Tesice eine eher EU-orientierte Gruppierung gewählt haben dürfte und welche Chancen sich gerade junge Leute vom gemeinsamen Europa versprechen, dazu sagte die 21-jährige Helena Hlosková:

"Es bestehen gerade für uns junge Leute viele Vorteile: Wir können mehr reisen, fremde Sprachen erlernen oder im Ausland studieren. Möglicherweise werde auch ich von diesen offenen Grenzen Gebrauch machen, denn hier im Ort leben nicht viele Gleichaltrige. Ich will es durchaus einmal in einer Stadt oder irgendwo anders probieren, aber sicher würde ich eines Tages auch wieder kommen, denn hier haben wir eine sehr schöne Landschaft."

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Von den 29 Wählern der Gemeinde wurden nur drei an der Wahlurne vermisst, womit man in Dolní Tesice wieder mit einer Wahlbeteiligung von rund 90 Prozent zu Buche schlug.

Das war in Tschechien aber eher der Ausnahme- denn der Regelfall. Vollkommen entgegengesetzt sah es in der auch nur 52 Einwohner zählenden und direkt an der Grenze zu Österreich gelegenen südböhmischen Gemeinde Zupanovice aus. Hier hatten beim vorjährigen Referendum immerhin 75 Prozent der Wähler gegen den EU-Beitritt des Landes gestimmt. Und auch diesmal bewegten sich die Europabegeisterung und damit auch die Wahlbeteiligung gegen Null. Einen Grund für die anti-europäische Haltung nennt Gemeindevorsteher Lubos Bures:

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"Das bringt uns mit Sicherheit wieder nur eine Teuerung, und das wird alles noch schlimmer. Die Leute wissen das. Demgegenüber kommen die Österreicher zu uns, kaufen unsere örtlichen Felder auf, die wir uns nicht leisten können, weil sie zudem noch höhere Subventionen und dergleichen bekommen. Sie kommen hierher und werden bald alles wegkaufen."

Ein weiterer Grund für die große Unzufriedenheit ist die hohe Arbeitslosigkeit im Ort. Die ersten größeren Ortschaften liegen bis zu 15 km und mehr entfernt, und Arbeit ist auch dort Mangelware. Vom näher gelegenen Österreich hingegen sind viele Einwohner anderweitig enttäuscht:

"Als unsere Leute nach Österreich gegangen sind, um dort zu arbeiten, da haben sie nur die Hälfte des Lohnes vom dem bekommen, den ein Österreicher für die gleiche Arbeit erhält. Jeder, der dorthin gegangen ist, hat gemerkt, dass man ihn nur ausnutzen will. Einige haben es probiert, doch mehr als eine Arbeitssaison hat man ihnen ohnehin nicht genehmigt."

Und so ist es schon paradox, dass die Einwohner der tschechischen Orte, die am nächsten zur Grenze mit einem altbewährten EU-Staat angesiedelt sind, von einer weitaus größeren EU-Verärgerung geprägt sind als so manche Ortschaft tief im Inland. In Zupanovice jedenfalls traten immerhin noch 12 von 35 Wahlberechtigten an die Abstimmungsurne. Ähnlich enttäuschend sah es im nordböhmischen Hradek nad Nisou/Grottau aus, wo am 1. Mai noch die großen Feierlichkeiten zum tschechisch-polnischen EU-Beitritt im Dreiländeeck stattgefunden haben. In der 8000-Einwohnerstadt gab nur jeder sechste Einwohner bei der Europawahl seine Stimme ab.