Botschafter: Rolle eines Vermittlers zwischen EU und Russland ist für Berlin nun nicht vorstellbar
Die Welt ist zunehmend polarisiert, und wir müssen alles dafür tun, dass sowohl Deutschland als auch Tschechien weiter auf der Seite der demokratischen Werte stehen und die Bürger mitgehen. Das sagt der tschechische Botschafter in Berlin, Tomas Kafka. RPI hat mit ihm anlässlich der Botschafter-Jahreskonferenz in dieser Woche in Prag gesprochen.
Herr Kafka, Sie sind seit zwei Jahren als tschechischer Botschafter in Berlin tätig. In dieser Zeit hat sich vieles ereignet, sowohl in Deutschland, als auch in Europa. In Deutschland gab es vor allem den Wechsel im Bundeskanzleramt im vergangenen Jahr. Wie haben Sie diesen Umbruch miterlebt? Hat sich damit auch die Tschechien-Politik Deutschlands verändert? Beziehungsweise gibt es überhaupt eine Tschechien-Politik der Bundesrepublik Deutschland?
„Es wäre wahrscheinlich zu oberflächlich, das Geschehen in Deutschland nur auf den Wechsel im Bundeskanzleramt zu reduzieren. Meine zwei Jahre wurden dadurch dominiert, dass alles im ersten Jahr mehr oder weniger von der Corona-Pandemie in den Schatten gestellt wurde und jetzt im zweiten Jahr von Wladimir Putin. Zwischendurch gab es auch den demokratisch vollzogenen Politikwechsel. Davon hatte sich die Bundesrepublik sehr viel versprochen. Aber es hat sich herausgestellt, dass das, was jenseits der Bundesrepublik passiert, größer ist als das, was in der Bundesrepublik passiert. Tschechien und die deutsch-tschechischen Beziehungen sind in diesem Panoramabild für uns selbstverständlich eine wesentliche Komponente. Ich glaube, wir sind für die deutsche Seite nicht selten so etwas wie unsichtbare Alliierte. Das wäre vielleicht nicht so schlimm, wenn man es daran messen würde, dass man auch ein sichtbarer Troublemaker sein könnte. Auf der anderen Seite wäre es, gerade in einer Zeit, in der große Veränderungen in der ganzen Welt passieren, für uns auf der tschechischen Seite wichtig, nicht nur ein Geheimtipp in Berlin zu sein, sondern auch eine größere Wahrnehmung erfahren zu können. Daran haben wir noch zu arbeiten.“
„Wir sind für die deutsche Seite nicht selten so etwas wie unsichtbare Alliierte.“
Im Februar kam die sogenannte Zeitenwende, wie Bundeskanzler Olaf Scholz die Aggression Russlands gegen die Ukraine und alles, was danach folgte, bezeichnet hat. Wie werden die tschechisch-deutschen Beziehungen durch diese Zeitenwende und den Ukraine-Krieg, die Notwendigkeit, das Verhältnis zu Russland neu zu definieren, geprägt?
„Ich glaube und ich mache kein Hehl daraus, dass vor dem 24. Februar die Welt sozusagen noch im Sog der Nachkriegszeit erfasst war. Das hieß, man wollte und sollte aus der Vergangenheit lernen. Und die Bundesrepublik war – zumindest in den jüngsten 30 Jahren – jemand, auf den man hören sollte. Denn die Welt, wie sie sich entwickelte, war mit einer deutlichen deutschen Spur versehen. Durch die Zeitenwende sind wir jetzt allerdings – wie Iwan Krastew sagt – in einer neuen Zeitrechnung angekommen. Vielleicht ist es nicht mehr eine Post-War-Situation, sondern eine Pre-War-Situation. Selbstverständlich wollen wir alle hoffen, dass es zu keinem Weltkrieg kommen wird. Aber was nun anders ist: Wir sollen jetzt nicht unbedingt aus der Vergangenheit lernen, sondern wir müssen die Gegenwart richtig verstehen und auch ganz unvoreingenommen einsehen, mit wem wir kooperieren sollen, um einen eventuellen Krieg abzuwenden. Da sehe ich gerade Russland als eine Herausforderung. Es ist jetzt nicht mehr die Frage, wie man auf Russland zugehen sollte – ob eher mit der deutschen Perspektive des Wandels durch Handel oder durch die polnische Perspektive, dass man Russland nach Möglichkeiten auf Abstand halten sollte. Ich glaube, wir sind inzwischen in einer Konstellation angekommen, in der West- und Mitteleuropa durch die Aktivitäten von Wladimir Putin jetzt einen ähnlichen Blickwinkel gegenüber Russland einnehmen. Es ist noch nicht absehbar, wie lange wir uns selbst eine gewisse Russland-Diät verpassen sollen: Aber wir sollten zumindest einen Zustand erreichen, in dem Russland uns ökonomisch und auch sicherheitspolitisch genauso egal ist, wie wir mit unseren Interessen als Westen Russland egal sind.“
„Wir sollen jetzt nicht unbedingt aus der Vergangenheit lernen, sondern wir müssen die Gegenwart richtig verstehen und auch ganz unvoreingenommen einsehen, mit wem wir kooperieren sollen.“
Deutschland war in der Vergangenheit bereit, mit Russland zu verhandeln. Denken Sie, dass sich diese Perspektive verändert hat? Verfolgen Sie in der deutschen Gesellschaft und Öffentlichkeit eine Entwicklung?
„Ja sicher. Aber es ist selbstverständlich etwas anderes, was in Berlin und was in Prag gedacht wird. Ich glaube, aus der russischen Perspektive ist viel wesentlicher, wie sich Berlin gegenüber Russland positioniert. Demzufolge hat Deutschland potentiell auch größere Einflussmöglichkeiten auf Moskau als wir. Andersherum sind die Ernüchterung und die Enttäuschung so enorm, dass auch diese Rolle eines Vermittlers zwischen der EU und Russland im Moment für Deutschland nicht vorstellbar ist. Wir haben erreicht – oder Wladimir Putin hat uns eigentlich dazu gebracht –, dass wir jetzt sehr geschlossen sind. Unsere Aufgabe ist auch angesichts unserer EU-Ratspräsidentschaft, diese Geschlossenheit möglichst fest und lange zu halten – oder zumindest so lange, wie es notwendig sein wird.“
„Wladimir Putin hat uns dazu gebracht, dass wir jetzt sehr geschlossen sind. Unsere Aufgabe ist auch angesichts unserer EU-Ratspräsidentschaft, diese Geschlossenheit möglichst fest und lange zu halten.“
Ein ganz konkreter Schritt in den bilateralen Beziehungen war der Besuch des tschechischen Premiers Petr Fiala im Mai in Berlin. Können Sie auf die Verhandlungen zurückblicken? Was bedeutet die Vereinbarung über den Waffen-Ringtausch?
„Ich kann generell sagen, dass der Besuch zwei Standbeine hatte. Auf der einen Seite der Ringtausch, das heißt die Unterstützung für die Ukraine mit schweren Waffen. Andererseits war es die verstärkte Kooperation und Solidarität im Bereich der Energieversorgung. Ich würde sagen, dass im Bereich der Waffenlieferungen die führende Rolle auf der tschechischen Seite lag, da waren wir inspirierend. Denn wir hatten noch Restbestände alter sowjetischer oder osteuropäischer Waffentechnik verfügbar, mit der die ukrainischen Soldaten zu dem damaligen Zeitpunkt noch viel besser unterwegs sein konnten als mit der neuen Technik. Die deutsche Seite wusste noch nicht genau, wie weit man mit der Unterstützung und mit den Lieferungen der Waffen gehen darf. So war Berlin sehr zufrieden, dass wir diesen Tauschring gemeinsam erdenken konnten. Wir waren nicht die ersten, aber unter den ersten, die angeboten haben, Teile unserer Bestände an die Ukraine abzugeben. Und dafür bekommen wir von der Bundeswehr eine Technik, die schon jetzt verfügbar ist, sowie das Anrecht, neueste Technik später zu kaufen.“
„Der Besuch des tschechischen Premierministers in Berlin war nicht so symbolisch, aber dafür war er sehr effizient.“
In dem Bereich der Energieversorgung sei wiederum Berlin aktiver vorangeschritten, sagt Kafka.
„Sie haben ganz genau berechnet, wann und wieviel Energie man höchstwahrscheinlich Ende des Jahres ersetzen müsse, sollten die russischen Gasimporte austrocknen. Und da wurden wir beraten, wie wir etwa mit der Kapazität der LNG-Terminale vorgehen sollten. Der Besuch des Premierministers kam zwar nicht so zeitnah, wie man es gerne haben wollte. Er war nicht so symbolisch, da beide Regierungen schon nahezu ein halbes Jahr im Amt waren. Aber dafür war er sehr effizient. Ich glaube, gerade in den heutigen Zeiten kann die Effizienz manchmal wichtiger sein als die Symbolik.“
Die Energiesicherheit war auch eines der Hauptthemen der Auftakt-Rede von Petr Fiala beim Jahrestreffen der Botschafter in Prag am Montag. Er hat Sie, die Botschafter aufgefordert, nach neuen Möglichkeiten und Wegen im Energiebereich zu suchen. Wo sehen Sie als Botschafter in Deutschland Ihre Möglichkeiten in diesem Bereich?
„Wichtig ist, dass wir als Botschaft behilflich sind bei der Kommunikation der Krise. Und auch bei der Sicherstellung einer gewissen Akzeptanz seitens der Öffentlichkeit.“
„In den deutsch-tschechischen Beziehungen ist die Rolle der Botschaft nicht so prominent. Der Industrieminister Síkela ist gut befreundet mit seinem Gegenüber, mit dem deutschen Wirtschaftsminister Habeck. Unsere Vermittlung ist nicht dringend notwendig. Aber wichtig ist, dass wir als Botschaft behilflich sind bei der Kommunikation des Problems. Und auch bei der Sicherstellung einer gewissen Akzeptanz seitens der Öffentlichkeit. Es kommt jetzt nicht nur darauf zu sagen, dass wir in eine Krise geraten sind, für die jemand anderer verantwortlich ist – wir wissen, wer das ist. Im Herbst werden die Leute vielleicht Notsituationen erleben, und dann könnte es nicht so akzeptiert werden wie jetzt in den Sommermonaten sein. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir darüber nachdenken, wie man Einsparungen erreichen könnte und wie wir uns gegenseitig inspirieren können, auch bei anderen Maßnahmen als nur bei der Suche nach Lieferanten. Wir sind uns einig, dass die EU möglichst koordiniert vorgehen sollte: Es ist viel besser, wenn die EU als Kunde mit den potentiellen Lieferanten spricht, und nicht die einzelnen Länder. Es ist eine ähnliche Situation wie bei der Beschaffung der Corona -Impfungen, als die EU viel bessere Deals als die jeweiligen Länder aushandeln konnte.“
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz wird Ende August Prag besuchen. Was kann man von diesem Besuch erwarten?
„Wir haben jetzt auch eine Wahl: Entweder werden wir unser System und unsere Werte verteidigen oder auf einen kurzfristigen Vorteil abzielen.“
„Die Vorbereitung ist noch nicht abgeschlossen. Ich als Privatperson würde hoffen, dass wir jenen Weg weitergehen, den wir im Mai eingeschlagen haben. Denn die Welt wird zunehmend vor der Situation stehen, dass man sich den Partner wirklich gut auswählen sollte und eine Partnerschaft auch bestimmte Kosten aufweist. Wenn wir von Solidarität reden, müssen wir wissen, dass wir diese nicht nur einfordern, sondern auch bereit sind, gemeinsame Lösungen mitzutragen. Das war in der Vergangenheit sehr häufig Thema, aber nie so brisant wie heute. Ich hoffe, dass wir uns gerade in den Bereichen der Vermittlung der Lage sowie der Festigung der demokratischen Grundsätze unserer Gesellschaften gemeinsam unterstützen. Ich sage es ein bisschen poetisch: Es gab Zeiten – etwa um 2010 –, als Timothy Snyder schon eine Zeitenwende in Russland) verspürt hatte. Als Putin eingesehen hatte, dass Russland nie wieder zum Westen gehören werde, und er alles dafür tun wolle, dass der Westen so wie Russland sein werde. Das bedeutet für mich, dass für Russland der kurzfristige Vorteil wichtiger ist als das Gemeinwohl. Wir haben jetzt auch eine Wahl: Entweder werden wir unser System und unsere Werte verteidigen oder auf einen kurzfristigen Vorteil abzielen. Das könnte das System aber auch untergraben. Wenn wir mit Russland oder mit anderen Staaten, die uns gefährlich sein können, jetzt kurzfristig Sonderdeals machen, werden wir vielleicht in ein paar Jahren aus dieser Lage herausfinden, ohne dass etwas passiert. Ich glaube aber, so einfach ist es nicht. Die Welt ist zunehmend polarisiert, und wir müssen alles dafür tun, dass sowohl Deutschland als auch Tschechien weiter auf der Seite unserer Werte stehen und dass wir uns soweit helfen werden, wie die Bürger mitgehen.“