Experten-Urteil: Tschechien steht vor keinem Staatsbankrott, aber...
In der Eurozone reißen die Negativ-Schlagzeilen über die kritische Haushaltslage einiger Mitgliedsländer nicht ab. „Die Angst geht um - Wer ist der nächste?“, titelten einige Tageszeitungen aufgrund des Staatsbankrotts in Griechenland oder der Finanzprobleme in Spanien. Angesichts dieser Szenarien malen auch in Tschechien einige Politiker und Ökonomen bereits den Teufel an die Wand. Zu recht oder nur übertrieben populistisch?
Wenn man den in diesem Jahr stark defizitären Staatshaushalt noch weiter belaste, dann drohe auch Tschechien sehr bald die Pleite. So warnte neulich Finanzminister Eduard Janota. Er reagierte damit auf sozialpolitische Wahlversprechen der Sozialdemokraten, die diese nach einem möglichen Sieg in den Parlamentswahlen im Frühjahr einlösen könnten. Der „Fall Griechenland“ dient folglich als Drohkulisse und Wahlkampfmunition zugleich. Von Angst kann in Tschechien zwar keine Rede sein, doch die Verunsicherung ist groß, ob das eigene Land nicht schon vor einer ähnlichen Talfahrt stehe. Just diesem Thema widmete das Tschechische Fernsehen (ČT) dieser Tage eine komplette Ausgabe seiner neuen Diskussionssendung „Hyde Park“, in der der ehemalige Finanzminister und heutige Berater der Investmentbank Goldman Sachs, Vladimír Dlouhý, Rede und Antwort stand. Zuvor aber wurden noch weitere Wirtschaftsexperten befragt:
„Ein Staatsbankrott droht uns in naher Zukunft sicher nicht, doch es ist immer möglich, dass man schnell in diese Richtung abrutschen kann. Und dann ist eine ebenso schnelle Reaktion aller Politiker gefragt“, sagte der Direktor der Prager Börse, Petr Koblic.
Eine etwas differenzierte Meinung hat der ehemalige Finanzminister und heutige Chefökonom der Raiffeisenbank in Tschechien, Pavel Mertlík:„Tschechien hat eine ziemlich robuste Wirtschaft, bis vor kurzem auch relativ stabile öffentliche Finanzen, und die Gesamtschuldenlast von rund 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ist im internationalen Vergleich sehr niedrig. Das alles spricht gegen einen baldigen Staatsbankrott. Wichtig aber ist natürlich, wie sich die zukünftige Regierung der Aufgabe stellen wird, das Defizit im Staatsbudget in den Griff zu kriegen, das durch die gegenwärtige Rezession entstanden ist.“
Karel Schwarz vom Liberalen Institut wiederum hebt warnend den Zeigefinger:
„Falls die Politik keine ausreichenden und angemessenen Maßnahmen ergreift, dann kann es innerhalb von zwei bis vier Jahren zu einem kritischen Stand der Staatsfinanzen kommen.“Ex-Finanzminister Vladimír Dlouhý schließt sich im Wesentlichen der Meinung von Mertlík an:
„Pavel Mertlík hat es am treffendsten beschrieben, denn unsere Wirtschaft ist in der Tat robust. Aus diesem Grund droht uns gegenwärtig keine Pleite, auch wenn das Defizit in unserem Staatshaushalt im Jahr 2009 merklich angewachsen ist. In den Jahren 2010 und 2011 wird zwar auch die öffentliche Verschuldung im prozentualen Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt ansteigen, doch im Vergleich zur Mehrzahl der EU-Länder liegen wir auch da weiter in einem annehmbaren Bereich.“
Dlouhý blickt zugleich nach vorne und stellt klar:
„Aber, und das ist der Einwurf, es muss nicht so bleiben. Darüber macht hierzulande auch niemand mehr ein Geheimnis, denn es stehen Wahlen an. Und da wird mehrfach befürchtet, dass die neue Regierung die Beschränkungen durch die Staatsfinanzen außer Acht lässt und stattdessen sehr schnell einige soziale Zuwendungen durchsetzen könnte. Das ist insbesondere dann gefährlich, wenn damit nicht längst überfällige Reformen einhergehen. Das sind zum Beispiel die Renten- und die Gesundheitsreform, zwei Evergreens, die bislang nicht vollzogen wurden und weswegen der Haushalt weiter unnötig belastet ist. In diesem Fall könnte es passieren, dass aus unserer robusten, stabilen Situation von heute in zwei, drei Jahren eine kritische Situation entsteht. Ich glaube jedoch, dass die neue Regierung, egal wie sie sich zusammensetzen wird, eine vernünftige Politik betreiben wird. Dann wird uns auch kein Einbruch drohen.“Das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Politiker ist jedoch stark gesunken. In der Fernsehdiskussion wurde deutlich, dass vor allem junge Menschen höchst unzufrieden sind mit dem Bild, das die politischen Parteien gegenwärtig abgeben. Mit anderen Worten: Man traut eigentlich keiner Partei mehr zu, dass sie vernünftig wirtschaften und die entsprechenden Schritte durchsetzen kann. Ein Bereich, der jahrelang vernachlässigt wurde, sei zum Beispiel die Bildung, monierte ein Student aus Ostrava / Ostrau. Ihm stimmte Dlouhý zu und mahnte an, dass auch in diesem Bereich eine Reform dringend notwendig sei. Dazu bemerkte er:
„Bis vor kurzem habe ich noch gedacht, dass diese Reform insbesondere im Hochschulwesen durchgeführt werden muss. Aus eigener Erfahrung weiß ich nämlich, dass unsere Grundschulen ein sehr gutes Niveau hatten. 13- bis 15-jährige Jungs und Mädchen aus Tschechien waren immer gut gebildet, und zwar viel besser als beispielsweise gleichaltrige Schüler in den Vereinigten Staaten. Zu unserem Nachteil zurückgeblieben war hingegen die Hochschulbildung. Jetzt aber beginne ich bereits zu sehen, wie auch an unseren Grundschulen das Niveau sinkt. Ich denke, dies hat unter anderem damit zu tun, dass den Grundschul-Lehrern nur sehr niedrige Gehälter gezahlt werden.“Also auch hier fehlt das Geld, oder besser gesagt: Es müsste besser eingesetzt werden. Die Debatte darüber, in welchen Bereichen mehr und zielgerichteter investiert und auf welchen Gebieten noch stärker gespart werden müsse, ist längst entbrannt. Die Meinungen gehen natürlich auseinander. Ein Bürger aus dem nordostböhmischen Lomnice nad Popelkou ist zum Beispiel der Ansicht, dass man die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte zurückfahren und den Tschechen wieder mehr Arbeitsplätze anbieten müsse. Das würde schließlich auch die sozialen Ausgaben des Staates entlasten, so der Anrufer. Finanzexperte Dlouhý erwiderte, dass er diese Sichtweise auf regionaler Ebene vielleicht noch nachvollziehen könne, doch grundsätzlich sehe er das anders:
„Das starke Wirtschaftswachstum, das wir in Tschechien von 2002 bis zum Beginn der Krise im Jahr 2008 zu verzeichnen hatten, ist letzten Endes das Ergebnis der offenen Wirtschaftspolitik, die wir geführt haben. Dazu zählen zum Beispiel die Öffnung unseres Arbeitsmarktes sowie die Aufhebung von Barrieren beim Kapital- und Warenfluss. Also alles das, was man heute mit dem fast schon gegeißelten Wort der Globalisierung in Verbindung bringt. Ich befürchte aber, wenn wir erneut den Protektionismus einführen würden und beispielsweise den Arbeitsmarkt für Ausländer wieder stark beschränken, würden wir nur kurzfristig einige Probleme lösen. Langfristig gesehen aber würde das die Tschechische Republik wieder in eine Zeit zurückfallen lassen, die wir aus einer jetzt schon über 20-jährigen Vergangenheit kennen.“Die Fernsehdiskussion zeigte auf, dass die Verunsicherung der Bevölkerung über die finanzielle Situation des tschechischen Staates ziemlich groß ist. Deshalb betonte Dlouhý abschließend noch einmal:
„Ich weise darauf hin: Uns droht gegenwärtig kein Staatsbankrott. Das aber kann sich ändern, wenn wir zwei Dinge nicht beherzigen: Zum einen müssen wir die Ausgaben in unserem Staatshaushalt künftig viel strenger handhaben. Und zum anderen müssen wir endlich die genannten Reformen durchführen. Sollten wir das mittel- und langfristig nicht tun, dann kann sich die finanzielle Situation natürlich gegenüber heute verschlechtern.“