Extremismus in Tschechien
Jahrelang kannten die Tschechen diese Bilder nur aus dem Ausland: Junge glatzköpfige Männer in Bomberjacken und Springerstiefeln, die sich zu Rockkonzerten versammelten oder trommelnd und plumpe Parolen gegen Fremde ausrufend durch die Strassen zogen. Während es in Westeuropa zu Übergriffen gegen Ausländer kam und die rechtsradikale Szene versuchte bei öffentlichen Aufmärschen ihre Stärke zu demonstrieren, schien es in Tschechien in dieser Hinsicht lange Zeit ruhig zu sein. Diese scheinbare Idylle ist nun jedoch endgültig vorbei. Rechtsextremismus in Tschechien ist auch das Thema der neuen Folge unserer Sendereihe Schauplatz. Am Mikrophon sind Robert Schuster und Jitka Mladkova.
Laut Erkenntnissen der Polizei in Deutschland, Belgien oder Schweden, ist Tschechien mittlerweile nicht nur zu einem der wichtigsten Treffpunkte von Skinheads aus ganz Europa, sondern auch ein grosser und fast uneingeschränkter Umschlagplatz für einschlägige Literatur oder CDs geworden. So wie in anderen Ländern auch, formieren sich die Neonazis hierzulande in immer besser organisierten Gruppen. Teilweise versuchen sie, wie vor einiger Zeit die Gründung des sogenannten "Nationalen Blocks" bewies, sich einen seriösen Anstrich zu verpassen und beschwören in aller Öffentlichkeit, sie wollten ihre Ziele nur mit demokratischen Mitteln erreichen. Die Polizeistatistiken zeigen jedoch genau in die entgegengesetzte Richtung und behaupten, die Gewaltbereitschaft unter tschechischen Skinheads nehme von Jahr zu Jahr zu. Auch die tätlichen Übergriffe, vor allem auf die tschechischen Roma werden immer häufiger. Die tschechische Regierung hat deshalb der rechtsextremen Szene vor Kurzem nach den Worten von Innenminister Stanislav Gross "den Krieg" erklärt. Der Minister will unter anderem verdeckte Ermittler einsetzten und die Neonazigruppen infiltrieren.
Ist es aber für solche medienwirskame Ankündigungen nicht ein wenig zu spät, lautet unsere Frage an den Politikwissenschaftler Zdenìk Zboril von der Prager Karlsuniversität, der zu den ausgewiesenen Experten auf dem Feld der Extremismusforschung in Tschechien gehört:
"Ja, so ist es. Erst vor drei Jahren hat man begonnen dem Extremismus grössere Aufmerksamkeit zu widmen. Beim Prager Polizeipräsidium und im Innenministerium wurden spezielle Teams zur Erforschung des Extremismus ins Leben gerufen. Doch die Tätigkeit der tschechischen Neonazis reicht natürlich bedeutend weiter zurück, teilweise sogar in die Zeit vor der Wende, also vor 1989. Zu einer wahren Explosion im Bereich der rassistisch motivierten Kriminalität ist es aber insbesondere Mitte der 90. Jahre gekommen. Aber nicht nur die Polizei, sondern die Politik im allgemeinen hat auf diese gefährliche Entwicklung zu spät reagiert. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass z.B. der erste tschechische Extremismus-Bericht erst 1998 präsentiert wurde.Mit Tschechien vergleichbare Länder wie Polen oder Ungarn hatten damals schon einen wichtigen Vorsprung."
Politikwissenschaftler Zboril arbeitet seit Jahren eng mit dem Prager Polizeipräsidium zusammen und erstellt Analysen der Programme von rechtsextremistischen Gruppierungen, bzw. der öffentlichen Reden ihrer Wortführer. Bei der Frage nach der Grundlage, bzw. den ideologischen Wurzeln der tschechischen Neonaziszene verweist er auf einen wichtigen Unterschied zu der Entwicklung in Deutschland:
"Bei uns ist es etwas mehr konfuser, als z.B. in Deutschland, wo man relativ genau zwischen Neofaschisten und Neonazis unterscheidet. Die Letzteren sind diejenigen, die direkt an die Ideen und Programme der nationalsozialistischen NSDAP anschliessen. Es ist interessant, dass bei uns rechtsextreme Tendenzen von der damaligen kommunistischen Staatssicherheit zum erstmals in den 50er Jahren geortet wurden - also in einer Zeit, wo man so etwas, vor allem so relativ kurz nach dem Krieg , wahrscheinlich nicht erwartet hätte. Diese vereinzelten und miteinander nicht kommunizierenden rechtsextremen Grüppchen verband vor allem der Umstand, dass sie oft von Leuten aus der Generation der Grossväter stammten, welche in der faschistischen Bewegung der ersten Tschechoslowakischen Republik mitmachten und nun dieses Gedankengut an ihre Enkelsöhne weitergegeben haben."
Als zweite ideologische Wurzel der tschechischen Neonaziszene nennt der Extremismusforscher eine Form von Antisemitismus, wie sie vor allem in Familien ehemaliger Russland-Legionäre stark vertreten war, die sich in den Jahren 1918 bis 1920 am Krieg gegen die neue bolschewistische Führung beteiligten. Für diese ehemaligen Kämpfer sei die neue russische Regierung unter der Führung Lenins nichts anderes als eine jüdische Clique gewesen, die dank einer geschickten Ausnutzung der Entwicklungen an der Kriegsfront die Macht erlangt habe, erläutert Zboril das Weltbild dieser Gruppen. Diese starke antikommunistische Akzentuierung in der Rhetorik der tschechischen Rechtsextremisten war laut Zboril vielleicht auch einer der Gründe dafür, warum vor allem zu Beginn der 90er Jahre, also kurz nach dem Fall des Kommunismus, sich im Grossen und Ganzen niemand am Inhalt der Reden der heimischen Neonazi-Führer gestossen hatte. Der Kommunismus war in den Köpfen der Menschen noch sehr stark präsent, während Remminiszenzen auf die Zeit der Nazidiktatur keine Emotionen mehr auslösten.
Die Einflüsse der deutschen Neonaziszene machten sich nach der Meinung Zborils erst später bemerkbar und es soll auch einige Zeit gedauert haben, bis sie auch wirklich Fuss gefasst hatten. Der Politikwissenschaftler führt das vor allem auf den verstärkten Kampf der deutschen Bundesregierung gegen die rechte Szene zurück, die somit gezwungen war auszuweichen etwa in die Nachbarstaaten Deutschlands. Die Folge dessen war wiederum eine stärkere Vernetzung der Gruppen aus den jeweiligen Ländern untereinander.
Wie schätzt Extremismusforscher Zboril die tschechische rechtsextreme Szene zahlenmäsig ein? Gibt es dabei irgendwelche regionalen Schwerpunkte?
"Wenn man die letzte, erst kürzlich veröffentlichte Polizeistatistik betrachtet, ob sie nun der Wahrheit entspricht oder nicht, so kann man erfahren, dass die Zahl der aktiven Rechtsextremisten auf 4 000 bis 6 000 geschätzt wird. Den harten Kern bilden demnach cca 100 bis 120 Personen. Was die regionale Fixierung dieser Gruppen angeht, so muss ich sagen, dass es ganz einfach keine gibt. Wir wissen zwar, dass hier oder da ein Rockkonzert stattfindet, wo Skinhead-Gruppen auftreten und wir wissen auch, dass es diese Veranstaltungen relativ oft in Mittelböhmen im Umkreis von Rakovník gibt.
Daraus etwas mehr schliessen zu wollen, wäre jedoch falsch. Es ist interessant, dass z.B. im Unterschied zur Lage in den neuen deutschen Bundesländern, die Neonazis hierzulande in den wirtschaftlichen Krisenregionen Tschechiens fast gar nicht präsent sind."
Die tschechische Polizei geht davon aus, dass etwa ein Drittel der Angehörigen der rechten Szene nach einer gewissen Zeit von selbst ausscheidet und ein neues Leben beginnt. Hierher gehören vor allem die jüngsten Neonazis aus der Gruppe der 15 bis 20jährigen. In den höheren Altersklassen findet man Aussteiger seltener. In der Regel gilt: Je länger man dabei ist, desto schwieriger ist es der Bewegung den Rücken zu kehren. Falls dies dann doch geschieht, kann es für die Aussteiger folgen haben, etwa wenn sie von den anderen Mitgliedern der Gruppe eingeschüchtert werden. Und gerade hier will Tschechiens Regierung verstärkt mit gezielten Reintegrationsprogrammen helfen.
Schon seit den ersten tätlichen Übergriffen von Skinheads auf Angehörige der Roma-Minderheit oder auf afrikanische Studenten Anfang der 90. Jahre steht insbesondere die Justiz unter erhöhtem Druck der Öffentlichkeit und zunehmend auch der Polik. Den Richtern wird nämlich immer wieder vorgeworfen, sie scheuen sich davor in Fällen von rassistisch und fremdenfeindlich motivierten Straftaten gegen die Täter harte Strafen zu verhängen, die einen gewissen abschreckenden Charakter hätten. Die Richter argumentieren jedoch heute genauso wie damals, dass ihnen gegenüber auf der Anklagebank meistens sehr junge Menschen Platz nehmen, bei denen jedoch noch eine gewisse Chance besteht, dass sie sich mit Hilfe gezielter psychologischer Betreuung von der schiefen Bahn wieder abbringen lassen würden. Bei einer harten Strafe und einem mehrjährigen Gefängnisaufenthalt würden jedoch die Chancen gleich Null sinken, dass diese jungen Menschen wieder in die normale Gesellschaft eingegliedert werden könnten, meinen viele Richter.
Wie beurteilt Zdenìk Zboril, der selber oft als Sachverständiger in Prozessen gegen Rechtsextremisten vor Gericht erscheint, abschliessend die Vorgangsweise der Richter in dieser recht sensiblen Frage? Lassen sich Veränderungen in ihrer Haltung feststellen?
"Ich glaube schon. Ich kann natürlich nicht einschätzen, in welchem Ausmass das für das ganze Land gilt, aber viele der Urteile, die in letzter Zeit gegen Rechtsextremisten gefällt wurden, zeigten, dass die Richter sich mit der ganzen Materie weitaus intensiver, als in der Vergangenheit befassen. Das führt dazu, und man sieht das auch in den Urteilsbegründungen, dass die Richter zu differenzieren gelernt haben und alle Umstände genau abwägen. Ich bin etwa vor zwei Wochen bei einer Gerichtsverhandlung im ersten Prager Bezirk gewesen, wo ein junger Mann angeklagt war, weil er vor zwei Jahren auf dem Wenzelsplatz bei einer Veranstaltung mehrfach seine rechte Hand zum Hitlergruss gehoben hatte. Erst mit zweijähriger Verspätung ist der Fall vor einen Richter bzw. in diesem Fall vor eine Richterin gekommen. Die Einvernahme vor Gericht und die psychologischen Gutachten haben gezeigt, dass dieser junge Mann heute ein völlig anderer und vor allem erwachsener ist als damals. Die Vorsitzende Richterin hat ihn deshalb zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Ich denke, dieses Urteil war mit Bedacht gewählt worden, es war angemessen und ich hoffe, es wird Schule machen. Früher wäre so jemand entweder freigesprochen worden, oder er wäre zu einer bedingten Hafstrafe verurteilt worden."