Festival Theater 2003: Klassisches Stück auf der heutigen Bühne

Zwei große, internationale Festivals sind in Tschechien dem Theater gewidmet. Im Frühling strömen Theater-Interessierte in Richtung Osten, nach Hradec Kralove (Königgrätz), dessen Theatersäle und Straßen vom Festival "Theater europäischer Regionen" gefüllt werden. Der Herbst lockt dann nach Westböhmen, nach Pilsen, wo das Internationale Festival "Theater" die Stadt und ihr Kulturleben belebt. Der 11. Jahrgang dieses Theaterfestes ist gerade vorbei. Einen Rückblick bringen nun Markéta Maurová und Gerald Schubert im nachfolgenden "Kultursalon".

Das diesjährige Pilsner Festival, das bereits zum elften Mal hintereinander stattfand, knüpfte an die vorhergehenden Jahrgänge an, war aber etwas umfangreicher als bisher. Es wurde nämlich durch einen Epilog mit dem Namen "Theater unter dem Wasser in Pilsen" ergänzt: Mit ihren Vorstellungen präsentierten sich vier Theater, die vom Hochwasser letzten Jahres am schlimmsten betroffen wurden. Damit wollte man einerseits daran erinnern, dass die Probleme dieser Theater noch gar nicht überwunden sind, sowie andererseits das Angebot tschechischer Ensembles auf dem Festival erweitern. Sonst traten in Pilsen insgesamt 26 Theaterensembles aus 11 Staaten auf. Mehr sagt uns der Festivaldirektor und Direktor des Tyl-Theaters in Pilsen, Jan Burian, den Radio Prag während des Festivals ans Mikrophon bat. Er spricht zunächst über die Themen des diesjährigen Festivals:

"Es hat zwei Themen. Das Hauptthema heißt "Das klassische Stück auf der heutigen Visegrader Theaterbühne". Wir glauben, dass dieses Thema in Theatern in ganz Europa sehr aktuell ist, denn es laufen rege Diskussionen darüber, wie mit dem sog. klassischen Theater umzugehen ist. Und das andere Thema, eine Ergänzung des ersten von der umgekehrten Seite, lautet "Das zukünftige klassische Stück auf der heutigen Bühne". Es geht um - nach Meinung des dramaturgischen Rates - qualitative Stücke der Gegenwart, die später einmal zu Klassikern werden könnten."

Das Festival bot die Möglichkeit zu vergleichen, wie verschiedene Ensembles und Regisseure an klassische Werke herangehen. War dabei vielleicht ein interessanter, gemeinsamer Trend zu sehen?

"Ich glaube, dass der interessanteste Trend in Europa gerade in der Vielfalt der Trends beruht. So wie in der Gesellschaft eine Ideenpluralität herrscht, herrscht hier auch eine ästhetische Pluralität. Es zeigt sich heute, dass man anstatt neue Theatermittel zu erfinden - was vor allem die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierte - eher das bereits Erfundene in verschiedenen Varianten und Variationen kombiniert. Gerade in dieser Vielfalt verschiedener Blicke liegt wohl der Trend."

Im Rahmen des Hauptmottos haben die Zuschauer z.B. "Die Möwe" in polnischer Interpretation gesehen, eine Inszenierung des Theaters in Danzig, die in Polen mit Hauptpreisen für Schauspielerleistungen ausgezeichnet wurde. Man sah "Sarah Kane" des slowenischen Nationaltheaters, Variationen auf den "Oidipus" des russischen Theaters in Sankt Petersburg, die als die beste Inszenierung der letzten Saison in Russland bewertet wurden, und vieles mehr.

"Bereits diese Beispiele zeigten, dass das Herangehen an das Theater äußerst mannigfaltig ist. Das Prager Kammertheater etwa spielte hier ein Gegenwartsstück in einer sehr derben Fassung, die polnische Aufführung dagegen arbeitet zwar mit modernen schauspielerischen Mitteln, behält aber eine immer noch realistische Inszenierungsweise,"

ergänzt der Festivaldirektor Jan Burian. Und wie sieht er den Stand des heutigen Theaters in Tschechien im europäischen Theaterkontext?

"Wissen Sie, meine Meinung unterscheidet sich von der Ansicht eines Teils unserer Kritiker: Ich glaube, dass das tschechische Theater das Selbstvertrauen und die Selbstachtung nicht verlieren sollte. Das tschechische Theater ist überhaupt nicht schlecht dran. Es werden darin interessante, aktuelle und auch sehr vielfältige Inszenierungen gemacht. Das Festival zeigt - glaube ich -, dass die ausgewählten Inszenierungen unter dem, was im Ausland vorkommt, konkurrenzfähig sind. Es muss gesagt werden, dass es genauso schwierig ist, qualitative Inszenierungen im Ausland auszuwählen, wie sie in Tschechien zu finden."

Jan Burian haben wir auch gebeten, auf die tschechische Theaterkarte zu blicken und Ensembles bzw. Orte zu nennen, wo das Theater seiner Meinung nach heute besonders gut gedeiht.

"Darüber können sich die Ansichten teilen. Es gibt hier immerhin viele Vorstellungen der Theater aus Ostrava, dort liegt heute eines der regionalen Zentren. In den Prager Theatern zeichnet sich eine Rückkehr zum Schauspieltheater ab, bei dem das Thema vor allem vom Schauspieler interpretiert wird - etwa das Theater in Prag-Dejvice ist heute sehr populär und hier auf dem Festival auch seit einigen Jahren präsent, weiter das Theater am Geländer oder der Schauspielklub. Bedeutend ist, dass Prag nicht der einzige Ort ist, wo man etwas Konkurrenzfähiges macht. Auch andere größere regionale Zentren, Ostrava/Mährisch Ostrau, Pilsen, natürlich Brno/Brünn bringen interessante Inszenierungen, bzw. es bilden sich dort Künstlergruppen, die sich bemühen, ihr eigenes Theater auf ihre eigene Weise zu machen, die sich etwas von der Prager Art und Weise unterscheidet."

Eine Ausstellung wurde in Pilsen einer der interessantesten Persönlichkeiten des tschechischen Theaters des ausgehenden 20. Jahrhunderts, dem vor vier Jahren tragisch verstorbenen Theaterregisseur Petr Lebl gewidmet:

"Er war wohl das ausgeprägteste Talent in der postmodernen, stark bildhaften, assoziativen Auffassung des Theaters. Dies ist ein Trend, den es natürlich nicht nur in Tschechien gibt, ein solcher Strom existiert im gesamten euro-amerikanischen Theater. Aber Petr Lebl war in dieser Richtung wohl das größte Talent, und zwar bereits von den Anfängen seiner Arbeit im Laientheater an. Bereits damals zeigte er eine völlig außergewöhnliche bildhaft-schauspielerische Phantasie."