Fast die Hälfte der Tschechen bekommt keinen angemessenen Mindestlohn
Der angemessene Mindestlohn beträgt in Prag knapp 40.000 Kronen (1600 Euro). Im Rest des Landes liegt er bei fast 34.000 Kronen (1380 Euro). Die beiden Summen wurden am Donnerstag von einem Expertenteam veröffentlicht.
Wie viel sollten die Menschen in Tschechien verdienen, um unter anderem Essen, Wohnung, Kleidung und beispielsweise auch Sport- und Freizeit-Aktivitäten ihrer Kinder bezahlen zu können? Nach der Antwort auf diese Frage hat ein Team von Soziologen, Ökonomen und weiteren unabhängigen Experten gesucht. Wegen der rasanten Preiserhöhungen in letzter Zeit sinkt hierzulande der Lebensstandard vieler Menschen. Die Experten rechneten aus, wie hoch der Brutto-Monatslohn sein müsste, um die Chance auf ein würdiges Leben zu haben. Die Politologin Kateřina Smejkalová (vom Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Prag) ist Mitglied der Plattform für einen angemessenen Mindestlohn. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks sagte sie:
„Wir mussten bei der Summe, die man verdienen sollte, um ein würdiges Leben führen zu können, zwischen Prag und dem Rest des Landes unterscheiden. Denn vor allem die Wohnkosten liegen in Prag deutlich höher als in kleineren Städten oder auf dem Lande. Der Brutto-Monatslohn bezogen auf das erste Quartal dieses Jahres liegt außerhalb Prags bei 33.909 Kronen. Für Prag sind es 39.974 Kronen.“
In beiden Fällen sind es fast 3000 Kronen (rund 123 Euro) mehr als im vergangenen Jahr. Denn vor allem die Inflation hat die Summe für den angemessenen Mindestlohn nach oben gedrückt. Der gesetzliche Mindestlohn liegt im Übrigen nur bei 16.200 Kronen (rund 660 Euro). Dazu die Expertin:
„Was wir in die Summen des angemessenen Mindestlohns miteinberechnen, reicht dennoch nur für einen absolut grundlegenden Lebensstandard. Lebensmittel von besonders guter Qualität wie beispielsweise Bio-Waren oder regionale Lebensmittel haben wir da noch nicht einmal berücksichtigt. Einberechnet wurde nur der Grundverbrauch in allen Kategorien: Neben Lebensmitteln und Wohnkosten gehören dazu Kleidung, Verkehr, Gesundheit, Bildung und Freizeit. Wir haben zudem einen Puffer gelassen für Einsparungen für den Fall unerwarteter Ereignisse.“
So sollte es laut den Experten möglich sein, rund zwölf Prozent des Monatslohns zu sparen. Fünf Prozent davon sollten für einmalige und unerwartete Ausgaben bereitstehen, der Rest für Renten- und weitere Versicherungen.
Aus den Berechnungen geht hervor, dass viele Tschechen keinen angemessenen Mindestlohn bekommen. Gibt es dazu auch Statistiken? Kateřina Smejkalová:
„Dies ist schwer auszurechnen, aber die Zahl der Menschen, die keinen angemessenen Mindestlohn bekommen, bewegt sich zwischen 40 und 50 Prozent. Tschechien gehört zudem zu jenen Ländern, in denen der Unterschied zwischen der Entlohnung von Frauen und Männern groß ist. Demzufolge verdienen sogar 50 Prozent der Frauen weniger als den angemessenen Mindestlohn. Bei den Männern liegt der Anteil bei rund 40 Prozent.“