Familienleben in Tschechien und in der Slowakei
Willkommen zur heutigen Ausgabe der tschechisch-slowakischen Begegnungen, die wir regelmäßig in Zusammenarbeit mit unseren Kolleginnen und Kollegen von Radio Slowakei International vorbereiten. Das gemeinsame Thema lautet diesmal: Die Familie in Tschechien und in der Slowakei.
Die ungünstige ökonomische Lage und allgemeine soziale Unsicherheit sind die häufigsten Beweggründe, warum junge Leute in der Slowakei mit der Familiengründung zögern. Allerdings gibt es auch solche, die sich die Kinder "leisten" könnten, die aber - meistens wegen guter Karriereaussichten - auf sie vorerst verzichten. Die Geburtenrate geht zurück. Laut Statistik sind im Jahr 2001 zum erstenmal in der Geschichte der Slowakei mehr Menschen gestorben als geboren. Dennoch gehört die Familie immer noch zu den wichtigsten Stellenwerten der Slowaken. Miriam Varsová von Radio Slowakei International berichtet:
Kinderreiche Familien waren bei vorigen Generationen der Slowaken üblich. Heute, wenn die Geburtenrate zurückgeht, sind sie eher eine Seltenheit, aber es gibt sie stets. Sie haben sogar ihren eigenen Klub, in dem z. Z. rund 200 Familien aus der ganzen Slowakei vereinigt sind. Mindestens 4 Kinder, lautet die Bedingung für die Mitgliedschaft. Erstaunlicherweise sind die Eltern dieser Familien meistens Menschen mit Hochschulbildung. Dies widerlegt den Vorurteil, dass nur assoziale Menschen mehr Kinder haben. Der Klub der kinderreichen Familien wurde schliesslich auch von einem Ehepaar gegründet, wo beide Partner den Titel des Diplomingenieurs haben: Stanislav Trnovec mit seiner Frau Jana sind gleichzeitig die Klubvorsitzenden und selbst Eltern von 11 Kindern, was bei weitem noch kein Rekord ist. Jana Trnovcová:
"Wir haben Informationen darüber, dass es heute in der Slowakei sogar Familien mit 16 Kindern gibt. Unter unseren Mitgliedern ist eine Familie mit 13 Kindern die kinderreichste."
Kinderreiche Familien in der Slowakei genießen keine staatlichen Vergünstigungen. Die finanzielle Last bekommen sie daher intensiver als andere Familien zu spüren. Trotzdem bereuen sie ihre Entscheidung, mehr Kinder auf die Welt zu bringen, nicht. Es ist für sie eine Frage der Prioritäten. Noch einmal Jana Trnovcová:
"An erster Stelle ist für uns die Beziehung Kinder-Eltern, erst dann kommt die Sorge für das Geld. Wir haben eine Erfahrung gemacht, dass mäßiger Mangel an materiellen Sachen den Kindern wesentlich weniger als Überschuss schadet."
Die Vertreter des Klubs der kinderreichen Familien meinen, dass die Ehegemeinschaft die beste Grundlage für die Kindererziehung sei. Diesem traditionellen Modell der Familie konkurriert etwa seit Anfang der 90-er Jahre des 20. Jh.s eine Vielfalt von "modernen" Formen des Familienlebens, wie etwa die freie Partnerschaft, offen für Kinder, doch nicht für die Ehe, behaupten die Soziologen. Zum Prüfstein der Partnerschaft zwischen Mann und Frau von heute wurde die Tatsache, dass es immer mehr ambitiöse, finanziell selbständige Karrierefrauen gibt, die erst nach ihrem 30. Lebensjahr das erste Kind bekommen wollen. Um ihre Stelle nicht zu verlieren, sind diese dann meistens nicht bereit, drei Jahre im Karrenzurlaub zu verbleiben. Dies stellt neue Ansprüche auf die Familienväter, meint Dr. Sylvia Porubenová vom Internationalen Zentrum für Familienforschung in der Slowakei:
"Es ist eine Herausforderung zum neuen Typ der Vaterschaft. Der Mann sollte einen Teil der Verantwortung für die Kindererziehung, die in der Familie meistens die Frau tragen muss, auf sich nehmen. Er sollte zeigen, dass er bereit ist, wesentlich mehr Zeit mit seinen Kindern zu verbringen, als es bisher beim traditionellen Modell der Familie der Fall war."
Soziologen befürchten, dass der Stellenwert der Familie nach dem EU-Beitritt der Slowakei schwächer wird. Der breitere Arbeitsmarkt und die damit zusammenhängende Migration der Arbeitskräfte werden sich sowohl positiv als auch negativ auf die slowakische Familie auswirken. Die langfristige Abwesenheit eines Elternteils wird laut Experten einerseits die Verbesserung des materiellen Wohlstands bedeuten, andererseits die Familienzusammengehörigkeit stören.
Wie sind die Vorstellungen der tschechischen Gesellschaft von der Familie, bzw. in wieweit sich diese Vorstellungen von der Wirklichkeit unterscheiden - dies waren die Hauptthemen tiefgreifender Untersuchungen, die vom Zentrum für öffentliche Meinungsforschung (CVVM) im Januar dieses Jahres durchgeführt und deren Ergebnisse vor kurzem veröffentlicht wurden. So herrscht nicht nur in den Vorstellungen der tschechischen Bevölkerung, sondern auch in der Wirklichkeit immer noch die eher traditionelle Haltung zur Frage der Rollenverteilung in der Familie, wo der Mann die Ernährerrolle und die Frau die Rolle der Beschützerin der Familie haben. Auch wenn in den letzten fünf Jahren bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausschließlich für Frauen-, bzw. Männerarbeiten gehalten werden, gibt es im Bereich der Kinderbetreuung, der Arbeiten im Haushalt, des Kochens und auch der Möglichkeit, einen Hobby zu haben, immer noch einen Widerspruch zwischen dem Idealstand und der wirklichen Lage, die in tschechischen Familien herrscht.
Die tschechische Gesellschaft ist liberal, was die Fragen des Partnerschaftslebens anbelangt. Was die Kindererziehung betrifft, stieg in den letzten sieben Jahren die Zahl derjenigen an, die eher eine konservative Meinung vertreten. Denn z. B. nur knapp die Hälfte der Gefragten meint, dass die Frau Kinder auch ohne Mann gut erziehen kann. Die Leiterin des Forschungszentrums CVVM, Adela Seidlova, stellte fest, während ihrer Forschungen sei sie mit ihren Mitarbeitern zum Schluss gekommen, dass man bei der Auswertung der Meinungen zwischen Partnerschaft, Ehe und Elternschaft unterscheiden muss:
Soweit die Leiterin des Forschungszentrums CVVM Adela Seidlova.