Ex-Minister Seiters erinnert sich: Im Spätsommer 89 wurden auch viele Gebete gesprochen

Rudolf Seiters (Foto: Sigismund von Dobschütz, Wikimedia CC BY-SA 3.0)

Die Deutsche Botschaft in Prag sperrt am Donnerstag ihre Pforte ganz weit auf: zum Tag der offenen Tür begrüßt sie all jene, die schon immer Mal einen Blick in das Innere des Hauses – das historische Palais Lobkowicz und dessen prächtige Gartenanlage – sowie in die Mechanismen des Diplomatenalltags werfen wollten. Die Tür im besten Sinne des Wortes weit offen hatte die Botschaft indes schon vor 25 Jahren: im Spätsommer 1989, als Tausende DDR-Flüchtlinge hier ihre Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland erzwangen. Ein historisches Ereignis, das auch ein Schwerpunkt beim Tag der offenen Tür ist.

Für die meisten Deutschen hat er sich tief in ihr Gedächtnis eingegraben – der Jubelschrei der zunächst rund 5000 DDR-Flüchtlinge, als ihnen der damalige bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher vom Balkon der Prager Botschaft die ungehinderte Ausreise nach Westdeutschland zusicherte. Minister Genscher war aber nicht allein nach Prag gekommen. Fest an seiner Seite stand auch der ehemalige Kanzleramtsminister Dr. Rudolf Seiters. Heute ist Seiters Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Aus Anlass des bevorstehenden Jubiläums der Ereignisse von 1989 ist der ehemalige Kanzleichef von Bundeskanzler Helmut Kohl indes dieser Tage gern zu Besuch nach Prag gekommen. In seinen Erinnerungen an die aufregende Zeit vor 25 Jahren spielt zunächst auch der Ständige Vertreter der DDR in Bonn, Horst Neubauer, eine Rolle:

Hans-Dietrich Genscher | Foto: Radio Prague International
„An dem 30. September habe ich gemeinsam mit Hans-Dietrich Genscher in meinem Büro im Kanzleramt ein Gespräch geführt mit Herrn Neubauer. Nach den üblichen Angriffen auf die Bundesregierung wegen – nach DDR-Interpretation – Verletzung internationalen Rechts, erklärte uns Neubauer, die DDR-Führung sei in einem einmaligen humanitären Akt bereit, der Ausreise zuzustimmen. Es wurden dann die Dinge besprochen, dass Genscher und ich nach Prag fliegen in Abstimmung mit dem Bundeskanzler. Herr Neubauer hatte uns dann noch gesagt, die DDR stimme zu, dass der Außenminister und ich auf den beiden ersten Zügen mitfahren könnten. Das heißt also, wir wussten als wir nach Prag flogen, dass wir hier den Menschen die Ausreisefreiheit verkünden und auch versprechen können. Wir wollten ihnen allerdings durch unseren Flug auch die Sicherheit geben, dass sie ohne Gefährdung ihrer Freiheit die Botschaft verlassen können.“

Rudolf Seiters  (Foto: Sigismund von Dobschütz,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Danach stellte sich Rudolf Seiters auch einigen Fragen von Radio Prag:

Herr Seiters, wie oft sind Sie in den letzten 25 Jahren von Bürgern angesprochen worden auf die damaligen Ereignisse hier in Prag?

„In den ersten Jahren danach sehr, sehr häufig. Ich war ja als Politiker damals auch sehr aktiv, erst als Kanzleramtsminister und danach als Innenminister. Es gab viele Dinge, über die die Fernsehanstalten berichteten, man kannte mich also. Von daher hat es eigentlich ständig Begegnungen gegeben, sowohl im Urlaub als auch auf den Straßen von Bonn oder bei Veranstaltungen, die ich durchgeführt habe. Das ist natürlich im Laufe von 25 Jahren dann auch ein bisschen weniger geworden, aber es gibt immer noch einige, die mich ansprechen.“

Und was sagen Sie den Leuten dann immer? Gibt es vielleicht einen prägenden Moment, den Sie besonders gern schildern?

Wiedervereinigung Deutschlands  (Foto: Lear 21,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
„Nein, es ist so: Die Menschen, die mich angesprochen haben, wollten mich gar nicht in Anführungszeichen belästigen mit langen Diskussionen. Sie wussten, dass ich entweder im Urlaub bin oder ich habe noch etwas anderes zu tun. Sie wollten vielmehr nur sagen: Wir haben Sie nicht vergessen, und wir danken Ihnen. Und darüber habe ich mich dann natürlich gefreut.“

Sind Sie denn heute nicht auch sehr stolz darüber, dass Sie an einem solchen Meilenstein der deutschen Geschichte quasi mitgewirkt haben?

„Es ist doch ein Glücksfall für einen Politiker, wenn er in eine solche Situation kommt. Ich bin im April (1989) Kanzleramtsminister geworden, und wenige Monate später geht das hier los in Europa und in Ostdeutschland. Und man ist selbst in gestalterischer Funktion mit dabei. Daher waren die ganzen Wochen und Monate damals erfüllt von ständigen Gesprächen und der Frage: Was machen wir? Ich glaube, dass in dieser Zeit auch viele Gebete gesprochen wurden.“

Aber es hat sich gelohnt?

„Ja.“


Abmod.: Der historische Moment, an dem die erste Welle mit DDR-Flüchtlingen in der Prager Botschaft der Bundesrepublik ihre Ausreise bewilligt kam, war am 30. September 1989. Aus diesem Anlass wird Radio Prag in den nächsten Wochen noch mehrfach auf die Prager Ereignisse von vor 25 Jahren zurückkommen.