Festival: Viktor Ullmann verbindet die geteilte Grenzstadt Český Těšín – Cieszyn
Český Těšín – Cieszyn ist eine Stadt an der tschechisch-polnischen Grenze, vor genau 100 Jahren kam es zu ihrer Teilung zwischen zwei Staaten. In den vergangenen Jahren sind – vor allem im kulturellen Bereich – die Kontakte zwischen dem tschechischen und dem polnischen Teil immer enger geworden. Ein Beweis dafür sind auch die Ullmann-Feierlichkeiten, ein internationales Musikfestival. Mit dieser Veranstaltung wird an den Komponisten Viktor Ullmann erinnert. Er entstammte einer jüdischen Familie, wurde ins KZ Theresienstadt verschleppt und 1944 in Auschwitz-Birkenau von den Nazis ermordet. Die Programmleiterin der Ullmann-Feierlichkeiten, Magdaléna Živná, im Interview.
In Český Těšín – Cieszyn / Teschen starten bald die Ullmann-Feierlichkeiten, ein Musikfestival zum Andenken an den Komponisten Viktor Ullmann. Es handelt sich um eine relativ junge Veranstaltung. Frau Živná, Sie standen mit an der Wiege des Festivals. Wie wurde die Idee geboren?
„Die Idee entstand, weil Viktor Ullmann 1898 in dieser Stadt geboren wurde. Damals hieß sie Teschen und gehörte zu Österreich-Ungarn. Es war eine Garnisonsstadt, und Ullmanns Vater war dort im Militärdienst. 1920 wurde diese Stadt geteilt zwischen der Tschechoslowakischen Republik und Polen. Sie ist bis heute getrennt, aber seit dem EU-Beitritt der beiden Länder ist der grenzüberschreitende Verkehr dort viel lockerer, so dass man in letzter Zeit von einem gewissen Zusammenwachsen sprechen kann. Im Rahmen dieser Kontakte bin ich vor zwei Jahren angesprochen worden, denn 2018 war der 120. Geburtstag von Viktor Ullmann. Spiritus Agens war die Stadtbibliothek in Český Těšín und ihre Direktorin Jana Galášová. Wir haben damals eine Veranstaltung mit drei Teilen veranstaltet, es gab ein Konzert, eine Podiumsdiskussion und eine Stadtführung durch das polnische Cieczyn. Denn der eigentliche Geburtsort von Viktor Ullmann liegt auf der polnischen Seite, in der früheren Altstadt. Die Stadtführung wollen wir in diesem Jahr wiederholen. Obwohl es damals ein bescheidenes Ereignis war, hat sich auch das Österreichische Kulturforum dafür interessiert. Sein Leiter Andreas Schmidinger hat nun den Ehrenschutz darüber übernommen.“
Viktor Ullmann hat elf Jahre lang in Teschen gelebt. Wohin führte sein weiterer Lebensweg?
„Es waren sehr viele Stationen. Bis zu seinem elften Lebensjahr lebte er in Teschen. Dann zog seine Mutter mit ihm nach Wien um und blieb dort bis 1919. Im selben Jahr heiratete er Marta Koref. Sie war gebürtige Pragerin, daher siedelten beide in die tschechoslowakische Hauptstadt um. Ullmann war schon in Wien ein Schüler von Arnold Schönberg. In Prag erhielt er eine Stelle am Neuen Deutschen Theater, damals unter der Leitung von Alexander von Zemlinsky, und arbeitete dort bis 1927. Dann folgte eine sechsjährige Episode, bei der er zunächst ein Jahr lang Kapellmeister im Theater von Ústí nad Labem war und dann zwei Jahre am Schauspielhaus in Zürich wirkte. Darauf schloss sich eine unglückliche Episode als Unternehmer in Stuttgart an. Denn Ullmann war – zusammen mit seiner damals schon zweiten Frau Anna Winternitz – zum großen Anhänger der Anthroposophie geworden. In diesem Zusammenhang wurde er überredet, eine Buchhandlung in Stuttgart zu übernehmen, in der anthroposophische Literatur verkauft werden sollte. Leider war dies aber von Anfang an wirtschaftlicher Betrug. 1933 gingen beide Pleite und flohen zurück nach Prag. Das heißt, ab Sommer 1933 bis September 1942, als er von den Nationalsozialisten ins Ghetto Theresienstadt verschleppt wurde, lebte er ununterbrochen in Prag.“
Wie würden Sie Viktor Ullmann als Musiker, als Komponisten charakterisieren? Wie hat er das musikalische Leben in Prag geprägt?
„Viktor Ullmann gehörte dem deutschsprachigen Prag an. Er hatte aber auch sehr viele Freunde tschechischer Abstammung, wie zum Beispiel den Komponisten Alois Hába. Musikalisch ging er zwar von Schönberg aus, hat aber unter dem Einfluss aller damaligen Musikströmungen einen eigenartigen, eigenen und sehr gut verständlichen Stil entwickelt. Vor allem nach 1933 ging es ihm zwar materiell nicht so gut, weil er keinen festen Posten bekommen konnte und als Rezensent und Lehrer freischaffend war, doch hatte er dadurch viel Zeit zum Komponieren. In dieser Periode galt er als einer der anerkanntesten tschechoslowakischen beziehungsweise Prager deutschen Komponisten.“
Viktor Ullmann hat den Großteil seiner Werke im Ghetto Theresienstadt komponiert. Wurden diese Werke dort auch aufgeführt? Wie ist das möglich, dass sie überhaupt bekannt sind?
„Genau gesehen war das etwas mehr als die Hälfte der Werke. Von ihm sind insgesamt 40 Opus-Stücke registriert, davon sind 22 in Theresienstadt entstanden. Es ist eigentlich paradox, weil vor allem gerade diese Stücke sich erhalten haben. Jene, die er vor dem Transport nach Theresienstadt komponiert hatte, verteilte er zwar noch auf die Schnelle an seine Freunde, doch aus verschiedenen Gründen ging ein großer Teil davon verloren. Was er aber in Theresienstadt geschrieben hat und dort auch größtenteils aufgeführt wurde, übergab er – bevor er im Oktober 1944 in den sogenannten Künstlertransport nach Auschwitz kam – seinem Freund Emil Utitz. Dieser reichte die Stücke nach dem Krieg an H. G. Adler weiter, der ebenfalls zu den Prager jüdischen Intellektuellen zählte. Adler versuchte, die Werke in die Musikwelt der Nachkriegszeit zu bringen. Es dauerte aber weitere 30 Jahre, bis dies gelang. Erst 1975 wurde die heute bekannteste Oper von Ullmann, ‚Der Kaiser von Atlantis‘, von einem englischen Dirigenten in Amsterdam aufgeführt. In Theresienstadt war dieses Werk nie gespielt wurden, stattdessen aber ein weiteres bekanntes Werk: das Melododram ‚Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke‘ nach einem großen epischen Gedicht von Rainer Maria Rilke. Zudem erklangen in dem Ghetto einige kleinere kammermusikalische Stücke. Wichtig war, dass die Partituren überlebt haben, leider aber nicht ihr Autor.“
Die Musik von Viktor Ullmann ist der Schwerpunkt des anstehenden Festivals in Český Těšín und Cieszyn. In welchem Kontext wird sie präsentiert?
„Das Festival trägt den Namen von Viktor Ullmann und ist als Andenken an Ullmann in dessen Geburtsstadt ins Leben gerufen worden. Wir spielen aber natürlich nicht nur Ullmann, sondern versuchen, sein Werk in einen breiteren Kontext seiner Zeit zu stellen. Der Schwerpunkt liegt auf den Komponisten der 1920er und 1930er Jahre, in erster Linie auf den sogenannten Theresienstädter Komponisten. Also Hans Krása und Pavel Haas kommen zu Wort, genauso wie Erwin Schulhoff. Wir wollen nach und nach diese ganze Bandbreite der tschechoslowakischen Musik der 1920er und 1930er Jahre präsentieren, natürlich auch mit kleinen stilistischen Abwegen.“
Und wie ist das Programm gestaltet?
„In diesem Jahr haben wir drei Konzerte. Bei der Eröffnung wird nicht Ullmann selbst erklingen, sondern klassische Gitarrenmusik. Denn im polnischen Cieczyn wird seit einigen Jahren ein Viktor-Ullmann-Wettbewerb für junge Musiker veranstaltet, und seine Sieger treten zur Eröffnung auf. Für das zweite Konzert konnten wir den bekannten österreichischen Bariton Rupert Bergmann gewinnen, er wird am Klavier von Christoph Traxler begleitet. Es erklingen unter anderem die schon erwähnten Werke, das Rilke-Melodram und zwei Arien aus ‚Der Kaiser von Atlantis‘. Und das dritte Konzert ist wieder in polnischer Regie, es spielt das Streichquartett Foedereis Ensemble. Zudem gibt es auch ein Rahmenprogramm. Dieses besteht zur Einleitung aus einer Podiumsdiskussion, an dieser nehmen unter anderem der Leiter des Instituts der Theresienstädter Komponisten, Lubomír Spurný, und der Leiter des Theaters in Ostrau, Jiri Nekvasil, teil. Und zum Schluss machen wir wieder eine Stadtführung auf den Spuren von Viktor Ullmann im polnischen Cieszyn.“
Das Festival Ullmann-Feierlichkeiten findet vom 23. bis 26. September statt. Die Veranstaltungsorte sind das Café Avion und die Synagoge in Český Těšín sowie das Kulturhaus „Dom Narodowy“ in Cieszyn. Mehr Informationen unter http://www.viktor-ullmann-festival.cz/de.